- Grundeinkommen ist mit links zu machen
Die Debatte um ein Grundeinkommen rührt an den großen Fragen unserer Zeit. Wie soll künftig Arbeit und Soziales organisiert werden? Katja Kipping, Vorsitzende der Linkspartei, wirft einen Blick in die linke Ideengeschichte des Grundeinkommens und wirbt für ihr Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens. Eine Streitschrift
Die Idee des Grundeinkommens ist eine der ältesten linken Ideen. Thomas Spence, der als erster ein an alle zu zahlendes Grundeinkommen vorschlug, beklagte 1796 in seiner Streitschrift "Die Rechte der Kinder" die Armut von vielen Menschen. Er war der Ansicht, dass es im Naturzustand keine Armut gegeben hätte. Also müsse der Naturzustand, dass die Natur allen Menschen gehöre, auf einer höheren Stufe der entwickelten arbeitsteiligen Gesellschaft wieder hergestellt werden. Diese biblische und urkommunistische Idee des Eigentums aller an der Natur sollte durch die Enteignung der Landadligen und Überführung des Landeigentums in Eigentum des Gemeinwesens umgesetzt werden.
Das Land könne dann gegen eine Pachtgebühr an Nutzer_innen verliehen werden. Von den Pachtgebühren sollten sowohl ein regelmäßig gezahltes Grundeinkommen für alle als auch öffentliche Einrichtungen und Infrastrukturen finanziert werden. Diese revolutionäre Idee lässt Spence in seiner Streitschrift von Frauen umsetzen. Zugleich werden mit der Einführung des Grundeinkommens eine radikale Demokratisierung des Gemeinwesens als auch die vollen demokratischen Mitwirkungsrechte für alle Frauen durchgesetzt.
An der Wiege der Grundeinkommensidee standen also drei Paten: Armutsbekämpfung, Demokratisierung, Frauenemanzipation. Kein Wunder also, dass in linken Diskursen genau mit diesen Themen das Grundeinkommen verknüpft ist. Dazugekommen sind neue Themen, die mit dem Grundeinkommen verbunden werden: Begrenzung des Naturressourcenverbrauchs und nachhaltige Gesellschaft, Arbeitszeitverkürzung, Menschenrechte und Globale Soziale Rechte.
Aber zurück zur linken Ideengeschichte des Grundeinkommen: Charles Fourier und seine Schüler betonten, dass eine Gesellschaft, in der jede/r seine Fähigkeiten im Arbeitsprozess entwickeln kann, nicht ohne soziale und politische Freiheiten des Individuums möglich wäre, materiell abgesichert durch das Grundeinkommen. Das Grundeinkommen würde nämlich die Selbstbestimmung bezüglich der konkreten Teilhabe am Arbeitsprozess garantieren. Erich Fromm betonte das Menschenrecht auf Existenzsicherheit und gesellschaftliche Teilhabe, was den Menschen unter keinen Umständen verwehrt werden könne, und plädierte ebenfalls für ein Grundeinkommen.
André Gorz bezeichnete das Grundeinkommen als Mittel, ein Leben in Existenzunsicherheit in ein Leben in freier Tätigkeit zu verwandeln. Michael Hardt und Antonio Negri verbinden die marxistische Analyse, die eine Unmöglichkeit der individuellen Zuschreibung von Arbeitsleistung beschreibt, mit dem Recht auf Zeitsouveränität und der Forderung nach einer partizipatorischen Demokratie. Auch sie plädieren daher für ein Grundeinkommen.
Die feministischen Befürworter des Grundeinkommens verbinden die Debatte um die Vier-in-Einem-Perspektive auf die Arbeit mit dem Grundeinkommen. (Wobei nicht alle Anhänger_innen der Vier-in-einem-Perspektive gleichzeitig das Grundeinkommen befürworten.) Gewährt dies doch die Anerkennung aller notwendigen Tätigkeiten neben der Erwerbsarbeit, nämlich der Sorgearbeit, des bürgerschaftlichen Engagements sowie der Selbstbildungsarbeit, und befördert außerdem deren geschlechtergerechte Verteilung. Den Feminist_innen geht es um die Verwirklichung all derjenigen Aufgaben, die zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und für die individuelle und generative Reproduktion notwendig sind, die auf den Gebrauchswert abheben und nicht der kapitalistischen Verwertungslogik folgen. Dies beinhaltet für linke Feminist_innen den Wandel der jetzigen kapitalistischen und patriarchalischen ökonomischen Verhältnisse.
