() Daniel Kehlmann
Kehlmann liestNicholson Baker
Zitronenrevue: Nicholson Baker: "Human Smoke: The Beginnings of World War II , the End of Civilization" Alicia C. Shepard: "Woodward & Bernstein" Michael Seufert: "Der Skandal um die Hitler-Tagebücher"
Kann ein Buch, das zum Frieden auffordert, schädlich sein? Der Amerikaner Nicholson Baker, bisher bekannt als eigenwilliger Humorist und wunderlich versponnener Experimentalschriftsteller, widmet sich in seinem neuen Werk „Human Smoke“ ausgerechnet dem Zweiten Weltkrieg.
Man braucht eine Weile, bis einem klar wird, worauf Baker eigentlich hinauswill. Da gibt es keine Erzählstimme und keine Erklärungen, nur knappe historische Fragmente, selten länger als eine Buchseite. Baker schreibt kühl, klar und mit der Verve der Sachlichkeit; er behauptet nichts explizit, aber die Anordnung seiner berichtenden Abschnitte legt mit zunehmender Deutlichkeit eine historische These dar, die erst in der letzten Zeile ausgesprochen wird: Der Zweite Weltkrieg hätte nicht geführt werden dürfen, seine pazifistischen Gegner waren im Recht, England und Amerika hätten Deutschland gewähren lassen müssen, denn Gewalt ist nie angebracht, sie war es auch nicht gegen Hitler.
Bakers Anordnung ist von merkwürdiger Überzeugungskraft, man kann sich dem Sog dieser schlau arrangierten Sammlung kaum widersetzen: Da wechseln etwa böse Gewaltfantasien Winston Churchills mit Beteuerungen Hitlers ab, dass er englische Zivilisten nur bombardieren werde, wenn England zuvor deutsche Städte angreife, da gibt es schockierende Details über britische Flächenbombardements und Aufrufe Gandhis, endlich die Waffen niederzulegen, da sind vor allem immer wieder Berichte, die wohl belegen sollen, dass der Holocaust nicht stattgefunden hätte, hätte man Hitler in seinen Territorialansprüchen gewähren lassen; der Versuch, sich dem Übel entgegenzustellen, habe dieses erst groß gemacht.
Wir haben es mit einem brillanten, all seine Register ziehenden Schriftsteller zu tun, und man muss sich schon gewaltsam losreißen, um sich daran zu erinnern, dass Baker weder ein Historiker ist noch ein scharfer Denker. Mit einer Sammlung beliebig ausgewählter Fakten lässt sich zwar nichts beweisen, aber alles plausibel machen. Man könnte Bakers Technik mit gleichem Erfolg auch im Dienst der gegenteiligen oder jeder anderen These verwenden. Wie problematisch dieses moralisch so selbstbewusst auftretende Buch ist, wird einem klar, wenn man darauf achtet, wie Baker alle aggressiven, unverantwortlichen oder kindischen Äußerungen Churchills und Roosevelts sammelt und genüsslich wiedergibt, während er andererseits jede auch nur scheinbar gemäßigte Geste Hitlers als Beleg für dessen bei allem Wahnsinn noch bestehende Verhandlungsbereitschaft verwenden muss – sodass so zunehmend das Bild eines zwar leicht cholerischen, aber doch letztlich nicht unvernünftigen deutschen Reichskanzlers entsteht, der zwei entfesselten Kriegstreibern gegenübersteht. Da Baker aber keine klaren Aussagen trifft, kann man ihm nichts entgegensetzen; sein Verfahren beansprucht die Würde der Objektivität, will aber zugleich jede Diskussion, jeden Widerspruch vermeiden.
Dieses pazifistische Buch ist ebenso voll untergründiger Wut wie Bakers 2004 veröffentlichte Novelle „Checkpoint“, ein in Fiktion verbrämter Aufruf zum Mord an George Bush. Nicholson Baker ist ein guter Schriftsteller, aber er ist offenbar so getrieben von unspezifischer Empörung, dass er mal zum Gewaltrechtfertiger und dann wieder zum Gewaltgegner werden kann, ohne dass er daran etwas Inkonsequentes bemerkte, oder dass ihm die Begriffe zur Verfügung stünden, mit denen er seinen Ärger in Argumente fassen könnte. Das wäre nicht weiter schlimm, ließe sich nicht schon voraussehen, dass dieses Buch quer durch die Vereinigten Staaten und bald auch anderswo von schlecht ausgebildeten Mittelschullehrern dazu verwendet werden wird, ihren Schülern beizubringen, dass es niemals einen gerechten Krieg gab und dass man Hitler Unrecht tut, wenn man ihn moralisch unter den Bellizisten Churchill stellt. „Human Smoke“ ist ein Buch, das bleiben wird, ein künftiger Klassiker der Sanftmütigen und der sentimental Freundlichen jeder Gesinnung – sowie der Rechtsradikalen, der Islamisten, der Antisemiten, aller Feinde der Demokratie. Das hat Baker selbstverständlich nicht gewollt, seine Absichten waren ehrenwert. Das Gegenteil von gut, sagt das Sprichwort, ist gut gemeint. Kein Zweifel: Baker meint es extrem gut.
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann las für Cicero: Nicholson Baker: „Human Smoke: The Beginnings of World War II, the End of Civilization“, Simon and Schuster, 2008
Buchempfehlungen:
Alicia C. Shepard
"Woodward & Bernstein"
Den gewieften Reportern der Washington Post Bob Woodward und Carl Bernstein gelang mit der Watergate-Affäre einer der größten Scoops in der Zeitungsgeschichte. Am Ende musste Präsident Nixon zurücktreten. Die Journalistin Alicia C. Shepard hat das Leben der so unterschiedlichen Männer beschrieben. Das Watergate-Team arbeitete in der Redaktion „weitgehend abgeschottet“, bestätigt das Buch aus dem Wiley-VCH Verlag.
Michael Seufert
"Der Skandal um die Hitler-Tagebücher"
Auch das Team, das für den Stern mit den angeblichen Hitler-Tagebüchern arbeitete, tat dies weitgehend abgeschottet. Aber da waren keine gelernten Journalisten am Werk. Diesen Umstand lässt der Redakteur Michael Seufert, der seinerzeit beim Stern mit der Aufklärung des Skandals beauftragt war, in seinem im Scherz-Verlag erschienenen Buch leider unterbelichtet. Blattmachen ohne journalistisches Handwerk, das muss schiefgehen.
Foto: Picture Alliance
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