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USA - Ist Obama seinen Aufgaben gewachsen?

Boston, Texas, Waffenrecht, Schulden – die Liste der Probleme ist lang. Barack Obama ist derzeit vielfach gefordert. Schafft er das?

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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Ein Präsident muss in der Lage sein, sich um mehr als ein Problem gleichzeitig zu kümmern. So beschrieb Barack Obama die Anforderung an das Amt im September 2008, als er sich zum ersten Mal um den Job im Weißen Haus bewarb. In den Tagen zuvor war die Investmentbank Lehman Brothers zusammengebrochen. Russland war nach Georgien einmarschiert, und es war unklar, ob der Waffenstillstand halten und Moskau seine Truppen abziehen würde. In dieser Lage schlug der republikanische Kandidat John McCain, der in den Umfragen zurückzufallen begann, eine Pause im Wahlkampf vor, um eine gemeinsame Strategie gegen die sich vertiefende Finanzkrise zu beraten.

Obama lehnte ab: Wer Präsident werden wolle, müsse in der Lage sein, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen: Wahlkampf, Krisenmanagement, Außenpolitik.

In dieser Aprilwoche 2013 muss Obama mehr denn je beweisen, dass er das kann. Er wird auf vielen Gebieten zugleich gefordert: Bombenanschlag in Boston, Rizin-Giftbriefe in Washington, die Explosion einer Düngemittelfabrik in Texas samt der Frage, ob das ein Unfall war. Im Senat ist sein monatelanger Anlauf zu einer Verschärfung des Waffenrechts gescheitert, und er muss mit der Niederlage so umgehen, dass er dabei nicht den Misserfolg anderer aussichtsreicher Vorhaben riskiert, wie die Reformen des Einwanderungsrechts, des Steuersystems und der Sozialversicherungen. Im Ausland stellen ihn die Konflikte in Nordkorea, Syrien und dem Nahen Osten auf die Probe. Wie schafft er das alles gleichzeitig?

Eine geplante Terrorserie oder zufälliges Zusammentreffen?

Obama ist jetzt ganz besonders darauf angewiesen, dass seine Mitarbeiter sowie die diversen Ministerien und Behörden ihm zuverlässig zuarbeiten. Es ergeben sich ganz unterschiedliche Prioritäten für seine Terminplanung, je nachdem wie man die Ereignisse, die Amerika im Abstand weniger Tage überrollen, einordnet. Sind die Bomben in Boston, die Giftbriefe und die Explosion in Texas Einzelfälle, die nur zufällig im selben Zeitraum geschehen, oder gibt es Hinweise auf Zusammenhänge, im Extremfall auf eine koordinierte Anschlagsserie? Spricht er vielleicht auf der falschen Trauerfeier, wenn es in Texas weit mehr Tote gab als in Boston? Und: Geht von Nordkoreas Bomben- und Raketenprogramm womöglich größere Gefahr für die USA aus, nämlich ein Atomwaffenangriff, als von der latenten Bedrohung durch lokale Anschläge in Amerika? Bisher behandelt das Weiße Haus die Themen als getrennte Herausforderungen. Obama wird von seinen Spezialisten aber regelmäßig über die jeweiligen Entwicklungen informiert.

Der Anschlag in Boston

Am Donnerstag redete Obama bei der konfessionsübergreifenden Trauerfeier in der Kathedrale von Boston. Die Ermittler melden einerseits Fortschritte bei der Suche nach den Tätern: Aus Videoaufnahmen haben sie die Gesichter von zwei Menschen herausgefiltert, die im Verdacht stehen, die Bomben abgelegt zu haben. Das beantwortet aber nicht die Kernfrage: Stecken ausländische Terroristen oder heimische Radikale hinter dem Anschlag? In seiner Ansprache muss Obama darauf nicht eingehen. In solchen Momenten ist der Präsident als Seelenheiler gefordert, der der betroffenen Stadt aber auch der ganzen Nation Trost spendet und Mut zuspricht. Viel zu oft hat er das in den jüngsten Jahren tun müssen: nach den Schüssen auf die Abgeordnete Giffords und ihre Wähler in Tucson, dem Kinomassaker in Aurora, dem Amoklauf in der Schule in Newtown. Die Frage nach politischen Reaktionen spart er dabei aus. Der Kern seiner Botschaft lautet: Amerika steht zusammen, die Schuldigen werden gefunden und bestraft. Er und seine Frau Michelle seien doch auch Bostoner, sagt er. Beide haben hier studiert, an der Harvard University.

