Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Wie man Reichtum zeigt: Champagner trinken

Vermögensforscher - „In Deutschland ist Reichtum ein Tabu“

Thomas Druyen hat mit Hunderten Millionären gesprochen und erforscht das Mileu der besonders Vermögenden: Wie die Superreichen ticken, welche Charakteristika sie beeinflusst und wieso Deutschland eine starke Neidkultur hat

Sie halten den Armuts- und Reichtumsbericht für eine Unverschämtheit. Wie kommen Sie dazu?
Auch dieser vierte Bericht besteht zum größten Teil aus Armutsforschung und das Thema Reichtum wird nur gestreift. Dabei könnte unsere Gesellschaft daraus viel lernen. Außerdem stört mich am Bericht der Bundesregierung, dass eine vollkommen realitätsferne Definition von Reichtum zugrunde gelegt wird: Wer als Einzelperson etwas mehr als 3000 Euro verdient, gilt danach schon als „reich“. Das ist eine seltsame Verschiebung in Richtung Mittelschicht und lässt den Superreichtum völlig außer Acht. Diese beschränkte Perspektive macht den Bericht zu einer Einladung für Klassenkampf-Rhetorik.

Was genau meinen Sie?
Immer wieder lese ich: Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 53 Prozent des Vermögens. Dazu zählen ja nicht nur die Millionäre, sondern auch Teile der Mittelschicht. Und selten wird erwähnt, dass diese zehn Prozent proportional auch den größten Teil der Steuern zahlen und eine gravierende Zahl von Arbeitsplätzen schaffen.

Ihre Definition von Reichtum beginnt bei 30 Millionen Euro. Ein ganz schöner Unterschied zu 3000 Euro.
Das ist die Definition, die Banken für Superreiche zugrunde legen. Sie werden im Bankenjargon als „Ultra High Net Worth Individuals“, also extrem vermögende Einzelpersonen, bezeichnet. Wer so viel Geld hat, kann von der Rendite des eigenen Vermögens vollkommen selbstbestimmt leben. In der Vermögensforschung sehen wir diejenigen als reich an, die über 3 Millionen Euro verfügen. Natürlich ist der ganze Reichtumsbegriff absolut relativ: Ob Zürich, Tokyo, Dakar oder Mumbai – in jeder dieser Städte bedeuten eine Million Dollar eine unterschiedliche Größenordnung. Aus diesem Grund erforschen wir jene Klientel oberhalb von 30 Millionen bis hin zu den Milliardenvermögen. Dies ist eine Welt, die wir überhaupt nicht verstehen, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Was bedeutet es für die eigene Identität, eine Milliarde zu besitzen? Über solche Themen spreche ich mit Superreichen direkt.

[gallery:20 Gründe, warum sich Reichtum lohnt]

Nun wollen diese Reichen zumindest öffentlich in der Regel ungerne darüber sprechen, wie viel Geld sie haben und was sie damit anstellen. Wieso erforschen sie dieses Milieu?
Die materiell erfolgreichsten Vertreter einer Gesellschaft sind heute im überwiegenden Teil unternehmerisch oder finanztechnisch tätig und nicht, wie es früher häufiger war, Erben. Ihre Vermögensvolumen haben enorme Hebelwirkungen und ihr Handeln Bedeutung für die Gesellschaft, was Steuerzahlungen und Arbeitsplätze angeht. Aus diesen Komponenten resultiert ihr Einfluss als Arbeitgeber, Großaktionär, Investor oder als Spender, Stifter und Tonangeber. Das Erforschen der Armut ist völlig unverzichtbar, aber die Vermögensforschung dient dazu, die ökonomischen, politischen, kulturellen und vor allem individuellen Einflusssphären der Reichen besser zu verstehen.

Wie steht’s denn um die Psyche der Reichen?
Ich dachte früher: Wer sehr  viel Geld hat, der ist sorgenfrei. Durch meine Forschung weiß ich inzwischen, dass das weit gefehlt ist. Wenn Menschen so viel Geld haben, beginnen ganz andere psychische Problemlagen. Nur haben sie unter Umständen gravierende gesellschaftliche Auswirkungen: Ob jemand sein Unternehmen verkauft, Leute entlässt oder alle Entscheidungen dem Management überlässt. Diese Faktoren können in der Summe die Entwicklung einer Stadt, einer Region oder eines Landes beeinflussen.

Seite 2: Wie ticken Reiche?

Sie haben mit vielen Reichen gesprochen. Wie ticken die?
Trotz oder wegen der vielen Begegnungen mit Multimillionären und Milliardären weiß ich, dass generalisierende Gesamturteile unmöglich sind.  Es handelt sich um sehr  heterogene Gruppen, die sich auch je nach Kultur unterscheiden. Aber es gibt natürlich Faktoren, die das Denken und Handeln dieser Menschen maßgeblich beeinflussen: Charakter, Familie, Religiosität und auch das Metier, in dem das Vermögen erwirtschaftet wurde. Viele zum Beispiel, die ein großes Unternehmen zur Blüte geführt haben, schildern in Gesprächen häufig die Sorge, ihre Kinder würden nicht verantwortungsbewusst mit dem Erbe umgehen. Die Herkunft Vermögender ist eine ebenso entscheidende Größe: Reiche in Baden-Württemberg ticken teilweise anders als solche, die im Norden leben. So denken auch reiche Chinesen im Durchschnitt anders als Reiche in der Schweiz.

