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Wahlen in Italien - Bald wieder Bunga-Bunga-Land?

Am Wochenende wählen die Italiener ein neues Parlament. Doch die dringend benötigte politische Stabilität scheint bei bunten Kandidaten, knappen Mehrheitsverhältnissen und komplizierten Spielregeln weit entfernt. So kommt das Land nicht aus dem Chaos heraus

Autoreninfo

Katie Kahle ist freie Journalistin und lebt in Rom

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Italien wird sein Image eines untergehenden Landes nicht los. Ende 2011, zu Zeiten der akuten Finanzkrise, kurz bevor der vom Sex- und Justizskandal geplagte Silvio Berlusconi dem nüchternen Wirtschaftsexperten Mario Monti das Ruder überlassen musste, war es noch das Bild der sinkenden Titanic, die am eisigen Schuldenberg zerschellt. Heute holen sich Kommentatoren den schiefen Turm von Pisa zur Hilfe. „Who can save Italy“, titelte das britische Politmagazin „The Economist“ kürzlich. Auf dem Cover prangte eine eindrucksvolle Fotomontage: Ein schiefer Turm von Pisa auf einem leuchtend-grünen, aber leider einbrechenden Rasen.

Italien in freiem Fall? Vielleicht. Doch die dringendere Frage ist heute viel mehr, wer das Land retten soll.

Darüber dürfen die Italiener am 24. und 25. Februar entscheiden, wenn das Land seine 64. Nachkriegsregierung wählt. Angesichts der tiefen Rezession, der grassierenden Korruptions- und Schmiergeldskandale sowie der dramatischen Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen sehnt sich das Volk mehr denn je nach politischer Stabilität. Das Euro-Krisenland steht dabei am Scheideweg. Der Wahlausgang könnte das vor allem auch in Europa erwünschte, definitive Ende der fast zwei Jahrzehnte langen Ära Berlusconi bedeuten.

[gallery:Italiens Drache – Wer ist Silvio Berlusconi]

Doch mit der politischen Stabilität ist es im Belpaese so eine Sache. Mit Italien verbindet das Ausland von jeher ein gewisses „Grundchaos“. Skandale im Gesundheitswesen gab es schon immer. Vor Berlusconi, der mit 3340 Tagen länger als jeder andere vor ihm im Regierungspalazzo Chigi verharrte, gaben sich die Regierungen fast jährlich die Klinke in die Hand. Korruption und sogar Prügeleien im Parlament konnten niemanden südlich der Alpen so richtig verwundern.

Jahrzehnte lang galten die Worte des Fürsten Salina aus dem Roman „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.“ Dann brach mit „Tangentopoli“ Anfang der 1990er Jahre die erste italienische Republik unter Schmiergeldskandalen auseinander. Es folgten – mit linken Intermezzi – fast zwei Jahrzehnte Berlusconi. Und damit soll nun Schluss sein?

Das Ausland reibt sich die Augen

„Rettet Europa, wählt nicht noch einmal Berlusconi“, könnte man die letzten Appelle aus dem Ausland an den italienischen Wahlkampf auf einen Nenner bringen. Es geht um den verblüffenden Aufwärtstrend, den der 76-jährige Mailänder Milliardär in den vergangenen Monaten für sich verbuchen konnte. Dümpelte die Partei des Cavaliere im Dezember noch bei maximal 12 Prozent, kam er zusammen mit Bündnispartnern wie der rechtspopulistischen Lega Nord in den letzten erlaubten Umfragen vor der Wahl auf 28,5 Prozent. Damit lag er nur noch knappe 4,8 Prozentpunkte hinter der führenden Linken.

Seite 2: Berlusconi preist Mussolini

Das europäische Ausland reibt sich die Augen: Wie kann das angehen, fragen sich viele. Sicher, der Skandal um die drittgrößte italienische Bank „Monte dei Paschi di Siena“ schadet dem Mitte-Links-Lager. Zumal die erfolgreichste linke Partei (Partito Democratico) auf kommunaler Ebene zunehmend in den Sog der Affäre zu geraten scheint.

Aber hatte Berlusconi nicht zurücktreten müssen, weil er das Land an den Rand des Abgrunds geführt hatte? War er es nicht gewesen, der mit seinen Sexpartys im Regierungspalast (deretwegen er bis heute vor Gericht steht) Land und Leuten ein peinliches „Bunga-Bunga“-Image verpasste? Erinnern sich die Italiener nicht mehr daran, dass der Medienzar bislang schon vieles redegewandt versprochen, aber noch nie auch nur eines seiner unzähligen Wahlversprechen gehalten hat? Und bemerkt man seine Fettnäpfchen – wie etwa die peinliche Äußerung am vergangenen Holocaustgedenktag, der faschistische Diktator und Hitler-Verbündete Benito Mussolini habe auch „Gutes getan“ – denn nur im Ausland?

Die Sache ist unklar, aber interessant. Denn nein: Die Fettnäpfchen und Widersprüche werden in Italien nicht nur registriert, sondern wurden auch in einem der heißesten Wahlkämpfe der vergangenen zehn Jahre beobachtet, kommentiert und kritisiert.

