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() Zu 74,9 Prozent gehört der Verlag Gruner und Jahr dem Medienkonzern Bertelsmann. Aber die Familie Jahr hat eine Sperrminorität.

Wer hat das Sagen bei Gruner und Jahr? - Sekretärin vertreibt Chefredakteurin

Der Kampf um die Macht bei Gruner und Jahr ist ein Duell zwischen Liz Mohn und Angelika Jahr, zwischen westfälischer Provinz und hanseatischem Verlagsadel. Nach jahrelanger Demütigung steht Mohn nun kurz vor einem ihrer größten Triumphe.

Auf langen Tafeln lagen rote Schokoherzen und rote Rosen. Es gab Sushi, das Dessert hatte sich der Küchenchef der Zeitschrift Essen und Trinken ausgedacht. TV‑Koch Tim Mälzer präsentierte eine Feinschmecker-Show. Die verlagsinterne Allstar-Band sang zum Wechsel von Angelika Jahr-Stilcken vom Gruner-und-Jahr-Vorstand in den Aufsichtsrat im April 2008 den Rolling-Stones-Hit „Angie“, und Stern-Redakteure überreichten ihr eine Sonderausgabe. Für den emotionalen Höhepunkt sorgte die sonst eher zurückhaltende Tochter des Verlagsgründers John Jahr senior aber selber, als sie im schwarzen Hosenanzug in der Hamburger Fischauktionshalle vor 700 Gästen auf die Bühne trat und ein Bekenntnis zu ihrem Verlag aussprach, das in den Worten gipfelte: „Es ist Liebe.“

Auf dem vermeintlichen Ehrenplatz ihr gegenüber saß Liz Mohn, deren Familie den Medienkonzern Bertelsmann kontrolliert, zu dem auch 74,9 Prozent von Gruner und Jahr (G+J) gehören. Jeder in der Halle wusste, dass Liz Mohn und Bertelsmann den Jahrs ihre Sperrminorität gerne entreißen würden, um den Verlag endlich ganz für sich alleine zu haben. Für Liz Mohn waren Jahrs Worte eine Kampfansage. Die Platzierung an ihrem Tisch erschien plötzlich nicht mehr als Ehrenplatz, sondern als sorgfältig geplanter Affront, der ihr zeigen sollte, wer die eigentliche Chefin bei G+J ist. Teilnehmer erinnern sich, dass Liz Mohn das Fest mit ihrem Gefolge vorzeitig verließ.

Es ist die Kernfrage, die seit Jahren immer wieder am Hamburger Baumwall gestellt wird: Übernimmt Bertelsmann die Macht bei G+J komplett und kauft die alt eingesessene hanseatische Verlegerfamilie heraus? Was lange Zeit undenkbar schien, das ist jetzt, gut vier Jahre nach dem Liebesversprechen in der Fischauktionshalle, für Liz Mohn und Bertelsmann in greifbare Nähe gerückt. Gleichzeitig schwindet der Einfluss von Angelika Jahr-Stilcken in der eigenen Familie. Bertelsmann hat selbst bestätigt, dass Deutschlands größter Medienkonzern und die Jahr-Holding, in der die Beteiligungen der Familie gebündelt sind, über eine vollständige Übernahme von G+J durch Bertelsmann verhandeln. Noch ist nichts entschieden, aber noch nie sprach so viel für einen Verkauf oder Anteilstausch.

Bis es so weit kam, haben sich beide Seiten nichts geschenkt. Bertelsmann und die Jahrs haben zwei ihrer Vorstandsvorsitzenden zermürbt, indem sie sich blockierten und notwendige Investitionen versäumten. Im September erst trat der Verlagschef Bernd Buchholz entnervt und enttäuscht zurück, weil ihm keiner seiner Gesellschafter von den Verkaufsverhandlungen erzählt hatte. Er erfuhr es aus dem Manager Magazin, an dem Gruner und Jahr beteiligt ist, und musste in dem Artikel zudem lesen, dass er seiner Aufgabe nicht gewachsen sei. In Gütersloh, dem Stammsitz von Bertelsmann, hielt man es nicht mal für nötig, einen neuen G+J-Vorstandschef zu ernennen.

