- „Der Euro spaltet Europa“
Der Euro und eine falsche Politik sind Schuld – an den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Griechenland und der Spaltung Europas, erklärt Börsenmakler und Buchautor Dirk Müller
Herr Müller, mit welchem Mickey-Maus-Helden können Sie sich am ehesten identifizieren?
Am sympathischsten ist mir Donald, der ist so schön menschlich.
Ich frage deshalb, weil es eine Mickey-Maus-Heft-Sonderausgabe mit Ihnen gibt, in der vernehmlich junge Leser mit allerhand monetärem Jargon konfrontiert werden. Muss Kindern das wirklich schon so früh vorgekaut werden?
Damit kann man sich nicht früh genug auseinandersetzen. Kinder werden ja auch schon ganz früh mit dem Geldausgeben konfrontiert, beispielweise wenn über Werbung versucht wird, Kindern das Geld aus den Taschen zu ziehen. Kinder sollten deshalb bereits früh den Zusammenhang kennen.
Um im Bild zu bleiben: Angela Merkel gibt in Europa zur Zeit den knausrigen Dagobert. Bräuchten wir aber nicht vielleicht ein bisschen mehr Panzerknackermentalität?
Weder das eine noch das andere. Bei Europa ist eine Dimension erreicht, in der wir den Comicstrip auch wieder verlassen sollten. Hier geht es um zu viel. Hier geht es um die Gefährdung demokratischer Strukturen. Wir wenden zurzeit eine Strategie an, nämlich extreme Sparmaßnahmen in der Krise, die wir selbst als fehlerhaft erleben mussten. Als es uns 2008/2009 an den wirtschaftlichen Kragen ging, haben wir das Gegenteil von dem getan, was wir heute propagieren. Deshalb ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, warum wir wider besseren Wissens und Erfahrung von unseren Nachbarn das genau andere erwarten und verlangen.
Merkel spielte zuhause die Keyensianerin, um dann in Europa das große Sparen zu verkünden.
Absolut. Ich denke an die Abwrackprämie, die wir in Deutschland umgesetzt haben in einer Phase, in der es hier wirtschaftlich problematisch zuging. Auch wir waren sehr stark verschuldet. Es ist ja nicht so, als ob Deutschland das Land der Glückseligen wäre. Auch wir haben in die Krise hineininvestiert und völlig fragwürdige Programme wie die Abwrackprämie aufgelegt. Und jetzt verlangen wir von den Nachbarn, das Gegenteilige zu tun. Noch dazu: Die ganze Welt sagt, es sei der falsche Weg, bis auf den IWF und die Bundesregierung. Wenn mir auf der Autobahn Hunderte entgegen kommen, dann muss ich doch irgendwann einmal überlegen, ob ich nicht irgendwo falsch abgebogen bin. Mir fehlt vollkommen das Verständnis dafür, warum wir dieses Programm in dieser Aggressivität fahren.
Nach dem Tabubruch der Teilenteignung für zypriotische Sparer geht eine neue Art der Angst in Europa um. Ist damit eine neue Dimension in der Krise erreicht?
Es ist nur eine weitere Steigerung. Offen gestanden konnte ich die Aufregung um die zypriotischen Entwicklungen nur bedingt nachvollziehen. Was ich nachvollziehen konnte, war der Tabubruch mit den 100.000 Euro. Man macht die abenteuerlichsten Verrenkungen, um das Vertrauen der Banken nicht zu erschüttern, aber mit dem Vertrauen der Bürger wird gespielt. Dass grundsätzlich aber die Bankkontoinhaber beteiligt werden, hat mich überhaupt nicht überrascht. Wenn ich mein Geld zur Bank trage, dann leihe ich es der Bank. Das ist wie wenn ich meinen Nachbarn Geld leihe. Wenn der Pleite ist, ist die Kohle weg. Das ist bei der Bank nichts anderes. Aber wir haben den Bürger bewusst im Irrglauben gelassen, es wäre anders.
