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Femen - „Sie wollen Brüste, also kriegen sie Brüste“

Zwei junge Femen-Frauen im Interview. Ein Gespräch über die Angst vorm ersten Mal, Actionheldin Lara Croft und den Balanceakt zwischen Exhibitionismus und Protest

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die Enkelinnen schlagen zurück. Femen, das ist die Antwort der 18- bis 28-jährigen auf einen erschlafften Feminismus, der sich im Streit um Endungen und Quoten verzettelt hat. Die jungen Frauen benutzen ihre nackten Brüste als Waffe, um gegen Prostitution, Sexismus oder die Unterdrückung der Frauen im Islam zu demonstrieren. Die Bewegung entstand 2009 in der Ukraine und  hat inzwischen Ableger auf allen Kontinenten, bis auf Asien. Hierzulande haben die 22 deutschen Aktivistinnen gerade den Verein Femen Germany e.V. gegründet. Mit dabei sind Klara Martens und Debbie, die lieber anonym bleiben möchte, beide 22, aus Berlin. Die eine studiert technischen Umweltschutz, die andere macht eine Ausbildung zur Hotelkauffrau.

 

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Klara und Debbie, Ihre Mitstreiterin Josephine W. saß mit zwei französischen Aktivistinnen in Tunis im Gefängnis, weil sie mit nackten Brüsten gegen die Inhaftierung einer tunesischen Femen-Aktivistin demonstriert hat. Mittlerweile wurde die Strafe von vier Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Wie ging es ihr in der Haft?
Klara: Den Umständen entsprechend, denke ich. Wir hatten keinen direkten Kontakt zu ihr, nur über ihre Anwältin. 

Sie hatten die Bundeskanzlerin und US-Präsident Barack Obama bei seinem Berlin-Besuch aufgefordert, sie sollten sich für ihre Freilassung einsetzen. Können Sie es nachvollziehen, dass Sie mit dieser Forderung hierzulande auf so wenig Verständnis stießen?
Klara: Eigentlich nicht. Gerade die Bundeskanzlerin sollte ein Interesse daran haben, dass ihre Bürger auch im Ausland ein faires Verfahren bekommen und nicht einfach weggesperrt werden.

Aber nach tunesischen Maßstäben war das Verfahren korrekt.
Debbie: Nach unserer Auffassung haben die Femen-Aktivistinnen nicht gegen das Gesetz verstoßen, als sie demonstriert haben. Sie wurden politische Gefangene.

Auch hierzulande ist es gesetzlich verboten, sich nackt in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Klara: Aber bei uns gilt das als Ordnungswidrigkeit, nicht als Straftat. Wir wurden für unsere Aktionen noch nicht ein einziges Mal bestraft. [[nid:54800]]

Deutschland ist aber nicht Tunesien. Hätten die Mädchen nicht lieber erst ihren Kopf und dann die Brüste gebrauchen sollen?
Klara: Die Mädchen sind nicht blind dahingefahren. Wir haben vorher recherchiert, welche Konsequenzen das haben kann. Aber deshalb zu schweigen, wäre die falsche Konsequenz. Die Demokratie hört dort auf, wo die Angst anfängt. 

Die Mädchen sollten zunächst für vier Monate ins Gefängnis. War das wirklich so ein Schock?
Klara: Ja, wir hatten damit gerechnet, dass sie ausgewiesen werden und das Vergehen mit einer Geldstrafe geahndet wird. Davon ist auch die deutsche Botschaft in Tunesien ausgegangen. EU-Bürger werden behutsamer behandelt.

Man könnte auch sagen, die Inhaftierung Ihrer Mitstreiterin Josephine W. sei ein willkommener PR-Coup gewesen. Die Meldung lief weltweit über Nachrichten-Agenturen.
Klara: Sorry, aber ich glaube, keiner sitzt gerne in einem tunesischen Gefängnis. Bei der ersten Verhandlung hatte sich ein Menschenrechtler ins Gericht geschmuggelt und die Mädchen gesehen. Er hat gesagt, die hätten Säcke auf dem Kopf gehabt und kein Wort sagen dürfen.

Hierzulande schütteln viele den Kopf über Ihren Leichtsinn. In Tunesien traf die Aktion in weiten Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis. Wem ist damit eigentlich geholfen?
Klara: Mit der Aktion wollten wir die Welt auf das Schicksal von Amina aufmerksam machen. Sie muss in Tunis für sechs Jahre ins Gefängnis, weil sie “Femen“ an eine Wand geschrieben hat. Moralisch ist es nicht vertretbar, Menschen so hart für ihre Meinungsäußerung  bestrafen. 

