- Der Euro ist es wert
Ein Ende der Währungsunion führt ins wirtschaftliche Desaster. Mehr gemeinschaftliche Haftung und ein stärkeres Europa bieten mehr Sicherheit für Deutschlands Steuerzahler
In der Diskussion über die Zukunft des Euro haben „Wutbürger“ und „Wutökonomen“ die Oberhand gewonnen. Gleichermaßen verängstigt, enttäuscht und aufgebracht, sehen sie durch die Währungsunion den Wohlstand und die Ersparnisse in Deutschland bedroht. Die Krise des Euro ist für sie zum einen das Resultat einer grundlegenden Fehlkonstruktion sowie einer unzureichenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Reformbereitschaft der „Südländer“, zu denen in der Regel auch das im Norden gelegene Irland gerechnet wird. Zum anderen werden dafür „die Politiker“ verantwortlich gemacht, die sich ohne Hemmungen über die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts ebenso hinweggesetzt haben wie über die Nichtbeistandsklausel (No-bail-out-Klausel) des Vertrags von Maastricht, die eine Haftung für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten ausschließt.
Vor lauter Wut wird dabei völlig übersehen, dass die öffentliche Verschuldung auch in anderen großen Volkswirtschaften der Welt deutlich höher ist als noch vor einem Jahrzehnt und dass die Neuverschuldung des Euroraums dabei weitaus geringer ausfällt als etwa in den Vereinigten Staaten, Japan oder Großbritannien. Und so wird vieles als Defekt des Euro angesehen, was in Wirklichkeit die Folge eines gewaltigen Erdbebens ist, das die gesamte Weltwirtschaft mit der globalen Finanzkrise erfasst hat. Noch sehr viel weniger wird das tiefer liegende Problem erkannt, dass die Weltwirtschaft nicht mehr nachhaltig wachsen kann, wenn die Einkommensverteilung immer ungerechter wird. Die hohen Staatsdefizite waren nichts anderes als Substitute für die fehlende Kaufkraft der vom allgemeinen Wirtschaftswachstum abgekoppelten Durchschnittsarbeitnehmer.
Aber davor verschließt man in Deutschland gerne die Augen, nicht zuletzt weil man einer D-Mark-Nostalgie anhängt. Der Euro wird immer noch als Teuro wahrgenommen, obwohl die deutsche Inflationsrate nach 1999 deutlich niedriger war als zu Zeiten der Bundesbank-Autonomie. In den Köpfen vieler Deutscher hat sich die Überzeugung festgesetzt, dass der Euro nur Nachteile gebracht habe (abgesehen von den Erleichterungen bei Auslandsreisen) und dass „wir“ die Zahlmeister der Union seien, die zunehmend für die Verfehlungen der „anderen“ aufkommen müssten.
Wut, Angst und Enttäuschung sind generell schlechte Ratgeber. Beim Thema Euro hat dieses unselige Dreigestirn inzwischen bei vielen Ökonomen und Politikern zu einer völligen Blockadehaltung geführt. Ausdruck dieses „bis hierher und nicht weiter“ sind die Klagen gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus, die mit der Forderung verbunden werden, keine weitere Aufstockung der Rettungsfazilitäten zuzulassen, sowie die Kritik an Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank. In die gleiche Richtung gehen die Appelle, die No-bail-out-Klausel und die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts von nun an strikt einzuhalten. Dass sich Deutschland dabei nicht gerade rühmlich hervorgetan hat, wird von den Kritikern gerne unter den Teppich gekehrt. Zudem werden mit dem Plädoyer für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und anderen Vorschlägen für eine partielle Auflösung der Währungsunion schon erste Versuche eines Rückzugs aus dem Euro eingeleitet.
Natürlich ist es völlig legitim, auf die Risiken der Rettungsschirme und weiterer Maßnahmen hinzuweisen und über mögliche Optionen für Griechenland oder andere Krisenländer nachzudenken. Aber man muss sich dabei der Tatsache bewusst sein, dass der Euro um sein Überleben kämpft. Das System ist in den beiden vergangenen Jahren so stark destabilisiert worden, dass es derzeit nur mit Rettungsschirmen und den Hilfen der EZB überlebensfähig ist. Wer dazu aufruft, diese intensivmedizinischen Maßnahmen sofort einzustellen, nimmt billigend den Tod des Euro in Kauf. Man kann es daher nur als Ausdruck der Verwirrung ansehen, wenn man das Einstellen der künstlichen Beatmung in der aktuellen Debatte sogar als Rettung und Stärkung des Euro verkaufen kann. Denn es geht längst nicht mehr um die Frage, ob die EZB Anleihen kaufen soll oder nicht. Es geht allein darum, ob wir den Euro so weiterentwickeln, dass er wieder aus eigener Kraft lebensfähig ist, oder aber zurück zur D-Mark wollen.
