- Später Sieg für bin Laden?
Wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September griffen die USA das Talibanregime in Afghanistan an. Zehn Jahre lang dauert der Anti-Terror-Kampf nun schon – ein Ende ist nicht in Sicht. Der Gewinner im Krieg gegen den Terror könnte posthum Osama bin Laden sein.
Das Begräbnis soll schlicht gewesen sein. Irgendwo auf hoher See vor der pakistanischen Küste ließen Soldaten den Leichnam ins Meer hinab. Osama bin Laden, Amerikas Staatsfeind Nummer eins, Gründer des Terrornetzwerkes al-Qaida, Finanzier und Ideologe der Dschihadisten, war nach fast zehn Jahren von einer Spezialeinheit getötet worden. In Amerika kam es zu spontanen Freudenfeiern.
Doch mit dem Tod bin Ladens ist der Kampf gegen den Terror nicht vorbei. Auch zehn Jahre nach dem 11. September ist dessen Ende nicht abzusehen. Vor allem der Krieg in Afghanistan, der bereits länger andauert als der Krieg in Vietnam, als der Zweite Weltkrieg und als der Erste Weltkrieg, geht weiter. Die Zahl der getöteten Zivilisten und Soldaten wächst stetig. Und selbst wenn in New York in zwei Jahren auf den Trümmern des World-Trade-Centers der Freedom-Tower entstanden ist, wird am Hindukusch immer noch gekämpft werden.
Der August 2011 war der verlustreichste Monat für die US-Truppen seit Kriegsbeginn: 67 Soldaten starben, 30 davon allein bei dem Absturz eines Hubschraubers – oder dessen Abschuss. An Bord war eine Spezialeinheit, die auf dem Rückflug von einer der zahllosen Operationen gegen die Taliban war. Hunderte Aufständische wurden allein in diesem Jahr von den Amerikanern und ihren Verbündeten getötet oder gefangengenommen – die Taliban und die anderen radikalen Gruppen wurden dadurch jedoch kaum geschwächt. Für jeden toten Aufständischen scheinen zwei Neue nachzukommen. Die Amerikaner können diesen Krieg nicht gewinnen.
Die Anschläge mit Selbstmordattentätern, Sprengfallen und Raketen gehen weiter. Gegen diesen Feind, der aus dem Hinterhalt kämpft, offenen Gefechten aus dem Weg geht und sich unter der Bevölkerung versteckt, finden reguläre Armeen kein Gegenmittel. 1.775 amerikanische Soldaten starben bisher in Afghanistan, 380 aus Großbritannien, 157 aus Kanada, 73 aus Frankreich und 53 aus Deutschland. In den Entsendestaaten, an der sogenannten Heimatfront, sinkt mit jedem Toten die Zustimmung zum Einsatz am Hindukusch. Selbst die stets patriotischen Amerikaner haben langsam genug vom Sterben ihrer Truppen im fernen Kandahar oder Bagram.
Denn besiegt sind die Taliban nicht – mit Militär kann der Afghanistan-Konflikt nicht gewonnen werden. Die Aufständischen haben zu viele Rückzugsmöglichkeiten in den Nachbarländern, vor allem in Pakistan. Dort rekrutieren sie neue Kämpfer, versorgen sich mit Waffen und Munition und entziehen sich den nächtlichen Angriffen der Spezialkommandos.
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Längst ist nicht nur Afghanistan destabilisiert, auch Pakistan gilt als schwacher, ja gar als zerfallender Staat. Auch dort sind die Taliban stark, vor zwei Jahren eroberten sie mehrere Regionen und konnten nur in einem mühsamen Bürgerkrieg vom Militär in die Stammesgebiete an der afghanischen Grenze zurückgedrängt werden. Dort hat die pakistanische Regierung längst keinen Einfluss mehr.
Die USA jagen auch in Pakistan Taliban und Terroristen. Dafür setzen das Militär und der Auslandsgeheimdienst CIA mit Raketen bestückte unbemannte Flugzeuge ein, sogenannte Drohnen. Sie werden in den USA am Bildschirm per Joystick gesteuert. Zwar wurden wichtige Führer der Taliban und von al-Qaida per Drohne getötet, doch der Nutzen dieser Waffensysteme ist umstritten. Unzählige Zivilisten sind bei den Drohneneinsätzen gestorben, in Pakistan stieg dadurch die Wut auf den Westen. Die meisten Selbstmordattentäter, die in Afghanistan für Massaker sorgen, stammen aus den Einsatzgebieten der amerikanischen Drohnen. Die Taliban rechtfertigen den Einsatz ihrer Märtyrer in Sprengstoffwesten mit der Feigheit der amerikanischen Drohnenattacken.