Wieso?
Am Beispiel China lässt sich das holzschnittartig erklären: Es handelt sich um eine andere politische Kultur, um ein anderes System und die Chinesen sehen sich selbst als sehr alte Kultur, mit der man nicht gut umgegangen ist. Deshalb versuchen sie jetzt, die Welt ökonomisch zu dominieren.

Balzac vermutete schon: Hinter jedem Vermögen steckt ein Verbrechen. Dieser Glaube scheint auch heute noch verbreitet. Wieso ist das Image der Reichen so schlecht?
Das hat ohne Zweifel mit der Kultur zu tun. In Amerika ist es erstrebenswert Vermögen zu haben, es wird den Leuten grundsätzlich gegönnt, trotz aktueller Stürme. In Deutschland ist Reichtum noch immer weitgehend ein Tabu.

[gallery:Wo die Piepen und Moneten sitzen – Zehn Typen der Superreichen]

Woher rührt das?
Unter Bismarck wurden die Sozialversicherungen eingeführt und bestimmte Verantwortungen, die das Individuum für die Familie, für den Partner und das eigene Rentenalter hatte, sind an den Staat übertragen worden. Vorher haben die Reichen aber auch zum Teil direkt für die Armen gesorgt – eine andere Qualität des Solidarsystems, die verschwand. Die Sozial- und Steuersysteme haben dazu beigetragen, dass man in den höheren Schichten das Erarbeitete für etwas Intimes erachtete. Erfolg wurde so als eine Sphäre des Privaten verinnerlicht. ‚Wir zahlen Steuern und deshalb sind wir nicht auskunftspflichtig‘, sagten sich viele. In den 1950er Jahren wurde schnell klar, dass einige Reiche in die Geschehnisse des Krieges involviert waren und davon profitiert haben. Damit hat sich eine kleine Gruppe selbst diskreditiert. Und heute, das merke ich in Gesprächen, sagen sich viele meiner Gesprächspartner: Als Reicher in der Öffentlichkeit zu stehen, ist in Deutschland alles andere als erstrebenswert.

Sie spielen auf die Neiddebatte an.
Ja. Deutschland hat eine große Neidkultur. Wir beneiden in der Regel keine Menschen, die völlig außer unserer Reichweite sind, sondern solche, die sich im Umfeld des eigenen Milieus bewegen. Der Durchschnittsbürger ist nicht auf Bill Gates eifersüchtig. Menschen wünschen sich nicht direkt Reichtum, sie wollen im Alter gut leben können und versorgt sein – das wird inzwischen gleich gesetzt. Dennoch ist der Neid ein strategisches, politisches und kulturelles Instrument.

Inwieweit hat die Finanzkrise das Bild der Reichen negativ beeinflusst?
Das Image verschlechtert sich mit der Krise. Je fundamentaler und grundlegender die Krise, desto mehr steigt das Bedürfnis, die Schuldigen zu benennen. Es ist viel einfacher, die Reichen zu Tätern zu erklären, als die komplexen Hintergründe zu verstehen.

Ist die Reichensteuer, die aktuell diskutiert wird, aus Ihrer Sicht so eine Sau?
Leute, die viel haben, müssen verhältnismäßig viel Steuern zahlen. Das ist klar und gerecht. Ich bin kein Anwalt der Reichen, aber ich denke, unser gesamtes Steuersystem hat eine vernünftige Nachvollziehbarkeit verloren. Dadurch entstehen für Wenige Optionen der Gestaltbarkeit. Da bedarf es einer fairen Neuordnung. Viele Diskussionen darüber sind scheinheilige Symbolkämpfe. Selbst zum Beispiel durch 49 Prozent Reichensteuer kämen jährlich nicht mehr als zehn Milliarden Euro in den Bundeshaushalt. Angesichts unserer Schulden und der unüberschaubaren Subventionsverpflichtungen ist es ein Ammenmärchen, dass die Reichensteuer die Lösung all unserer Probleme wäre.

Prof. Dr. Thomas Druyen, Direktor des Institutes für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Zuletzt erschien von ihm "Krieg der Scheinheiligkeit - Plädoyer für einen gesunden Menschenverstand." Autorenfoto: Privat.

Das Gespräch führte Timo Steppat.

In der Novemberausgabe beschäftigt sich der Cicero mit dem Streit um Hitlers "Mein Kampf". Das Heft ist am Kiosk und auch im Online Shop ab sofort erhältlich.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.