Sogar muslimische Frauen sind da anderer Meinung. Sie haben die Initiative „Muslima-Pride“ gegründet, als Zeichen dafür, dass sie stolz auf den Islam sind. Ist es nicht absurd, Frauenrechte gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen?
Klara: Um die Frauen, die selber ihren Mund aufmachen können, geht es uns nicht, sondern um die, die keine freie Wahl haben, ob sie sich verschleiern oder nicht.

Doch wie erkennt man das?
Klara: Gute Frage, die Grenzen sind fließend.

Kritiker werfen der Bewegung vor, den Frauen von Femen ginge es in erster Linie um die Selbstdarstellung. Den Eindruck könnte man bekommen bei den Videos, in denen sich die Gründerin Okasana Sewchenko vorstellt…
Klara: Oksana ist ein bisschen exzentrischer als die anderen. Sie zieht ihr Ding alleine durch, gehört aber zu Femen. Sie ist halt Künstlerin. Sie malt Ikonen, auch im Femen-Stil.
Debbie: Also, von mir gibt es noch kein Video. Mir geht es um die Sache, nicht um mich.

Diese Videos wecken Assoziationen mit  Lara Croft oder den russischen Feministinnen von Pussy Riot. Sind das Schwestern im Geist?
Debbie: Femen ist älter als Pussy Riot, wir fühlen uns aber mit den Frauen verbunden. Beide sind europäisch, feministisch und ein bisschen anarcho.

Und was ist mit Lara Croft?
Debbie: Das ist die Heldin eines Action-Spiels, das ich schon ein paar Mal gespielt habe. Als Aushängeschild von Femen passt die aber nicht. Wir machen ja niemanden kalt.

Immerhin machen Sie Kampfsportübungen.
Klara: Natürlich, man muss ja schnell und gelenkig sein, wenn der russische Präsident Putin zu Gast auf der Hannover-Messe ist und man es schaffen will, nach vorne zu rennen, um ihm die Botschaft ins Gesicht zu schreien: „Fuck Putin!“

Sie waren selber dabei. Wie schwer war es, sich dem Präsidenten zu nähern?
Klara: Es war viel leichter, als wir dachten. Ein roter Teppich markierte seinen Weg über das Messegelände. Wir mussten nur dem Pulk der Polizisten folgen. Am Stand von Volkswagen haben wir ihn dann abgepasst.

Wurden Sie verhaftet?
Klara: Wir wurden erst Mal von den Sicherheitsleuten zu Boden gerissen, wegtransportiert und der Polizei übergeben.

Gab es keine Anzeige?
Klara: Nee, aber ein Hausverbot für die Messe. Wir könnten jetzt noch eine Strafanzeige bekommen wegen Beleidigung eines politischen Organs. Aber bisher ist nichts passiert.

Femen entstand in der Ukraine als konventioneller Diskussionszirkel. Wer hatte eigentlich die Idee, den Busen zu entblößen?
Klara: Das war 2010 bei den Präsidentschaftswahlen. Die Femen-Aktivistinnen wussten, in welchem Wahllokal Wiktor Janukowytsch wählen würde, der dann ja auch Präsident wurde. Das wusste man ja vorher schon. Und da haben sich die Frauen gesagt: In dieses Lokal kommen so viele westliche Medien, denen müssen wir demonstrieren, dass das keine demokratischen Wahlen sind. Doch wer hört uns Frauen schon zu? Und dann haben sie sich gesagt: Die Medien wollen Brüste, also kriegen sie Brüste.

Man könnte meinen, ein Busen sei ein Busen. Warum ist die Wirkung in patriarchalen Kulturen viel größer?
Klara: Weil Männer Angst kriegen, wenn Frauen den eigenen Körper plötzlich benutzen. Frauen werden sonst immer von Männern benutzt, um für Produkte zu werben oder um Männern zu gefallen. Femen hat den Spieß umgedreht.

Viele Femen-Frauen sehen aus wie Covergirls.
Klara: Aber sie stellen ein ganz anderes Bild dar: Mit beiden Beinen im Leben stehend und die eigene Meinung herausschreiend.[[nid:54800]]

Hierzulande haben Sie schon gegen Nazis, das Finale von GNTM oder gegen Prostitution demonstriert. Die Aktionen wirken beliebig. Oder gibt es einen Rahmen?
Klara: Na klar, es geht darum, das Patriarchat zu bekämpfen. Putin zum Beispiel ist ein großer Patriarch. Der unterdrückt ein ganzes Volk. 