Sie sagen, „der Euro ist der Spaltpilz für Europa.“ So formuliert es auch die neue Euro-Kritiker-Partei Alternative für Deutschland. Denken Sie über einen Beitritt nach?
Ganz sicher nicht. Ich bin und bleibe unabhängig. Ich stelle lediglich meine Gedanken, meine Ideen vor, bin aber auch demütig genug, zu sagen, dass ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen habe. Und: Ich sage, ja, wir brauchen das gemeinsame Europa. Ich bin von klein auf ein großer Freund und glühender Anhänger eines gemeinsamen Europas. Die Unterschiedlichkeit in Europa ist ein großer Segen. Wir brauchen Mischwald und keine Monokultur. Es entstehen immer gegenseitige Synergien, wenn man unterschiedliche Stärken hat und diese auch zulässt. Die gemeinsame Währung zwingt aber alle, im Gleichschritt zu marschieren und Ungleichheiten auszumerzen. Das ist ein großer Fehler. Jeder soll sich nach seinen Stärken orientieren, damit letztlich alle profitieren.
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Sie sagen also, Deutschland habe nicht vom Euro profitiert?
Die Argumente der Eurobefürworter habe ich in meinem Buch widerlegt: Nehmen Sie das Friedensargument. Wir haben in Polen den Sloty und mir ist nicht aufgefallen, dass wir gegen Polen Krieg führen, oder vor der Euroeinführung irgendwo der Frieden gefährdet war. Der Euro führt dazu, dass wir bürgerkriegsähnliche Zustände in Griechenland haben. Das ist die Folge einer falschen Währung und einer falschen Politik damit umzugehen. Deshalb ist der Euro zurzeit der Spaltpilz.
Ich nehme aber auch die Sorgen derer ernst, die sagen, dass wir den Euro brauchen. Es heißt, wir brauchen diese übergeordnete Abrechnungswährung, die geringere Schwankungen hat, als Einzelwährungen, die man dann im internationalen Handel einsetzen kann. Dann sage ich, OK, lasst uns einen Kompromiss finden. Lasst uns den Euro behalten, alle Eurokonten, alle Eurodarlehen und die Staatseinleihen. Gleichzeitig aber führen wir in allen Ländern die eigene nationale Währung als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel ein. Wir wären dann praktisch genau dort, wo wir schon einmal waren. Beim Ecu. Der wurde ja nicht von Idioten entworfen, sondern überlegt eingesetzt. Warum also nicht dahin zurückgehen? Eine gemeinsame Währung als übergeordneten Abrechnungskorb, bei gleichzeitiger Beibehaltung der nationalen Währungen. So könnte sich jedes Land gemäß der eigenen Geschwindigkeit entwickeln.
Aber der Ecu war als Übergangslösung gedacht. Warum immer zurück, warum nicht vorwärts, in eine tatsächliche politische Union?
Natürlich, wir brauchen diese Union definitiv. Mit dem Euro kann es nur funktionieren, wenn wir zu riesigen Transferzahlungen bereit sind. Wir werden aber niemals in der Lage sein, die unterschiedlichen Regionen in Europa wirtschaftlich in ein Gleichgewicht zu bringen. Das funktioniert ja nicht einmal in der Bundesrepublik. Hier haben wir eine Währungsunion und politische Union, also das, was wir für Europa wollen. Wir haben es aber bis heute nicht geschafft, die Saarländer auf ein ähnliches Niveau wie Baden-Württemberg zu heben. Nicht, weil wir es mit faulen Pleitesaarländer zu tun haben, sondern weil dort historisch bedingt etwas ganz anderes gewachsenen ist.
Aber genau an diesem Beispiel sieht man doch, dass eine Währungsunion auch eine Verantwortungsgemeinschaft ist, die man nicht bei der ersten Krise verlässt.
