- „Der Rettungsschirm grenzt an Veruntreuung von Steuergeldern“
CICERO Online sprach mit dem Börsenexperten Dirk Müller über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms, darüber, warum die Währungsunion keine Zukunft hat, über die Taschenspielertricks der USA und er erklärt, wie die Politik versucht, unsere Probleme per Druckerpresse zu beseitigen.
Herr Müller, am Donnerstag entscheidet der Bundestag
über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms. Der mit Garantien von
über 780 Milliarden Euro ausgestattete EFSF-Rettungsfonds soll über
440 Milliarden Euro an finanzschwache Staaten vergeben können. In
der CDU/CSU-Fraktion gibt es Widerstand. Was ist Ihre Meinung als
Experte?
Hier wird versucht, ein Problem
wegzuinflationieren. Die Situation, in der wir uns befinden, ist
extrem gefährlich und wie es scheint, bekommen wir sie momentan
nicht in den Griff – wir stehen wirklich am Abgrund. Die Ausweitung
des Rettungsschirms ist ein verzweifelter Versuch, etwas
aufrechtzuerhalten, das auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten ist. Die
Währungsunion hat, so wie sie jetzt ist, keine Zukunft.
Was ist von dem Vorschlag zu halten, dem Rettungsfonds
eine Banklizenz zu geben, so dass er sich Geld direkt bei der
Europäischen Zentralbank (EZB) leihen kann?
Das ist
eine Farce, ein Witz der Wirtschaftsgeschichte. Woher bezieht die
EZB denn dieses Geld? Sie druckt es aus dem Nichts heraus, und zwar
beliebig und so oft sie will. Das heißt doch im Grunde nichts
anderes, als dass die Politik keinen besseren Weg findet, als die
Schulden und damit die Probleme der Staaten per Druckerpresse zu
beseitigen. Das hat sie in den letzten Jahrhunderten viele Male
gemacht. Doch damit werden die Bürger enteignet, eine solche
Politik hat eine große Inflation zur Folge.
Wo liegt Ihrer Meinung nach das Problem?
Wir haben ein weltweites Verschuldungsproblem und zusätzlich ein
hausgemachtes Europroblem, das aber nicht nur die Griechen
betrifft, sondern alle Staaten des Euroraums gleichermaßen. Der
Euro passt einfach nicht auf diese vielen verschiedenen Staaten.
Jeder Staat ist komplett eigenständig, mit eigenen wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen. Es ist irrsinnig zu glauben, man könne eine
Währung über all dies einfach drüberlegen. Die unterschiedlichen
Währungen sind schließlich ein Puffer zwischen den Staaten. Vor
einigen Wochen konnten wir beobachten, dass der Schweizer Franken
aufgrund von Verschiebungen am Kapitalmarkt etwas stärker geworden
ist. Sofort kamen die Käufer über die Grenze nach Deutschland und
plünderten in Konstanz die Läden. Es zeigt sich: eine kleine
Verschiebung bei den Wechselkursen sorgt für eine große
Verschiebung bei den Warenströmen. Die Griechen haben mit dem Euro
eine Währung, die für sie eindeutig zu schwer ist – wie für die
Schweiz der Franken plötzlich zu schwer war.
Hätte das Einführen einer politischen Union diese
Probleme abwenden können, oder war der Euro von Anfang an ein
Denkfehler?
Absolut. Man hätte eine Fiskalunion
schaffen müssen – so etwas wie die vereinigten Staaten von Europa.
Wir bräuchten einen gemeinsamen Staat, in dem wir Zentralsteuern
erheben und die Verwaltung einheitlich gestalten. Dann lässt es
sich (vielleicht) mit einer gemeinsamen Währung leben.
Aber wir sind ja hier nicht in den USA. Die einzelnen
europäischen Staaten sind so unterschiedlich aufgebaut, kann eine
politisch flankierte Währungsunion in Europa überhaupt
funktionieren?