Seite 2: Der Wert des Verlags sinkt

Die Belegschaft in Hamburg ist verunsichert. Bisher waren es die G+J-Mitarbeiter gewohnt, dass jedes Übernahmeansinnen aus Gütersloh von Angelika Jahr-Stilcken im Keim erstickt wurde. So war es 2001, als der damalige Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff im Spiegel sein Interesse am Kauf der Jahr-Anteile bekundete. Sofort hielt ihm Angelika Jahr in einem Zeitungsinterview entgegen: „Wir tauschen nicht und wir verkaufen nicht.“ Wenn angeblich, wie kolportiert, eine Investmentbank im Auftrag von Bertelsmann den Wert der Jahr-Beteiligung am Verlag errechne, sei das „unnötig“, sagte sie: „Zu keinem Preis sind wir gewillt zu verkaufen.“ Bei den vier Familienstämmen gebe es „keinerlei Dissens“. Jeder Angriff werde „ins Leere“ laufen. So war es auch 2008, als Jahr vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechselte und in der Fischauktionshalle sagte: „Der Jahr-Clan wächst, und er hält zusammen wie Pech und Schwefel. Und wenn es wirklich einmal so weit kommen sollte mit dem Verkauf, dann werden wir zu Gruner und Jahr stehen, denn wie ich schon sagte, es ist Liebe, und dies ist ein Versprechen.“ Mit anderen Worten: Eher würde der Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann seine Anteile zu Geld machen als dass die Jahrs jemals aussteigen würden. Das war das große Versprechen. Gilt es viereinhalb Jahre später noch?

Der Wert des Verlags sinkt, Gruner und Jahr verliert gegenüber Burda, Springer und Bauer Marktanteile. Im immer wichtigeren Digitalgeschäft drohen Stern, Brigitte und Geo den Anschluss zu verlieren, weil die Gesellschafter die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren verschlafen haben. Vor allem Bertelsmann drängte G+J, jährlich im Schnitt 200 Millionen Euro an beide Gesellschafter auszuzahlen, um Schulden zu begleichen. Diese Schulden, darin liegt eine Ironie, waren entstanden, weil Bertelsmann einen fremden Investor rausgekauft hatte. Die Jahrs mussten also zusehen, wie die Gütersloher den Verlag auspressten, weil der Mitgesellschafter im eigenen Haus keine fremde Mitsprache duldete. Im Hamburger Verlagshaus aber fehlte diese Milliardensumme, sodass über Jahre notwendige Investitionen unterblieben. Den Jahrs selber waren die Hände gebunden, da sie mit ihrer Sperrminorität nur verhindern, aber nichts durchsetzen können – und andererseits haben auch sie die jährlichen Ausschüttungen gerne genommen, um in Immobilien, Spielbanken und andere Projekte zu investieren.

Überhaupt muss man inzwischen am von Angelika Jahr beschworenen Zusammenhalt der Familie zweifeln. Die ihr nachfolgende zweite Erben-Generation arbeitet nicht mehr im Verlag und hat kaum Interesse am Journalismus. In der Jahr-Holding hat seit 2011 Winfried Steeger als Geschäftsführer das Sagen, der sich gut mit Bertelsmann-Chef Thomas Rabe versteht. Zu den aktuellen Entwicklungen bei G+J schweigen die Jahrs. Als der NDR jetzt Angelika Jahr an ihr Versprechen von 2008 erinnerte, sagte sie, es sei „nicht der richtige Zeitpunkt für Spekulationen“. Dass sie ihr Versprechen, die Familie stehe zu G+J, nicht erneuerte, verunsicherte ihre Mitarbeiter erst recht.

Angelika Jahr ist eine journalistische Autorität bei Gruner und Jahr, und sie hat sich diese Position erarbeitet. Die 71-Jährige studierte Psychologie, Germanistik und Philosophie, absolvierte ein Volontariat bei der Welt. Sie arbeitete in den USA bei Glamour, Vogue und Time Magazine und stieg in den väterlichen Verlag als stellvertretende Chefredakteurin der Petra und Schöner Wohnen ein, der Einrichtungsfibel für Besserverdienende. 1972 entwickelte sie mit Essen und Trinken das erste Magazin dieser Art in Deutschland. 1988 übernahm sie die Chefredaktion von Schöner Wohnen, fungierte als Herausgeberin weiterer Titel und leitete schließlich bis 2008 acht Hochglanztitel in der Verlagsgruppe G+J-Life als Geschäftsführerin. Angelika Jahr spielte zwei Rollen: Sie war angestellte Chefredakteurin und zugleich das wachsame Auge der Besitzer als Wahrerin der Familientradition.