Die Giftbriefe

Die Gesundheit oder gar das Leben des Präsidenten war nicht in Gefahr. Die Briefe mit dem potenziell tödlichen Rizin wurden abgefangen, ehe sie das Weiße Haus und das Kongressgebäude erreichten. Die Ermittler sind sich inzwischen sicher, dass diese Briefe jedenfalls nicht Teil einer größeren Verschwörung waren. Als Verdächtiger wird ein Mann aus Mississippi verhört, der dafür bekannt ist, Protestschreiben an Politiker zu verschicken.

Die Explosion in Texas

Und der Brand der Düngemittelfabrik in Texas, die einen Teil der 2800-Seelen-Gemeinde West nördlich von Waco zerstörte? Auch darin sehen die Sicherheitsbehörden bisher einen Einzelfall. Doch die Experten werden Obama gesagt haben, dass man die Möglichkeit einer mit Boston koordinierten rechtsradikalen Anschlagsserie zumindest prüfen muss. Der Zeitpunkt liegt nahe an einem symbolischen Datum für die Gegend. Vor 20 Jahren, am 19. April 1993, endete die Belagerung des Anwesens der Davidianer-Sekte in Waco durch staatliche Sicherheitskräfte mit einem tödlichen Feuer, in dem 86 Sektenmitglieder ums Leben kamen. Rechtsradikale Regierungsgegner warfen dem Staat vor, verantwortlich zu sein. Er habe die Religionsfreiheit der Davidianer nicht respektiert. Aus Protest gegen diesen angeblichen staatlichen Übergriff sprengte Timothy McVeigh am zweiten Jahrestag, dem 19. April 1995, ein Gebäude der Bundesregierung in Oklahoma City in die Luft. Für seinen Sprengsatz benutzte er Düngemittel. Und nun fliegt direkt vor dem 20. Jahrestag des Brandes von Waco eine Düngemittelfabrik in der Umgebung Wacos in die Luft.

Obama erwähnt den potenziellen Kontext nicht einmal. In seiner Stellungnahme spricht er von einer „Tragödie“, die den kleinen Ort West heimgesucht habe. Er bete für die Opfer und ihre Familien. Es wirkt wie eine direkte Antwort auf die Bitte des Bürgermeisters Tommy Muska: Seine Gemeinde brauche nun die Gebete der Landsleute.

Die Niederlage im Senat beim Waffenrecht

Mit frischem Optimismus war Obama vor drei Monaten in die zweite Amtszeit gestartet. Der am Ende doch sehr deutliche Wahlsieg hat ihn gestärkt. Er wollte das politische Kapital nutzen, um die Republikaner, die die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigt haben, zu Reformen zu zwingen. Im Budgetstreit hat er sich teilweise durchgesetzt. Bei der aktuellen Kraftprobe um das Waffenrecht musste er am Mittwoch eine Niederlage einstecken. Er darf sich den Ärger aber nicht anmerken lassen. Umso wichtiger ist es nun, die Schlappe möglichst rasch durch Erfolge vergessen zu machen, zum Beispiel Fortschritte bei der Reform des Einwanderungsrechts. Oder in der Außenpolitik.

Ein Präsident, das zeigen diese Tage, muss nicht nur mehrere große Probleme gleichzeitig bearbeiten können. Er muss auch in der Lage sein, mehrere Tiefschläge zugleich einzustecken – und dennoch dem Land und sich selbst Mut zuzusprechen, dass schon ganz bald wieder andere, bessere Zeiten kommen.

 

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