Genau aus diesem Grund haben wir ja
keine Fiskalunion. Man ist davon ausgegangen, dass sich mit dem
Einführen der Währungsunion die Staaten schnell einander annähern
und dadurch eine politische Union entsteht, bevor uns die Probleme
einholen. Helmut Kohl, der Vater des Euro, hat 1991 in einer Rede
vor dem deutschen Bundestag wortwörtlich gesagt: „Es ist ein
Irrglaube anzunehmen, dass eine Währungsunion ohne politische Union
langfristig wird funktionieren können.“ Und er wusste es. Viele
wussten, dass es schief gehen würde. Und jetzt, zehn Jahre später,
stehen wir von einem Scherbenhaufen. Wir haben nun vier
Möglichkeiten: Entweder wir schaffen die Währungsunion wieder ab
bzw. fahren sie auf ein vernünftiges Maß zurück. Das würde
beispielsweise einen Kern-Euro mit halbwegs gleichstarken Staaten
wie Deutschland, Frankreich und der Niederlande einschließen. Die
zweite Möglichkeit ist, den Euro komplett aufzulösen. Oder wir
schaffen eine Verschuldungsunion, das heißt, wir sind in den
nächsten Monaten und Jahren bereit, Transfersummen in
Milliardenhöhe unter den Staaten hin- und herzuschieben. Am
wünschenswertesten wäre sicherlich für viele Variante vier, die
Schaffung einer echten politischen Einheit; das ist aber bei der
aktuellen politischen Situation eher unwahrscheinlich.
Lesen Sie auf der nächsten Seite über die Idee eines Kern-Euros und die Taschenspielertricks der USA in der Eurokrise.
Was würde die Rückkehr zur D-Mark oder das Umschwenken
auf einen, wie Sie ihn nennen, Kern-Euro für uns
bedeuten?
Die Griechen haben mit dem für sie zu hohen
Euro kein Geschäftsmodell. Sie konnten ihre Wirtschaft über die
letzten Jahre nur über immer höhere Kredite am Leben erhalten, bis
es nicht mehr ging. Bei uns ist genau das Gegenteil passiert: Der
Euro war schwächer als die D-Mark, was uns direkte
Wettbewerbsvorteile brachte. Es gab einen Konjunkturschub, von dem
aber nur die großen Unternehmen zehren konnten, der Bürger hingegen
nicht. Denn obwohl wir Überschüsse im Export hatten, ist
gleichzeitig die Kaufkraft beim Bürger gesunken. Er wurde mit zu
schwacher Währung für seine Leistung bezahlt. Wenn jetzt
Deutschland zur D-Mark oder von mir aus einem Kern- bzw.
„Nord-Euro“ umschwenken würde, wären wir ebenso wettbewerbsfähig.
Wir verkaufen hier ja keine Bananen, die sich am Preis orientieren,
sondern Hochtechnologie.
Dann halten Sie also Frau Merkels Angst um den Export,
sollten wir zur DM zurückkehren, für Unfug?
Ja. Zu
DM-Zeiten haben wir doch auch exportiert, oder nicht? Es ist Unfug
zu behaupten, eine starke Währung wäre für uns katastrophal. Im
Gegenteil. Für die Bürger wäre es von Vorteil, weil sie mehr
konsumieren könnten und die Kaufkraft ansteigen würde. Wir wären
nicht mehr nur vom Export abhängig, wie wir es jetzt sind, sondern
hätten auch eine stärkere Binnennachfrage, was wesentlich
sinnvoller wäre.
Wenn diese Entwicklungen vorhersehbar war, wie Sie
sagen, warum ist Europa dann auf eine solche Finanzkatastrophe
nicht besser vorbereitet?
Es gibt Leute, die sehr gut
darauf vorbereitet sind. Nach meiner Einschätzung, Recherche und
Information haben die Amerikaner diese Entwicklung seit etlichen
Jahren vorhergesehen. Und wenn ich unterstelle, dass sie es haben
kommen sehen, ja sogar mitorganisierten und mitgestalteten, um
jetzt alles zu tun, um in der Zeit danach wieder die Pole Position
zu besetzen, wenn ich das voraussetze, dann sind alle Aktionen, die
von den USA in den letzten drei Jahre ausgingen, sinnvoll,
nachvollziehbar und erfolgreich.
Ist es nicht vermessen, hier von politischem Kalkül zu
sprechen? Bedenkt man die Aufregung um die Anhebung der
amerikanischen Schuldengrenze vor ein paar Wochen, wirkte das doch
alles höchst dramatisch.
Das sind
Taschenspielertricks, nicht mehr.
Apropos politisches Kalkül: Kommen wir zum Thema
Schuldenschnitt. Seit fast anderthalb Jahren wird Griechenland
durch Finanzhilfen der andern Euro-Länder gestützt, ohne sichtbaren
Erfolg. Die deutschen Wirtschaftsweisen fordern jetzt gemeinsam mit
französischen Regierungsberatern einen radikalen Schritt: Die
Hälfte der Schulden solle Griechenland erlassen werden. Ist das der
richtige Weg?