Richtig, aber ich sehe die Verantwortungsgemeinschaft in Europa längst noch nicht hergestellt. Die Unterschiede zwischen Saarland und Baden-Württemberg sind das eine, die Unterschiede zwischen Ländern in Nord und Südeuropa dagegen XXL. Wir können doch nicht sagen, alle müssen so sein wie wir. Wir müssen akzeptieren, dass andere Länder andere Lebensmodelle haben. Eine gemeinsame Währung aber zwingt die Menschen in Bedingungen, die sie nicht haben wollen und auch nicht haben können.
Der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn ist der Ansicht, dass bei einer Wiedereinführung der D-Mark massive Verluste an Auslandsvermögen zu erwarten seien, inklusive einer dramatischen Aufwertung der Neo-D-Mark, die die deutsche Exportindustrie in eine tiefe Krise stürzen würde.
Dem muss ich widersprechen. Wenn wir tatsächlich zu einer nationalen Währung zurückgingen, würden vielleicht unsere Exporte etwas teurer, sie blieben aber noch immer wettbewerbsfähig. Am Ende verkaufen wir unsere Produkte nicht über den Preis, sondern über Qualität. Wer einen Mercedes kaufen will, der kauft ihn nicht wegen des Preises, sonder wegen der Qualität, der Innovation, dem Know-how. Eine positive Folge wäre eine deutliche Anhebung der Kaufkraft der Bürger. Wir hätten vielleicht im Export ein paar Prozent weniger, aber die Binnennachfrage würde steigen. Das wäre der Effekt einer stärkeren Währung. Das halte ich für den wesentlich besseren Weg. Aber wir reden nicht über einen Zusammenbruch der deutschen Exportindustrie. Als wir die DM hatten, eine Währung die jederzeit zu unserer Leistungsfähigkeit passte, waren wir Exportweltmeister. Deutschland hat es überhaupt nicht nötig, sich diese Exportfähigkeit zu ergaunern.
Wann fangen wir an, der Krise auch etwas Positives abzugewinnen? Nie war die EU so präsent, wie in dieser Krise. Wann hat sich die deutsche Öffentlichkeit denn schon einmal für Zypern interessiert? Zum ersten Mal erleben wir so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit.
Das stimmt. Ich bin großer Fan Europas und ich freue mich, wenn wir darüber diskutieren. Ich wünsche mir, das Europa in Zukunft eine Rolle spielt, nicht mit flammendem Schwert, nicht mit der sechsten Flotte, sondern als friedlicher Riese. Wir haben diese Möglichkeit. Wir sind mit 500 Millionen Menschen der größte Zusammenschluss dieser Art. Wir haben die besten Ingenieure, einen moralischen Fundus, das begeistert, ein humanistisches Weltbild, Werte auf die wir Europäer stolz sein dürfen. Ich glaube, Europa hat eine große Chance, wir müssen es nur richtig machen.
Gibt es also doch noch Hoffnung, von den „Vereinigten Schulden von Europa“, wie Sie sie in Ihrem Buch nennen, vielleicht irgendwann einmal zu den Vereinigten Staaten von Europa zu gelangen?
Ich würde mir die Konföderierten Staaten von Europa wünschen. Oder ein Europa der Regionen. Ein Europa von unten, das die Bürger mitnimmt. Weg von einer zentralistischen Gesellschaft hin zu einer dezentralisierten. Zurzeit erleben wir das im Informations- und Energiebereich. Das gleiche werden wir auch im Bereich der Politik erleben. Die Menschen haben keine Lust mehr auf die alten Strukturen, haben keine Lust mehr, nur alle vier Jahre die Hand zu heben. Sie sind politisch und wollen sich zielgerichtet einsetzen, haben aber keine Lust auf eine lange Parteikarriere. Die Menschen wollen sich mit Ihren Ideen und Gedanken einbringen. Das sollten wir in einem dezentralen System Europas nutzen.
Am 30. April 2013 erscheint Dirk Müllers neues Buch "Showdown - Der Kampf um Europa und unser Geld"
Das Interview führte Timo Stein
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