Seite 3: Die beiden Frauen wissen nichts miteinander anzufangen

Ihre Gefühle gegenüber Liz Mohn und Bertelsmann versteht man nur vor dem Hintergrund, dass schon ihr Vater John Jahr die Gütersloher von Anfang an als ungeliebte Eindringlinge empfand. Der ehemalige Sportreporter und Anzeigenvertreter hatte einst einen Verlag mit Axel Springer gegründet, jahrelang hielt er 50 Prozent an Rudolf Augsteins Spiegel, die er wegen dessen politischer Ausrichtung wieder verkaufte. 1965 gründete John Jahr gemeinsam mit dem Verlegerkollegen Gerd Bucerius und dem Drucker Richard Gruner den Verlag Gruner und Jahr. Gruner verkaufte an Reinhard Mohn. Als Bucerius ebenfalls verkaufen wollte, bekundete John Jahr Interesse, um für seine Kinder eine Mehrheit zu erstehen. Doch Bertelsmann-Chef Reinhard Mohn kam ihm zuvor, indem er Bucerius anbot, dessen Verlagsanteil gegen eine Beteiligung bei Bertelsmann zu tauschen. Seitdem sitzen die Vorbehalte gegen Bertelsmann in der Familie Jahr tief und gehören zur Verlagskultur von G+J. An seinem 80. Geburtstag sagte Jahr, er habe mehrfach frustriert einen Verkauf erwogen, aber seine vier Kinder hätten ihn davon abgebracht. Das war 1980. Alle vier arbeiteten damals im Verlag, und er kommandierte sie auch im erwachsenen Alter noch vor Angestellten herum.

Die ererbte Skepsis prägte auch die Rollenverteilung zwischen Angelika Jahr und Liz Mohn: Hier die Tochter des angesehenen Hamburger Verlegers, die sich souverän und sicher in ihren Kreisen bewegt. Auf der anderen Seite die Tochter einer armen Hutmacherin, die als Telefonistin bei Bertelsmann anfing, als Geliebte des verheirateten Unternehmenschefs Reinhard Mohn drei Kinder von ihm bekam, aber lange Zeit gezwungen war, in einer Scheinehe mit einem anderen leitenden Bertelsmann-Angestellten zu leben. Sie arbeitete in Mohns Büro, stand ihm in der Position einer Schülerin an der Seite – bis sie als Witwe die Macht im größten Medienkonzern Europas erbte und endlich so auftreten konnte, wie sie sich eine (erfolg-)reiche Unternehmerin vorstellte.

Angelika Jahr hat Bücher über Innenarchitektur herausgegeben. Liz Mohn hat zwei Bücher über ihr Leben unter Prominenten und ihr gemeinnütziges Engagement verfassen lassen: 2001 „Liebe öffnet Herzen“ und zehn Jahre später „Schlüsselmomente“. Beide wurden von Ghostwriterinnen geschrieben. Beide sind PR in eigener Sache. Liz Mohn hetze von Termin zu Termin, von Feier zu Feier, sagen Mitarbeiter. Sie delegiere alles. Interviews werden nach Prawda-Manier von Beratern geschrieben, Reden, Beiträge ebenso. Ihre Mitarbeiter sind sich nicht sicher, ob sie je einen Text selbst verfasst hat. „Der publizistische Anspruch von Liz Mohn ist gleich null“, sagt ein ehemaliges Vorstandsmitglied von Bertelsmann. Wenn das stimmt, macht das aus ihr keinen schlechten Menschen. Aber für die Chefin des weltgrößten Buchverlags ist es zumindest ungewöhnlich.

Das Verhältnis von Angelika Jahr und Liz Mohn sei geprägt von „aufgesetzten Freundlichkeiten“, sagt ein ehemaliges Mitglied des Vorstands, das beide bei zahlreichen Begegnungen beobachtete. Sie wüssten nichts miteinander anzufangen. Auf beiden Seiten sei „freundliche Distanz“ bis zu „tiefer Missachtung“ zu spüren. Sie gingen sich aus dem Weg, hätten sich nichts zu sagen. Ein kühler Händedruck; formale Freundlichkeit – man will im Grunde nichts voneinander wissen. „Liz Mohn und Angelika Jahr könnten unterschiedlicher nicht sein.“ Der Widerspruch zwischen beiden sei augenfällig, sagen Mitarbeiter in Gütersloh und Hamburg. Dass der Verlag G+J auch in Glanzzeiten hinsichtlich Umsatz und Gewinn nur die kleinere Tochter des großen Medienkonzerns Bertelsmann war, das habe man am Auftreten der beiden nicht bemerkt. Angelika Jahr fühlte sich der unsicher wirkenden Liz Mohn stets überlegen.

Seite 4: Was passiert, wenn Bertelsmann G+J zu 100 Prozent besitzt?

Gerne würde man Angelika Jahr fragen, ob ihre Treueschwüre von 2001 und 2008 noch Geltung haben. Man würde gerne wissen, ob es vielleicht nicht so weit gekommen wäre, wenn sie und Liz Mohn wirklich miteinander gesprochen hätten; vielleicht hätten sich die beiden Gesellschafterfamilien dann nicht gegenseitig blockiert. Aber sie und die anderen Mitglieder ihrer Familie schweigen und lassen ihre Mitarbeiter mit Gerüchten und Spekulationen alleine.