„Wir müssen das Armdrücken mit der Merkel gewinnen“

Doch Berlusconi hat – bislang erfolgreich – zurückgeschlagen. Als gewiefter Mann des Showgeschäfts flimmerte der geliftete und geschminkte 76-Jährige den Italienern in den vergangenen Wochen zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Mattscheibe. Dabei ließ Berlusconi nichts aus, nicht einmal die Politschau eines linken Erzfeindes.

Man beachte dabei, dass der Medienzar offiziell gar nicht als Spitzenkandidat antritt, sondern „nur“ als Wirtschaftsminister und Koalitionsführer. Doch viele werden das Gefühl nicht los, dass der Cavaliere doch noch einmal versuchen könnte, sich auf den Premiersessel durchzuboxen. Aller ablehnenden Haltung seines Bündnispartners Lega Nord zum Trotz. So konnte seine PDL-Partei ungestört mit einem Logo ins Rennen gehen, auf dem zu lesen ist: „Volk der Freiheit – Berlusconi Presidente“.

Der TV-Tycoon verstand es meisterhaft, die Italiener populistisch zu ködern. Dass es in Italien einen prominenten Minderwertigkeitskomplex Deutschland gegenüber gibt, lernen Ausländer schon im Sprachkurs. Und vielen Italienern liegt das verachtende Gelächter des damaligen Euro-Duos Merkel-Sarkozy bei Berlusconis letztem Gipfel als Ministerpräsident in Brüssel Ende 2011 bis heute in den Ohren. Wenig tut es da, dass der Mailänder selbst einen Großteil der italienischen Misere mitzuverantworten hat. Er fährt einen anti-deutschen und anti-europäischen Wahlkampf mit Ankündigungen wie: „Wir müssen das Armdrücken mit der Merkel gewinnen“, sonst bleibe „vor allem den südeuropäischen Ländern nichts anderes übrig, als aus dem Euro auszusteigen“. So etwas geht dem verletzten italienischen Stolz runter wie natives Olivenöl.

Seite 3: Mit gnadenlosem Populismus auf auf Stimmenfang

Seine andere Trumpfkarte sind die üblichen Steuerversprechen. Alle Jahre wieder – das müssen selbst Anhänger zugeben. Doch das kümmert Berlusconi wenig. Diesmal ließ er sich gar dazu hinreißen, nicht nur die Abschaffung, sondern auch die Rückzahlung einer von Monti eingeführten verhassten Immobiliensteuer auf den Erstwohnsitz zu versprechen.

„Die Italiener haben noch nie gerne Steuern gezahlt, warum sollten sie Berlusconi nicht wiederwählen?“, fragt ein Auslandsitaliener rhetorisch. Ganz unrecht hat er damit nicht. In Europa lag Italien 2012 mit Schwarzarbeit und Steuerhinterzug an erster Stelle. 346 Milliarden Euro entgingen dem Staat auf diese Weise, schätzte der italienische Steuerzahlerverband im Januar. Die lästigen Zahlungen an den ungeliebten, weil nicht funktionierenden Staat zu unterlassen, wird bis heute von einem großen Teil der Bevölkerung als Kavaliersdelikt angesehen. Berlusconi selbst wurde erst vor wenigen Monaten in erster Instanz zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Steuervergehen verurteilt. Er kann bis in die dritte Instanz gegen die Sentenz kämpfen. Das Urteil an sich stört offenbar niemand so richtig.

Il porcellum: Das Wahlrecht ist eine „Schweinerei“

Doch auch aus anderen Gründen scheint die politische Stabilität in den Sternen zu stehen. Zu viele Kontrahenten streiten um die Macht in Rom. Ihre Spielregeln sind ungünstig und kompliziert. Das unselige Wahlrecht wurde von der Rechten und der Linken nicht mehr rechtzeitig verändert – trotz der Mahnungen des scheidenden Übergangspremiers Mario Monti und auch des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano. Das Gesetz wird in Küchenlatein auch „Il porcellum“ genannt. Es leitet sich ab vom italienischen Wort „la porcata“ – „die Schweinerei“. Denn angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse ist eine Pattsituation zu befürchten. So bekommt der Sieger auf nationaler Ebene einen Mehrheitsbonus für das Abgeordnetenhaus „geschenkt“. Der Senat hingegen geht an denjenigen, der Region um Region die meisten Sitze erringt. Entscheidend sind dabei die großen Regionen wie Lombardei und Sizilien, die anteilhaft die größte Anzahl der Sitze entscheiden.

Neben dem Europa-Schreck und Enfant Terrible Berlusconi befinden sich noch drei weitere Mitstreiter im Ring: Der Spitzenkandidat des Mitte-Links-Lagers, Pier Luigi Bersani (61), der scheidende Premier Mario Monti (69) sowie der unberechenbare Störenfried und Ex-Komiker Beppe Grillo (64). Bis zum 15 Tage vor der Wahl eintretenden Umfragestopp lag Bersani mit seinem linken Bündnis als mutmaßlicher Wahlsieger mit circa 33,6 Prozent ungebrochen vorn – allerdings mit Berlusconis konservativen Lager im steten Aufwärtstrend bei circa 28,8. Monti auf der anderen Seit verharrt mit seinem „Bündnis der Mitte“ bei etwa 15 Prozent. Seine harte Sparpolitik machte ihn bei den Italienern unbeliebt, sein Eintreten in den Wahlkampf gegen alle vorherigen Äußerungen unglaubwürdig.

