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Miss Atomstrom

Sie ist die mächtigste Managerin Frankreichs. Ihren Atomkonzern benannte sie nach einem spanischen Kloster. Von Störfällen will sie nichts wissen: Für Anne Lauvergeon bleibt Atomkraft die beste Lösung für den Klimaschutz

Lesen Sie auch: Gerhard Schröder: Atomkraft? Nein, Danke! Anne Lauvergeon hat eine beunruhigende Angewohnheit. Dazu muss man wissen, dass sie bei öffentlichen Auftritten keine flachen Schuhe trägt, sondern sehr hochhackige Pumps. Wenn es langweilig wird, wenn ein Fragesteller im Saal nicht zum Punkt kommt, dann dreht und knickt sie die Fußgelenke auf den Zehn-Zentimeter- Absätzen, dass einem die Bänder schon vom Zuschauen wehtun. Reden und Zuhören gehören für Anne Lauvergeon zum Geschäft. Sie versteht es, das Publikum für sich und für ihre Sache einzunehmen. Die Chefin des Kernkraftkonzerns Areva hat nichts von der säuerlichen Kälte der Herren, die früher in Frankreichs Atomwirtschaft das Sagen hatten. Von der Ausbildung her gehört sie zwar zu demselben Klüngel der „Mineurs“. Unter den traditionsreichen Technokratennetzwerken, die das Land prägen, sind die Absolventen der „Ecole des Mines“ ein besonders heimlichtuerischer Clan, stolz auf ihr Herrschaftswissen und auf ihre vielen Verknüpfungen mit der Rüstungsindustrie. Ihre Repräsentanten bei Cogema und Framatome, den Vorläufern von Areva, wollten mit dem Volk und seinen unpräzisen, unaufgeklärten Einwänden gegen die Kernenergie so wenig wie möglich zu tun haben. Der Höhepunkt dieser Geisteshaltung war nach der Katastrophe von Tschernobyl erreicht, als die atomverseuchten Wolken offiziell an der französischen Landesgrenze abprallten. Die mächtigste Managerin Frankreichs betreibt ihr Metier nicht nur nach innen, sondern sehr intensiv auch nach außen: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Den politischen Teil ihres Geschäfts hat sie bei einem großen alten Meister gelernt – François Mitterrand. Nach einer Spitzenausbildung zur Physikerin und ein paar Jahren Berufserfahrung in der Personalabteilung der „Mineurs“ will sie sich „eher zufällig“ im Amt des damaligen Staatspräsidenten beworben haben. Mag sein: Ihr Vater war Oberstudienrat für Erdkunde in einem Provinzgymnasium, die Mutter Sozialarbeiterin, ein Milieu fern der höfischen Gesellschaft von Paris. Andererseits war sie schon dreißig Jahre alt und gewiss nicht so naiv, wie sie das heute beschreibt. Nach kurzer Zeit beförderte Mitterrand sie zu seiner engsten Mitarbeiterin. Über ihrem eigenen Rückblick auf jene Jahre im Machtzentrum der Republik liegt etwas Beklemmendes. Wer sie aus jenen Jahren kennt, erinnert sich vor allem an überraschend kurze Röcke und ein unbändiges Lachen. Inzwischen ist Anne Lauvergeon 49 Jahre alt und Herrin auf Abruf über einen staatseigenen Weltkonzern mit 65583 Mitarbeitern und zwölf Milliarden Euro Jahresumsatz. Areva, gegründet 2001, ist Lauvergeons Werk, bis hin zu dem seltsamen Namen, der keine Assoziationen an Urananreicherung und Kernspaltung weckt. Sie hat ihn aus einer Liste spanischer Klöster ausgesucht. Das Geschäft mit dem Atom (Förderung, Anreicherung, Abfallbewirtschaftung) gefällt ihr so gut, dass sie Staatspräsident Sarkozys Angebot für einen wichtigen Regierungsposten „ohne zu zögern“ ausschlug. Oder war es bloß das liebe Geld? In ihrer Umgebung hält man sie eher für eine Überzeugungstäterin: Lauvergeon glaube fest daran, dass die Atomkraft die besten Lösungen für Klimaschutz und Energiesicherheit zu überschaubaren Kosten zu bieten habe. Am liebsten von einer privatisierten Areva, aber das steht auf einem anderen Blatt, um das in Frankreich schon viel gestritten worden ist. Im September will „Atomic Anne“, wie die englische Presse sie nennt, ein Buch über „Die dritte Energierevolution“ veröffentlichen: Nach dem Feuer und dem Erdöl kommt die Kernkraft. Die Kapitel hat sie in den vergangenen Monaten bei ihren öffentlichen Auftritten vorwärts und rückwärts buchstabiert – mit einer Überzeugungskraft, die sich aus unbestreitbarer Sachkompetenz und einem überraschenden Charme zusammensetzt. Als Erstes werden die Alternativen mit einem schnellen Lob vom Tisch gewischt. Geothermie? Wunderbare Sache, zum Beispiel für Island. Windenergie? Toll, leider ist der Wind aber ein unzuverlässiger Genosse und die Elektrizität kein Gut, das man in Konservenbüchsen stecken kann. Und Staudämme – ja, sollen wir vielleicht landwirtschaftliche Nutzflächen unter Wasser setzen in einer Zeit, da die Lebensmittelpreise in den Himmel steigen? Dann die Probleme. Gibt es irgend­wo ein Problem? Atommüll? Ach ja? Nach dreißig Jahren füllen die ausgemusterten Brennstäbe aller französischen Kraftwerke zusammen einen mittleren Ballsaal! Unpassenderweise meldete sich Anfang Juli die Wirklichkeit aus Tricastin zu Wort, wo Areva unter anderem eine kleine Uranwaschanlage betreibt. Mitten in die französische EU-Ratspräsidentschaft, die Lauvergeon zu intensivem Lobbying für einheitliche Zulassungsverfahren für Reaktoren in Europa nutzen wollte, platzte die Nachricht von einer Panne, bei der 74 Kilogramm Uran in die freie Natur gespült wurden. Eine „Anormalität“, mehr nicht, versicherte Lauvergeon, als sie zehn Tage später endlich zum Ort des Geschehens reiste. In der Zwischenzeit war ein halbes Dutzend ähnlicher Störungen bekannt geworden. Areva hat zu einem strategisch wichtigen Moment denkbar schlechte Schlagzeilen bekommen. Anne Lauvergeon muss jetzt viele Auftritte mit hochhackigen Schuhen absolvieren.

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