- Aufbruch in eine neue Währungsunion
Im Schatten der Griechenland-Krise geht der Umbau der Währungsunion voran. Künftig soll es sogar ein Euro-Budget geben – doch die Bürger bleiben außen vor
Angela Merkel ist zurück in Berlin, in Athen kehrt wieder der triste Krisen-Alltag ein. Der Besuch der Kanzlerin hat, so scheint es, nicht viel gebracht. Während Merkel ihrem Gastgeber Antonis Samaras noch Geschenke überreichte, drohte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker schon wieder mit einem Ultimatum. Bis zum EU-Gipfel am 18. Oktober müsse die griechische Regierung an die 90 Reform-Zusagen umsetzen - sonst gebe es kein Geld mehr.
Beherrscht Griechenland also wieder die europäische Agenda? Wiederholt sich in diesem Herbst dasselbe Drama wie im letzten Jahr, mit leeren Versprechungen und leeren Drohungen, mit Pleite-Szenarien und Panik-Attacken? Weit gefehlt. Griechenland dient nur noch als Kulisse für eine größere, anspruchsvollere Aufführung. Wenn es nach EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy geht, lautet das Thema dieses Herbstes „Aufbruch“ - in eine neue Währungsunion.
Gewiss, auch das haben wir schon oft gehört. Schon zu Beginn der Griechenland-Krise vor drei Jahren wurde die Forderung nach einem radikalen Umbau des Euroclubs laut. Doch diesmal wird es ernst. Merkels Fiskalunion und der ständige Rettungsschirm ESM, der am Montag nach monatelangem erbitterten Streit offiziell seine Arbeit aufnahm, waren erst der Anfang. Van Rompuy möchte den Euro an Haupt und Gliedern reformieren - und wenn nicht alles täuscht, hat er Merkels Rückendeckung.
Worum geht es? Es geht darum, all das nachzuholen, was bei Konzeption und Gründung des Euros in den 90er Jahren vergessen wurde. Die Fiskalunion soll noch verbindlicher gemacht und um eine Bankenunion ergänzt werden. Die Euroländer, auch Deutschland, sollen sich vertraglich zu Reformen verpflichten - und nicht, wie bisher, nur vage Zusagen machen, die am nächsten Tag wieder vergessen sind. Wer nach den Regeln spielt und schmerzhafte Reformen etwa am Arbeitsmarkt umsetzt, soll mit Finanzhilfen aus einem neuen Euro-Budget belohnt werden.
Van Rompuy schwebt offenbar eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche vor: Es gehe darum, „Mechanismen zu entwickeln, die eine nicht nachhaltige Budgetpolitik verhindern und finanzielle Solidarität ermöglichen“, heißt es in seinem Entwurf an Kanzlerin Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs, der beim EU-Gipfel Ende nächster Woche erstmals diskutiert werden soll.
Deutschland und Frankreich könnten an diesen Vorschlägen durchaus Gefallen finden. Aus deutscher Sicht würde damit die Kontrolle über „Schuldensünder“ verschärft. Außerdem würden gemeinsame Staatsanleihen, sprich Eurobonds, in weite Ferne rücken. Zwar hat sich auch Van Rompuy immer wieder für Eurobonds ausgesprochen; in seinem jüngsten Entwurf ist davon jedoch keine Rede mehr.
Seite 2: Es ist völlig unklar, wie das Euro-Budget finanziert werden soll
Auch Frankreich dürften die Ideen des belgischen Ratspräsidenten gefallen. Finanzminister Pierre Moscovici hatte sich in einer Rede vor dem Brüsseler Thinktank Bruegel bereits Anfang September für eine gemeinsame Finanzpolitik der Eurozone und sogar für einen Euro-Finanzminister ausgesprochen. Ein gemeinsames Budget könnte der erste Schritt in diese Richtung sein.
Allerdings ist noch völlig unklar, wie das Euro-Budget - für den Start sind 20 Mrd. Euro im Gespräch - finanziert werden soll. Bisher sind sich die Staaten nicht einmal über das EU-Budget für das kommende Jahr einig, auch über den mehrjährigen Finanzrahmen ab 2014 gibt es Streit. Außerdem dürften EU-Länder, die nicht der Gemeinschaftswährung angehören, den Plan mit einigem Misstrauen sehen. Schließlich könnte er den Graben zwischen Euro- und Nicht-Euroländern vertiefen.
Und was ist mit den Bürgern? Sie kommen in Van Rompuys Entwurf mal wieder nur am Rande vor. Man brauche "starke Mechanismen für demokratische Legitimität und Zurechnung", heißt es ganz am Ende des Entwurfs in der typischen Brüsseler Bürokratensprache. Sie sollen auf der Ebene greifen, auf der auch die Entscheidungen getroffen werden. Zu gut deutsch: in Brüssel.
Doch bisher ist von demokratischer Mitentscheidung in der EU-Kapitale wenig zu sehen. Bei den Reformprogrammen für die Euroländer, die im Rahmen des „europäischen Semesters“ entwickelt werden, bleiben die EU-Volksvertreter außen vor. Auch bei den Länderberichten, die die EU-Kommission erstellt, und die künftig als Basis für Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM dienen sollen, haben die Abgeordneten nichts zu melden.
„Es gibt keine parlamentarische Demokratie unter der Aufsicht der Finanzmärkte“, lautet das bittere Fazit des grünen Finanzexperten Sven Giegold. Dennoch wollen sich die Abgeordneten noch nicht geschlagen geben. „Währungsunion ist Gemeinschaftspolitik“ heißt es in einem Positionspapier der Fraktionsvorsitzenden. Das Europaparlament sei „das Parlament des Euro“ und wolle an allen Entscheidungen beteiligt werden.
Bisher sind dies aber nur Forderungen, bis zur Umsetzung können Jahre vergehen. Nur in einem Punkt kam Van Rompuy den Abgeordneten entgegen: an der Planungsrunde für die Reform der Eurozone darf jetzt auch Martin Schulz (SPD) teilnehmen. Der Präsident des Europaparlaments sitzt künftig mit Van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso, EZB-Präsident Mario Draghi und Eurogruppenchef Juncker an einem Tisch.
Das letzte Wort haben aber weiter die Staats- und Regierungschefs, also vor allem Kanzlerin Merkel. Das Wahlvolk muss draußen bleiben, wie bisher.
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