Neben den Foltergefängnissen Guantanamo, Abu Ghraib und Bagram dürften die Drohneneinsätze den Ruf der Vereinigten Staaten in der muslimischen Welt am meisten geschadet haben. Die Terrorgefahr wird Amerika auch deswegen noch lange begleiten – die Kriege in Afghanistan und Irak und der Kampf gegen den Terror haben viele junge Männer radikalisiert. In Asien, Afrika und auf der arabischen Halbinsel sind al-Qaida-Ableger entstanden. Junge Männer aus Europa und Nordamerika reisen nach Pakistan, um sich dort in Terrorcamps für Anschläge ausbilden zu lassen.
Der ersten Generation der al-Qaida um bin Laden und Aiman al-Sawahiri ist eine zweite Generation gefolgt, die sich in kleinen Gruppen überall auf dem Globus zusammenschließ und sich über das Internet vernetzt. Die dritte Generation radikalisiert sich mittlerweile am Computer selbst. Jugendliche und junge Erwachsene lesen auf islamistischen Propaganda-Seiten im Internet über die Menschenrechtsverletzungen im Kampf gegen den Terror oder erfahren auf Wikileaks vom Feind selber, wie schmutzig die Kriege im Irak und Afghanistan geführt wurden und werden.
Zwar erklärte US-Präsident Barack Obama den Kampfeinsatz in Irak für beendet, aber amerikanische Soldaten werden dort genauso stationiert bleiben wie in Afghanistan nach 2014. Dieses Datum haben die Nato-Staaten als Abzugstermin angekündigt. Dann sollen die afghanische Armee und Polizei allein für die Sicherheit sorgen. Die amerikanischen Truppen werden sich mehr und mehr in ihre zu Festungen ausgebauten Feldlager zurückziehen und auf den Einsatz von Spezialeinheiten setzen. Ähnlich wie zum offiziellen Ende des Kampfeinsatzes im Irak werden die Amerikaner sich auch zum Sieger des Afghanistankrieges küren. Das Weiße Haus verkündete bereits nach der Erschießung bin Ladens, dass mit dem Ende des Masterminds des Terrors ein Hauptziel der Afghanistanmission erreicht sei. Sicherer hat der Tod der al-Qaida-Gallionsfigur Afghanistan allerdings nicht gemacht.
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Präsident Hamid Karsai, von vielen als Bürgermeister von Kabul oder Marionette der Amerikaner verspottet, verfügt zunehmend über weniger Macht und Einfluss. Amerika hält dennoch an ihm fest – trotz Wahlfälschungen, Berufungen von Kriegsverbrechern in sein Kabinett und dubiosen Geschäften, die in seinem Umfeld laufen. Für die USA gibt es keine Alternative an der Staatsspitze. Mancher Afghane jedoch sieht diese nun in den einst so verhassten Taliban. Denn weder für Sicherheit, noch für Gerechtigkeit konnten Karsai und die westliche Gemeinschaft sorgen.
Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres starben 1.462 Zivilisten und 1.555 Polizisten durch Anschläge, Schießereien und bei Luftschlägen der Alliierten. Doch die andauernde Gewalt ist nur ein Übel von vielen. Korruption, eine überforderte Justiz, bestechliche Beamte, raffgierige Gouverneure, Klientelismus, schlecht ausgebildete Polizisten, Kriminalität, Drogen – die Liste der afghanischen Probleme ließe sich fast endlos fortführen. Die Aufreihung der Erfolge hingegen fällt deutlich kürzer aus.
Der Staatsaufbau mit Militär kann in Afghanistan als gescheitert angesehen werden. Die Lehren, die die Nato-Staaten aus der Mission am Hindukusch gezogen haben, zeigten sich bereits im Fall Libyens: Bodentruppen wollte zu Beginn der Kampfhandlungen niemand schicken. Auch nach dem Fall des Despoten Gaddafi ist die Bereitschaft, Blauhelme in das nordafrikanische Land zu schicken, nicht sehr hoch. Nicht nur Obama scheut das Risiko eines weiteren ausufernden Landkrieges. Die USA wollen künftig verstärkt auf Luftschläge per Flugzeug, Helikopter und Drohne setzen, auf sogenannte gezielte Nadelstiche mit Spezialkräften – wie bei der Tötung bin Ladens. Längst operieren amerikanische Drohnen auch im Jemen, in Somalia und sonstigen Rückzugsräumen von al-Qaida und deren Sympathisanten.
Der eigentliche Gewinner des Kampfes gegen den Terror könnte am Ende Osama bin Laden sein, wenn auch posthum. Mit den Terroranschlägen vom 11. September wollte er die Weltordnung erschüttern und die USA in einen nicht endenden Krieg locken. Der Große Satan sollte sich selber in die Knie zwingen, wie die Sowjetunion an Afghanistan zerbrechen. Das wird nicht geschehen, doch das schwere Erbe des Kampfes gegen den Terror wird die Vereinigten Staaten von Amerika noch lange Zeit belasten, noch Jahrzehnte nach den Anschlägen auf New York und Washington.
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