Fest steht, dass die komplette Übernahme von G+J für Bertelsmann nicht billig wird. Im Gespräch ist ein Anteilstausch, bei dem die Jahrs am Ende mit 4 bis 5 Prozent an Bertelsmann beteiligt werden. Familie Jahr erhält bisher eine Garantiedividende und würde wohl auch als Bertelsmann-Gesellschafter Sonderrechte beanspruchen. Aber wie sehen die strategischen Konsequenzen aus, wenn Bertelsmann 100 Prozent von G+J gehören? Hätten die neuen Herren Interesse am Ausbau des Magazingeschäfts und würden die Redaktionen personell verstärken? Eher nicht. Wird Bertelsmann die Braut nur schön schminken, damit sie teuer verkauft werden kann? Davor haben sie in Hamburg trotz gegenteiliger Versicherungen Angst.

Denkbar ist, dass Bertelsmann zunächst einen Kernbereich von G+J aus Stern, Brigitte und Geo behält und den Rest aufteilt und verkauft. Denn Liz Mohn versteht vielleicht nichts vom Journalismus, aber sie weiß, wie man sich Macht und Relevanz verschafft. Dass ihre Beteiligungen am Stern und Spiegel ihr Bedeutung in Berlin verschaffen, und vor allem auch dem Ruf ihrer Stiftung nutzen, steht für sie außer Frage.

In ihrer Rede 2008 sprach Angelika Jahr in der Fischauktionshalle davon, dass die Jahrs in Hamburg anders seien als „die“ im Süden und zum Verlag stehen werden und nicht ihr Wort brechen. Die Gäste aus Gütersloh betrachteten sich in Hamburg als „die im Süden“ – ihre Feierlaune war angeblich schlagartig vorbei. Sie verstanden Angelika Jahrs Worte als weitere Breitseite, obwohl diese – wie in Hamburg später versichert wurde – gar nicht Bertelsmann gemeint hatte. Das „die im Süden“ habe sich auf die SPD-Politikerin Ypsilanti in Hessen bezogen, die trotz gegenteiliger Wahlkampfankündigung eine Koalition mit der PDS anstrebte. Gesagt hat sie es aber nicht. Jedenfalls klärte Angelika Jahr das Missverständnis nach der Feier gegenüber Hartmut Ostrowski, dem Vorgänger von Thomas Rabe, auf.

Seite 5: Das neue Vorstandstrio von G+J wird im Verlag als Beleidigung angesehen

Kürzlich gab es wieder eine Abschiedsfeier bei Bertelsmann, diesmal für Bernd Buchholz, der angeblich eine Abfindung in Millionenhöhe erhielt. Zurück blieben Mitarbeiter, die ihren Glauben an den Arbeitgeber verloren haben. Als Buchholz sich in der Kantine verabschiedete, kamen 600 Gäste, die minutenlang applaudierten, als er auf die Bühne ging – nicht, weil er ging, sondern weil er gegen Bertelsmann aufgestanden war.

Von Buchholz sprechen sie, als gehe mit ihm der letzte echte Vorstandsvorsitzende von Gruner und Jahr. Das neue Vorstands-Trio mit Julia Jäkel, Torsten-Jörn Klein und Achim Twardy wird im Verlag als Beleidigung angesehen. Sie klagen: Nicht mal einen echten Vorstandsvorsitzenden installieren die Miteigentümer aus Gütersloh noch, als würden sie den Verkauf abwarten. Vielleicht seien die drei aber doch eine dauerhafte Lösung, sagen andere. Alle waren verunsichert. Es flossen Tränen.

Und wieder standen, wie bei Angelika Jahrs Abschied, die 20 Mitglieder der G+J-Allstar-Band auf der Bühne – zum letzten Mal mit Buchholz an der Gitarre.

Nach den Reden betrat plötzlich Angelika Jahr den Raum und erklomm die Bühne. Sie umarmte Buchholz. Sie hielt keine Rede, sagte nichts zu den Verhandlungen, wechselte nur ein paar Sätze mit Buchholz, den sie hat ziehen lassen, ohne ihm den Rücken zu stärken. Es wirkte wie ein verzweifeltes Eingeständnis Angelika Jahrs, die den Kampf gegen Liz Mohn und Bertelsmann verloren zu haben glaubt und auch keine allzu großen Hoffnungen mehr in den eigenen Clan setzt. Die Stimmung schwankte zwischen Betretenheit und Sentimentalität. Angelika Jahr ging, und Buchholz feierte mit seiner Frau, seiner Band und seinen Mitarbeitern weiter bis um 2 Uhr morgens. Es könnte für längere Zeit die letzte Gelegenheit für eine Verlagsparty gewesen sein.

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