Für die Zukunft der Währungsunion werden die nächsten Wochen und Monate entscheidend sein. Mit jedem Tag, den die Krise sich unkontrolliert weiterfrisst, nehmen die zentrifugalen ökonomischen und politischen Tendenzen zu, sodass es eines immer größeren Kraftakts bedürfen wird, die schwierigen Operationen vorzunehmen, die für eine grundlegende Neugestaltung der Währungsunion erforderlich sind.
Seite 2: Es geht um „Alles oder Nichts“
Ob dies gelingen wird, ist alles andere als sicher. Politiker, die wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder bereit waren, das aus ihrer Sicht Notwendige zu tun – auch wenn es unpopulär war und wohl wissend, dass sich dies für ihre Wiederwahlchancen nachteilig auswirken würde –, sind heute selten geworden. Vielmehr lassen sie sich von den antieuropäischen Stimmungen in den Medien und der Bevölkerung treiben und tragen so wiederum dazu bei, diese zu verstärken. Und da dann doch immer wieder kurzfristige Rettungsmaßnahmen unvermeidlich sind, steigt die Verdrossenheit über die Politiker, die deutsche Steuergelder scheinbar in Fässern ohne Boden versenken.
Die deutsche Politik muss daher sehr mutig sein, und das wird ihr nur möglich sein, wenn sie sich selbst und der Öffentlichkeit bewusst macht, dass es nicht mehr um einzelne Reparaturmaßnahmen, nicht mehr um eine Abfolge halbherziger Rettungsgipfel, sondern um ein „Alles oder Nichts“ geht.
Wir stehen vor der grundsätzlichen Entscheidung, ob wir zurück zur D-Mark wollen oder aber bereit sind, einen großen Schritt in die Richtung einer stärkeren europäischen Integration zu gehen. Der Versuch, den Status quo durch immer neue Rettungsmaßnahmen zu stabilisieren, wird ebenso scheitern wie Zwischenlösungen, die einen zeitweisen Austritt einzelner Länder aus der Währungsunion vorsehen.
Europa verdient unser Vertrauen, auch wenn im vergangenen Jahrzehnt vieles falsch gelaufen ist. Alle Beteiligten, nicht nur Griechenland, sondern auch Deutschland und die Europäische Zentralbank, haben in den Jahren 1999 bis 2007 auf ihre Weise zum Ausbruch der Krise beigetragen. Und natürlich haben die Finanzmärkte in Europa einen ähnlich großen Flurschaden angerichtet wie in den Vereinigten Staaten. Seit 2010 haben sich alle Problemländer tapfer bemüht, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren und Strukturreformen in Angriff zu nehmen. Wenn die Erfolge nicht sichtbarer sind, liegt dies nicht zuletzt an dem Wirtschaftseinbruch, der von den rigiden Sparprogrammen ausgelöst wurde. Man kann sich in Griechenland sicher noch größere Anstrengungen vorstellen, aber es kommt auf die Perspektive an. Es ist nicht nur unfair und einseitig, wenn deutsche Politiker die ganzen Bemühungen mit dem Bild des „halb leeren Glases“ darstellen, wo man sie durchaus als „halb volles Glas“ präsentieren könnte. Es führt auch zu einem völligen Unverständnis in der Bevölkerung, wenn dieselben Politiker dann kurz darauf zusätzliche Rettungsmaßnahmen für ebendiese Länder beschließen. Vor allem aber sollte man berücksichtigen, dass es heute im aktuellen Krisenumfeld für ein einzelnes Land kaum noch möglich ist, sich gegenüber teils panischen, teils aggressiven Finanzmärkten alleine zu behaupten, wir also alle in der Verantwortung stehen.