Klara Mertens, Sie haben Regie geführt beim Femen-Anschlag auf Heidi Klum und die Frauen aus Berlin per SMS dirigiert.Was stört Sie an der Show?
Die Sendung wird immer sexistischer. In der ersten Staffel waren die Hintern noch bedeckt beim Unterwäschelauf. Jetzt waren alle nackt. Als die Mädels Burlesque tanzen mussten, hat ein Fotograf gerufen: „Es geht nur um euren Arsch.“ Absurd, oder?

Noch absurder ist, dass viele Mädels bestimmt sauer darauf waren, dass Sie ins Finale geplatzt sind.
Klara: Auf Facebook kamen drei Mails von Mädchen, die haben geschrieben: Das ist cool, was Ihr macht. Ich hasse meinen Körper. Und wenn ich GNTM gucke, erst recht. Ihr saht viel besser aus als die. Kann ich bei Euch mitmachen?

Warum machen Sie bei Femen mit?
Klara: Ich habe ein ausgeprägtes Unrechtsempfinden und dachte immer, heutzutage kann man keine Revolution mehr starten. Aber dann habe ich eine Geschichte über Femen in der Emma gelesen. Wow, dachte ich, das ist cool. Die reden nicht nur, die machen was. Und es hat einen gewissen Witz.

Was sagen Eure Omas zu Eurem Engagement?
Klara: Meine Oma ist 76. Die sagt: Muss das sein, oben ohne?

In Deutschland wird gerade um die Quote in Aufsichtsräten gerungen. Ist das ein Luxusproblem, verglichen mit dem Kampf gegen Prostitution in der Ukraine?
Klara: Überhaupt nicht. Jedes Problem, das der Gleichberechtigung im Weg steht, ist ein großes Problem. Da spielt es keine Rolle, ob es um Frauen in Aufsichtsräten geht oder um das Recht, Auto fahren zu dürfen.

Wo ist eigentlich die Frauenbewegung geblieben? Seit dem Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen 218 hat man von denen kaum noch was gehört.
Debbie: Der deutsche Feminismus ist wahnsinnig akademisch geworden.
Klara: Und wenn man die Gesellschaft verändern will, muss man die Gesellschaft mitnehmen. Doch wie soll die Bevölkerung einsteigen, wenn sie schon das Vokabular nicht versteht? 

Was sagt es über den Zustand der Demokratie aus, dass Sie auch in Deutschland so viel Aufmerksamkeit mit nackten Brüsten erregen?
Klara: Es zeigt doch, dass unsere Gesellschaft noch viel konservativer ist, als wir denken.

Bei welcher Gelegenheit haben Sie das erste Mal öffentlich Ihre Brüste entblößt?
Klara: Im November 2012 vor dem Bordell Pascha in Köln. Es war knapp über null Grad, doch man ist in solch einem Moment so aufgeregt, dass man die Kälte nicht spürt.

Hat es Sie gar keine Überwindung gekostet?
Klara: Doch, Wochen vorher lag ich nachts wach. Es war ein Kampf zwischen Engelchen und Teufelchen. Am Ende hat Engelchen gesiegt: Mach es!

Und Ihr Freund findet es auch okay?
Klara: Ich habe gerade keinen. Aber mein Ex-Freund ist stolz auf mich.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Feministinnen der ersten Stunde: Sind das Verbündete - oder Konkurrentinnen?
Klara: Alice Schwarzer ist auf jeden Fall eine Verbündete. Wir haben uns auch schon mit ihr getroffen. Sie ist super-nett und findet es toll, was wir machen.

Alice Schwarzer sagt aber auch, dass der barbusige Protest ein Balanceakt sei. Wo hört der Protest auf, wo fängt die Selbstdarstellung an?
Klara: Wir von Femen in Deutschland haben beschlossen, uns nur für Protestaktionen oben freizumachen, nicht für arrangierte Fototermine mit der Presse oder für die Mode-Industrie.

Ihre Mitstreiterin Josephine W., die jetzt in Tunis im Gefängnis sitzt, hat immerhin schon für ein Cover der Zeit-Campus blank gezogen.
Klara: Stimmt, danach haben wir aber als Gruppe entschieden, dass wir so etwas künftig nicht mehr machen wollen. Man lernt ja noch ...  

Und wenn der Playboy anrufen würde, um Sie fürs Cover zu fotografieren und als Dankeschön eine Spende von 100.000 Euro für Femen drauflegt, würden Sie nicht nein sagen, oder?
Klara: Doch! Wir kämpfen gegen die Sex-Industrie, und der Playboy ist das Vorzeigeblatt der Sex-Industrie.

 

Das Interview führte Antje Hildebrandt

 

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