- Nächstenliebe: Fehlanzeige
Tony Abbott wollte eine Kirchenkarriere machen. Doch er wurde Australiens Premier. Und macht durch krude Ansichten und eine knallharte Flüchtlingspolitik von sich reden
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Es war einer jener Momente, in denen Australier kollektiv zusammenzucken. Weil ihnen Tony Abbott hochnotpeinlich ist. Zwar lobte ihr Regierungschef diesmal nicht den Sex-Appeal einer Kollegin, gab keine Interviews in knapper Badehose oder belehrte „Australiens bügelnde Hausfrauen“ über Strompreise. Blamabel war’s dennoch, und diesmal hörten wirklich alle zu: Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen und die internationalen Medien. Australien war G-20-Gastgeber, eigentlich ein Freilos für gute Selbstvermarktung. Statt es einzulösen, jammerte Abbott der Welt vor, wie nervig es sei, dass seine Untertanen nicht bereit seien, sieben Dollar mehr beim Arzt zu zahlen.
Lokalpolitik statt global Relevantes. Immerhin, freute er sich nach Positivem suchend, kämen dank harscher Asylpolitik wenigstens keine „Boat People“ mehr ins Land. Viele Australier duckten sich beschämt, 19 Staatschefs machten befremdete Mienen.
Abbott der Ewiggestrige
Als „unwählbar“ galt Tony Abbott noch vor fünf Jahren sogar in eigenen Kreisen: Zu sexistisch waren seine Sprüche über Frauen, zu reaktionär seine Manöver, zu vorgestrig seine Ansichten zu Umwelt und Wissenschaft.
Es kam anders. Erst kürten ihn seine Parteikollegen 2009 zum Chef der Liberal Party, dann stimmte 2013 eine Mehrheit der Australier für die konservative Koalition aus Liberals und Nationals. Anthony Abbott, der Katholik, der Jungfräulichkeit für „das größtmögliche Geschenk“ hält, Homosexualität für bedrohlich und Klimawandel für Blödsinn, wurde Australiens Premierminister.
Fortan dominierten Dreiwort-Sätze: „Stop the boats!“ „Axe the tax!“ Stoppen wir Flüchtlingsboote, Bergbau- und CO2-Abgaben. Simple Slogans, die Abbott zudem am liebsten dreimal wiederholt. Sicher ist sicher.
Politik als Religion
Nur neun Monate nach der Wahl waren 70 Prozent der Australier unzufrieden mit ihm. Kommentatoren kritisieren die Rasanz, mit der er Wahlversprechen bricht. Selbst Großbritanniens Konservative halten ihn für exzentrisch und seine Ignoranz gegenüber Energie- und Umweltthemen für gestrig, seine Ansichten erinnerten an Zeiten, in denen die Welt als Scheibe galt. Als erste Amtshandlung schaffte er das Wissenschaftsministerium ab, dann den Klimawandelminister, im Kabinett blieb nur Platz für eine Frau.
Dabei wirkt der 57 Jahre alte Vater von drei Töchtern in vieler Hinsicht wie ein typischer Großstadt-„Aussie“: Wie ein Drittel seiner Mitbewohner in Sydney kam der gebürtige Londoner nicht in Australien zur Welt. Auf einer exklusiven Privatschule von Jesuiten erzogen, wollte er nach dem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften eigentlich Priester werden. Nach drei Jahren im Seminar entschloss er sich doch gegen eine Kirchenkarriere. Die Politik zog ihn an – und wurde seine zweite Religion.
Abbott ist athletisch schmal, ein Rettungsschwimmer, der auch surft. Am Wochenende schwingt er sich in Lycra aufs Rennrad. Früher spielte er Rugby und boxte. Bei der Freiwilligen Feuerwehr ist er ebenfalls. Australier lieben Ehrenämter und Sport.
Sparkurs in einem der reichsten Länder der Welt
Was vielen weniger gefällt, ist Abbotts radikaler Sparhaushalt, der abschaffen will, worauf alle stolz sind: die Kultur des „Fair Go“, die jedem gleiche Chancen gibt, durch ein erschwingliches Gesundheitssystem und Universitäten für alle. Während Abbott versucht, die Studiengebühren zu deregulieren und damit zu erhöhen, wurde bekannt, dass seine Tochter eine private Designschule besuchte – mithilfe eines 60 000-Dollar-Stipendiums, gewährt von der Schulleiterin, einer Parteifreundin Abbotts. Nicht verboten, aber auch nicht schön.
Niemand mag Sparkurse, vor allem nicht, wenn sie ohne Not verordnet werden. Australien, eins der reichsten Länder der Welt, erlebt dank Bergbauboom seit 22 Jahren ununterbrochenes Wachstum. Doch teilen wird auf dem dünn besiedelten Kontinent immer unbeliebter.
Politpriester ohne Herz
Die Asylpolitik, schon unter der Vorgängerregierung hart, ist unter Abbott fast schon menschenverachtend zu nennen. „No way – Du erreichst Australien nie“, bewarben Poster mit Fotos von Rostkuttern in Seenot seinen jüngsten Streich: Asylbewerber werden entweder zurück nach Indonesien eskortiert oder nach Papua-Neuguinea und Nauru, und wenn anerkannt, auch dort angesiedelt. Im Gespräch sind Abschiebungen nach Kambodscha, eins der ärmsten Länder der Region. Nicht nur Flüchtlingsverbände sind schockiert. Schon bei Amtsantritt beschloss Abbott, statt 20.000 nur noch 13.750 Asylbewerber aus humanitären Gründen aufzunehmen. Berichte über Flüchtlinge auf maroden Booten würde er am liebsten aus den Medien verbannen. Jedenfalls sorgte er dafür, dass die zuständigen Ministerien über Ankunft oder Umleitung von Flüchtlingen keine Pressemitteilungen mehr veröffentlichen.
Vor dem G-20-Gipfel schrieb Papst Franziskus an Abbott: Vergiss die Armen nicht und sei milde mit den Flüchtlingen. Aber der Politpriester hörte den Papst gar nicht mehr.
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