Seite 2: Grundeinkommen ist kein Kombilohn
Die vielen linken Protagonist_innen und Befürworter_innen des Grundeinkommens sind das eine. Das andere ist, dass es bei Linken, auch bei ParteiLINKEN, Skepsis bis Ablehnung des Grundeinkommens gibt. Aber welche Argumente gibt es gegen das Grundeinkommen – einen Transfer des Gemeinwesens an alle Menschen, welcher individuell garantiert ist, ohne eine Bedürftigkeitsprüfung von Einkommen und Vermögen, ohne eine Zwang zur Arbeit oder Gegenleistungen und in einer Höhe ausgereicht wird, die die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichert? Eine kleine Auswahl der Argumente und Gegenargumente aus linker Perspektive soll die Diskussion ums Grundeinkommen in der Linken und LINKEN verdeutlichen:
Vorgetragen wird, dass es nicht akzeptabel sei, dass auch Reiche das Grundeinkommen erhalten. Gegengehalten wird, dass, wollte man wie heute eine Bedürftigkeitsprüfung beibehalten, gerade die Ärmsten der Armen den ihn zustehenden Anspruch auf Existenzsicherung nicht einlösen können. Bedürftigkeitsgeprüfte Systeme führen zur Nichtinanspruchnahme von zustehenden Leistungen (verdeckte Armut) – derzeit bei Hartz IV fünfzig Prozent, bei der Grundsicherung im Alter 68 Prozent. Außerdem wird das Gegenargument aufgeführt, dass die Reichen bei der Grundeinkommensfinanzierung kräftig zur Kasse gebeten werden – bedeutend mehr als sie mit dem Grundeinkommen erhalten. Das Grundeinkommen erweist sich dann auch als ein Umverteilungsinstrument.
Angeführt wird, dass das Grundeinkommen die Arbeit entwerten würde, weil man ja für "Nichtarbeit" Geld bekäme. Das Gegenargument lautet: Gerade die bisher nicht entlohnte notwendige Arbeit, wie Sorge- und Reproduktionsarbeit sowie bürgerschaftliches Engagement, wird aufgewertet und materiell anerkannt. Diese Arbeiten nehmen immerhin zwei Drittel der in der Gesellschaft aufgewendeten Arbeitszeit in Anspruch.
Dass das Grundeinkommen ein Kombilohn sei, ist das nächste kritische Argument. Dem wird gegengehalten, dass ein Kombilohn, also ein um einen staatlichen Transfer aufgestockter Niedriglohn, gar nicht möglich ist, da linke Konzepte mit einem Mindestlohn verbunden sind. Dies schließt einen Niedriglohn aus. Auch wird das Argument angeführt, dass die abhängig Beschäftigten mit dem monatlich gezahlten "Streikgeld" namens Grundeinkommen eine verbesserte Verhandlungspositionen für gut entlohnte Erwerbsarbeit haben. Dieses Argument könnte auch erklären, warum in der IG-Metall-Umfrage "So wollen wir leben!" das Grundeinkommen eine von sechs politischen Forderungen der IG-Metall-Basis war.
Ein Grundeinkommen sei nicht finanzierbar, ist das nächste kritische Argument. Dem wird von den linken Befürworterinnen und Befürwortern entgegengehalten: Nur wenn man nicht ernsthaft umverteilen will. Außerdem: Das Grundeinkommen refinanziert sich zu fast einem Drittel selbst. Es gilt die Faustformel, dass ca. dreißig Prozent der staatlichen Ausgaben, die sich in Einkommenssteigerungen gerade bei den untersten Einkommensschichten bemerkbar machen, sich durch erhöhte Nachfrage steuerlich amortisieren.
Ein weiteres Gegenargument ist, dass das Grundeinkommen die Erwerbslosen abschreiben würde. Das Gegenteil ist der Fall!. Das Grundeinkommen hätte den Effekt, dass viele Vollzeitbeschäftigte kürzer treten würden, weil sie mehr Zeit mit der Familien, in Muße oder mit bürgerschaftlichem Engagement verbringen könnten. Somit würden Arbeitsplätze für Erwerbslose geschaffen.
Zu guter Letzt wird noch das Argument angeführt, dass Grundeinkommen würde allein keine Veränderung der Eigentumsverhältnisse herbeiführen. Allein sicher nicht – auch wenn es Demokratie und damit Verfügungsgewalten der Bürgerinnen und Bürger befördert, auch in der Wirtschaft. Daher sind linke Konzepte, ob nun für ein Grundeinkommen oder für eine sozialökologische Gestaltung der Gesellschaft mit weiteren Vorschlägen für eine demokratische Verfügung über das allen Gehörige verbunden – ob nun über die Natur- oder andere Produktionsmittel. Letztlich geht es darum, ob über das Wie und das Was der Produktion demokratisch entschieden wird oder nicht.
Das Grundeinkommen ist also mit links zum machen. Mit links heißt mit einer politischen Bewegung der Bürgerinnen und Bürger für ein gutes Leben für alle, die die genannten kritischen Argumente ernst nimmt und sowohl konzeptionell als auch praktisch-politisch bei der schrittweisen Einführung des Grundeinkommens berücksichtigt.
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