Ob er bereit wäre, sich mit Bersani auf eine Zusammenarbeit zu einigen, um ein Comeback Berlusconis zu verhindern, ist fünf Tage vor der Wahl noch vollkommen unklar. Um die „moralische und ethische Katastrophe“ Berlusconi zu verhindern, würde die Linke auch mit Monti zusammengehen, erklärte Bersani wiederholt. Doch will der linke Spitzenkandidat Monti nicht als Premier, und Monti will nicht Wirtschaftsminister unter Bersani werden. Mehrfach änderte Monti seine Meinung über eine mögliche Zusammenarbeit zwischen seinem Bündnis der Mitte und Bersani.

Andererseits schloss Bersanis Bündnispartner, der apulische Regionalpräsident und erklärte Homosexuelle Nichi Vendola, ein Zusammengehen mit dem scheidenden Premier immer wieder kategorisch aus. Vor allem in den Punkten Arbeit und Soziales gehen Vendolas und Montis Ansichten komplett auseinander. Unter dem Druck der Mehrheitsverhältnisse könnten die Akteure des Politkrimis am Tiber ihre Meinung ändern. Ein einfaches Leben wird Bersani dennoch kaum haben.

Seite 4: Wie das italienische Pendant gegen das Establishment peitscht

Schon vor den Wahlen lassen sich innerhalb seiner Koalition Kontrast- und Bruchstellen unschwer erkennen. So liegt Vendola, was den Arbeitnehmerschutz angeht und die von Monti begonnene Reform des Rentenwesens, noch ein ganzes Stück weiter links als der PD-Chef und Spitzenkandidat Bersani, der mit dem Motto angetreten war „Nicht gegen Monti, sondern über Monti hinaus“.

Selbst wenn Bersani sich mit Monti aus den allzu knappen Mehrheitsverhältnissen herausretten würde, wäre er von Anfang an bedrängt – von links durch Vendola, von rechts durch Monti – ohne deren Stimmen es nicht geht. Hinzu ist zu bezweifeln, ob Bersani persönlich charismatisch und stark genug ist, um eine schwierige Koalition in einer schwierigen Situation zum effizienten Regieren zu bringen.

Keine Stabilität im Parteiensystem, nirgends

Nicht von ungefähr wird man erinnert an die komplizierte letzte Links-Regierung unter Romano Prodi, der im Januar 2008 nach nur 20 Monaten seinen Hut nehmen musste, nachdem er mit einer Neun-Parteien-Koalition bei einer wichtigen Vertrauensabstimmung im Senat scheiterte.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist Beppe Grillo mit seiner, der deutschen Piratenpartei nicht unähnlichen, Internetbewegung „Movimento 5 Stelle – Bewegung 5 Sterne“. Mit der Haltung „Anti-Tutto“ (gegen alles) faszinierte der ehemalige Komiker bislang hauptsächlich junge Wähler. Über 30 Prozent der Unter-23-Jährigen wollten ihn wählen, hieß es in Umfragen. Nun könnte sich der „Michael Moore von Genua“, wie Grillo auch genannt wird, wegen seiner hemdsärmeligen Begabung, in Wespennester zu stechen, nach Ansicht von Wahlbeobachtern die Region Sizilien und den Senat sichern. „Grillos Wahlvolk steigt in Qualität und Quantität“, erklärte das Wahlforschungsinstitut Ipsos noch kurz vor dem Urnengang. Bis Freitag will Grillo mit mehreren Auftritte auf großen Plätzen die Massen noch weiter bewegen – gegen das politische Establishment, gegen den nichts funktionierenden Staat, gegen die vermeintliche Vormachtstellung Deutschlands in der EU. Nach politischer Stabilität klingt das nur wenig.

Dabei sind die Probleme, denen sich ein neuer Regierungschef wird stellen müssen, zahlreich. Angefangen mit Brennpunkten wie der auch 2013 um 1,0 Prozent weiter sinkenden Wirtschaftsleistung und dem Rekordschuldenstand von über zwei Billionen Euro. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt auf einem Rekordstand von über 37 Prozent, unter der Mafia blühen Korruptions- und Schmiergeldskandale, die Justiz ist undemokratisch und langsam. „Italien verdient das Misstrauen nicht“, titelte am Dienstag vor den Wahlen der konservative „Corriere della Sera“, „nicht als Land und nicht als Bürger“. Zu groß seien die Anstrengungen, die Land und Leute unternommen hätten, um den europäischen Anschluss nicht zu verlieren. Entscheidend sei allerdings, warnt auch das Blatt, dass die Wahlen eine stabile Regierung hervorbrächten.

Am 24. und 25. Februar ist es soweit. Dann darf der italienische Wähler endlich entscheiden. Ausgang: Ungewiss.

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