Der Schuldenschnitt kommt so sicher wie
das Amen in der Kirche. Der gesamte Markt rechnet damit. Ich finde
es deshalb unverantwortlich, dass wir den Griechen jetzt noch
Steuergelder hinterherschmeißen. Das ist Veruntreuung von
Steuergeldern. Die Politiker in Deutschland verstehen doch zum Teil
gar nicht, was da passiert – die Amerikaner hingegen sehr wohl. Was
wir momentan erleben, ist ein konzentrierter Angriff gegen Europa
und den Euro. Die wirtschaftlichen Probleme in den USA sind weit
dramatischer als in Europa. Trotzdem schafft es Amerika, die Wall
Street, die Ratingagenturen die Brandfackel nach Europa zu
schleudern.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Deutschland Angst um seine Topbonität haben muss.
Macht man es sich damit nicht ein bisschen einfach,
hinter den USA den Wolf im Schafspelz sehen zu wollen, anstatt sich
an der eigenen Nase zu fassen?
Zweifellos hat Europa
massive Probleme, die zum Teil selbstverschuldet sind. Nur müssen
wir diese auch in Relation setzen. Die Lage in Amerika ist
katastrophal und auch die Probleme der Briten oder der Japaner sind
mindestens genauso groß, wenn nicht noch größer als unsere. Aber
das wird komplett ignoriert. Und hier stellt sich die Frage, woher
das politische Interesse kommt.
David Beers von Standard&Poor's ließ diese Woche
verlauten, dass die Ausweitung des Euro-Rettungsfonds die
Kreditwürdigkeit Deutschlands massive bedrohe. Ist das ernst zu
nehmen?
Die Ratingagenturen werden Deutschland
herabstufen, ganz sicher. Aber auch hier ist doch die Frage, wessen
Lied diese Agenturen singen? Wir reden von zwei privaten
amerikanischen Unternehmen, die, ohne dass sie es näher begründen
müssen, darüber entscheiden, wer auf dieser Welt Geld bekommt und
wer nicht, und wenn ja, zu welchem Preis. Die Amerikaner tun seit
Jahren alles, um ihre Macht zu erhalten. Und da glauben wir allen
Ernstes, dass sie auf dem wichtigsten Schlachtfeld, der Wirtschaft,
das einfach dem Markt überlassen? Nie im Leben.
Aber ganz egal, ob diese Agenturen nun frei oder nicht
frei arbeiten. Hätten wir ein unabhängiges europäisches Organ,
stellt sich doch vielmehr die Frage, ob die Meinung einer neuen,
jungen, vergleichsweise schlecht etablierten Ratingagentur
ohne jegliche Erfahrungswerte ein ähnliches Gewicht in der
Meinungsbildung hätte.
Die Chinesen haben auch eine
Ratingagentur. Warum können wir nicht eine Agentur schaffen, die
staatlich finanziert und dennoch komplett unabhängig ist, wie
unsere Richter? Dazu kommt, wieso entlassen sich die Banken selbst
aus der Verpflichtung, Risiken abzuschätzen, zu bewerten und damit
zu bepreisen? Das ist doch eigentlich ihre ureigenste Aufgabe!
Auf lange Sicht gesehen, werden wir uns von dieser Krise
wieder erholen?
Natürlich, das ist ja Teil des
Systems! Es wird passieren, was seit Jahrhunderten passiert: Es
kommt zum Reset, zu einem großen Schlag, zu einer Umverteilung von
oben nach unten, entweder über die Währungsreform,
Schuldenstreichung, Inflation oder über einen „New Deal“. Es gibt
verschiedene Wege, um aus der Misere zu kommen. Welchen wir in den
nächsten Jahren gehen werden, bleibt abzuwarten.
Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sarah Maria Deckert.
Dirk Müller, besser bekannt als „Mr. Dax“, ist Deutschlands prominentester Börsen- und Finanzexperte. Seit nunmehr fast 20 Jahren ist er auf dem Parkett der Frankfurter Börse zuhause. Zunächst als Rentenhändler, bevor er amtlich vereidigter Börsenmakler und später Skontroführer wurde. Sein Buch über die Weltfinanzkrise und die Hintergründe der Finanzwelt „C(r)ashkurs“ stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Sein neues Buch „Cashkurs“ erscheint am 12. September bei Droemer.
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