Mit dem Euro 2.0 soll ein Lösungsweg aufgezeigt werden, der nach einer temporären Stabilisierung durch die EZB möglichst schnell eine grundlegend neue Architektur der Währungsunion ansteuert. Sie erfordert neben der Säule einer einheitlichen Geldpolitik unter der Verantwortung einer politisch unabhängigen Notenbank eine zweite Säule einer fiskalischen Integration unter der Regie einer demokratisch legitimierten europäischen Institution. Konkret muss der Euro 2.0 durch eine sehr viel direktere Kontrolle über Mitgliedsländer mit einer unsoliden Fiskalpolitik gekennzeichnet sein. Das setzt einen nationalen Souveränitätsverzicht zugunsten eines durch das Europäische Parlament legitimierten „Europäischen Finanzministers“ voraus. Im Gegenzug sollte den Mitgliedsländern eine Finanzierung im Rahmen einer Gemeinschaftshaftung eröffnet werden, die sie vor den durch Panikattacken ausgelösten überzogenen Renditeforderungen der Finanzmärkte schützt. Beides zusammen gewährleistet stabile und nachhaltige öffentliche Finanzen im Euroraum und bietet damit zugleich den besten Schutz für die deutschen Steuerzahler, Sparer und Rentner vor Regressansprüchen aufgrund einer Garantieübernahme für andere Staaten. Es gibt keinen Zweifel, dass die mit dem Euro 2.0 verbundene Übertragung von nationaler Souveränität auf die europäische Ebene nationale Referenden erforderte. Ob dies in Deutschland positiv für den Euro ausfallen würde, ist alles andere als sicher. Aber es kommt auf die Alternativen an.
Seite 3: Die Folgen eines Scheiterns der Währungsunion
Der Schritt in die Richtung einer stärkeren europäischen Integration ist nicht ohne Risiken. Doch dies gilt in noch sehr viel stärkerem Maße für alle anderen Lösungen, die zwangsläufig einen Ausstieg aus der Währungsunion bei voller Fahrt bedeuten würden. Die schlechteste Variante wäre ein weiteres „Durchwursteln“, wie wir es in den vergangenen 30 Monaten erlebt haben. Es droht zu einem ökonomischen und politischen Desaster zu führen. Ohne einen Strategiewechsel muss man damit rechnen, dass der Euroraum immer tiefer in die Rezession gerät, und dass Banken nur mit immer größeren Haftungsverpflichtungen für Deutschland zu stabilisieren sind. Am Ende wäre der Zusammenbruch der europäischen Gemeinschaftswährung dann doch nicht zu verhindern.
Kaum besser als ein solcher „Schrecken ohne Ende“ wäre ein „Ende mit Schrecken“, das in einer gezielten Auflösung der Währungsunion bestünde. Neben den schwer kalkulierbaren Risiken des Übergangs würde sich die deutsche Wirtschaft einer massiven Aufwertung der neuen D- Mark nicht nur gegenüber den anderen europäischen Währungen, sondern auch gegenüber dem US-Dollar, dem japanischen Yen und dem chinesischen Renminbi ausgesetzt sehen. Das Schicksal unserer Wirtschaft läge dann mehr denn je in den Händen der völlig unkalkulierbaren Finanzmärkte. Die Erfahrungen Japans zeigen, wie sehr ein wirtschaftlich hoch leistungsfähiges Land dabei in eine deflationäre Entwicklung und eine extrem hohe Staatsverschuldung geraten kann.
Die Folgen eines Scheiterns der Währungsunion gingen jedoch weit darüber hinaus. Wenn die Weltwirtschaft nach Jahrzehnten eines vor allem durch private und dann öffentliche Verschuldung getriebenen Wachstums wieder zu einem nachhaltigen Entwicklungsmodell zurückfinden soll, müssen die Einkommen weltweit gerechter verteilt werden. Das setzt voraus, dass die Rechte von Arbeitnehmern und die Stellung von Gewerkschaften gestärkt und nicht noch weiter geschwächt werden. Im nationalen Alleingang ist das unter dem Druck des globalen Wettbewerbs heute kaum noch durchsetzbar. Allein die Europäische Union kann hierfür den notwendigen Rahmen bieten, doch er wird nur genutzt werden, wenn sich die Staaten Europas in erster Linie als solidarische Partner und nicht als antagonistische Konkurrenten verstehen. Die große Chance der Eurokrise besteht darin, dass die Mitgliedsländer gemeinsam die Kraft finden, den Schritt nicht nur zu einer stabileren Währungsunion, sondern auch zu einem sozialeren Europa zu wagen.
Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus Peter Bofingers neuem Buch „Zurück zur D-Mark? Deutschland braucht den Euro“, das Anfang Oktober bei Droemer erscheint.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.