- FBI verschiebt Pressekonferenz
Verwirrung in Boston: Medien berichteten unter Berufung auf Sicherheitskreise, dass im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen eine Person festgenommen worden sei. Das dementierte die Bostoner Polizei später aber - via Twitter. Eine Pressekonferenz des FBI, die für Klarheit sorgen sollte, wurde kurzfristig verschoben
Am zweiten Tag nach dem Bombenanschlag auf den Boston Marathon läuft die Suche nach Spuren, die zum Täterkreis führen, auf Hochtouren. Hunderte Spezialisten wühlen sich durch die Trümmer am Tatort, untersuchen die Überreste eines Schnellkochtopfs und einer Zündvorrichtung, durchkämmen die Kundenlisten von Fluglinien und Mietwagenstationen. Und sie sammeln Erfahrung mit einer neuen Art von Ermittlungsmaterial: Dies war der erste Bombenanschlag in den USA seit der massenhaften Verbreitung von Smartphones.
Aus bisher ungeklärtem Gründen evakuierten Sicherheitskräfte am Mittwoch das Bundesgericht in Boston.
Gerichtsbedienstete und Medienvertreter wurden zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert und sollten sich zudem von dem Gebäude entfernen.
Welche neuen Erkenntnisse haben die Ermittler?
Der Ermittlungsstand ist unklar: Medien hatten berichtet, ein Verdächtiger sei festgenommen worden. Zuvor hatte es geheißen, das sei durch Videoaufnahmen vom Tatort möglich geworden. Den Ermittlern lägen Bilder eines Verdächtigen vor, der eine schwarze Tasche zum Tatort trage. Später dementierte die Bostoner Polizei das. Es habe entgegen ersten Medienberichten noch keine Festnahme gegeben, teilte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Das FBI hatte für Mittwoch Abend eine Pressekonferenz angekündigt, die aber kurzfristig für unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Auch bei den Fragen nach dem Aufbau der Bomben sind die Ermittler ein großes Stück vorangekommen, sie konnten den Aufbau rekonstruieren. Es wurden Allerweltsmaterialien verwendet, entsprechende Bauanleitungen kann man seit Jahren im Internet finden. „Der Schnellkochtopf ist die effektivste Methode“, riet zum Beispiel ein Artikel mit dem Titel „Bau eine Bombe in der Küche deiner Mutter“, den eine dem Terrornetzwerk Al Qaida nahestehende Webseite 2010 veröffentlichte. Die Materialien kosten nur rund hundert Dollar. Geschickte Bastler können die Bombe in 30 Minuten bauen, schätzen Experten.
In Boston wurde ein Schnellkochtopf verwendet, wie man ihn in jedem Kaufhaus findet. Er war mit Nägeln und Stahlkugeln für Kugellager gefüllt. Die herumfliegenden Teile sollten größtmögliche Verletzungen in der Zuschauermenge verursachen. Zur Detonation wurde kein spezieller Plastiksprengstoff verwendet, sondern gewöhnliches Schwarzpulver, das man in den USA in Jagdsportgeschäften und vielen Warenhäusern findet. Eine batteriebetriebene Eieruhr diente laut „New York Times“ als Auslöser der Explosion. „So geht jemand vor, der seine Spuren verwischen will, und weiß, dass der Bau einer effektiveren Bombe mit speziellen Bauteilen den Ermittlern Hinweise gibt“, zitiert die Zeitung einen Terrorspezialisten.
Ähnliche Bomben hatten zwei muslimische Extremisten in den letzten Jahren in den USA gebaut, schreibt das „Wall Street Journal“. 2011 plante Naser Jason Abdo, ein junger US-Soldat palästinensischer Abstammung, einen Bombenanschlag auf ein von anderen Soldaten häufig besuchtes Restaurant in Texas. Er wurde vorab festgenommen, die Polizei fand die Materialien und die Bauanleitung bei ihm. Faizal Shahzad, ein US-Bürger pakistanischer Abstammung, der 2010 einen Lieferwagen am Times Square in New York als Autobombe abstellte, hatte einen nach dieser Anleitung präparierten Schnellkochtopf bereits gebaut. Er sollte die Detonation des Wagens auslösen, doch der Zünder versagte.
Vermutlich wurden die beiden Bomben in Rucksäcken oder großer Sporttaschen aus schwarzem Nylongewebe zum Tatort gebracht. Die Ermittler fanden Fetzen dieses Materials.
Wie arbeiten die Ermittler?
Die Forensiker bauen darauf, dass selbst millimeterkleine Einzelteile des zerfetzten Sprengsatzes ihnen wichtige Hinweise geben, erklärt Barbara Starr, Sicherheits- und Pentagonexpertin des TV-Senders CNN. Es geht dabei um das Explosivmaterial und Zünder, bis hin zu jedem kleinsten Draht, der verwendet wurde. „Diese Hinweise werden mit hunderten, wenn nicht tausenden ,Fingerabdrücken’ von Bombenresten verglichen“, die die USA rund um die Welt gesammelt haben. Alle Funde vom Tatort werden in ein Labor des FBI in Quantico, Virginia, zur weiteren Untersuchung gebracht. Parallel bittet das FBI Zuschauer des Marathons, die nahe dem Ziel standen, ihre Fotos und Videoaufnahmen zu übermitteln. Nach Medienberichten sprachen FBI-Agenten ausländische Touristen am Bostoner Airport vor dem Abflug an, ob sie solches Material haben. Bisher hat das FBI mehr als 2000 Fotos und Videos erhalten.
Was weiß man über die Opfer?
Zwei Tote sind namentlich bekannt: der achtjährige Martin Richard, der mit seiner Familie am Zieleinlauf stand, und die 29-jährige Krystle Campbell, eine Restaurantmanagerin aus Medford, Massachusetts. Die dritte Tote ist laut Medien eine Chinesin, die ihr Studium in Boston abgeschlossen hat.
Die Zahl der Verletzten wird jetzt mit mehr als 180 angegeben. Am Mittwoch schwebten immer noch zwei von ihnen in Lebensgefahr. Der Zustand von zehn weiteren sei ernst, meldete der US-Sender CNN unter Berufung auf das Bostoner Traumazentrum. Mehreren Menschen mussten Gliedmaßen amputiert werden. Die Ärzte berichten von schrecklichen Verletzungen durch Metallteile und Glassplitter, die mit großer Wucht durch die Luft geschleudert wurden. Manche hätten dreißig bis vierzig Splitter in verschiedenen Teilen des Körpers. Die dicht an dicht stehenden Zuschauer in der direkten Umgebung der Bombe seien am schwersten getroffen worden, sagt die Polizei. Sie hätten „wie eine Menschenmauer“ gewirkt, die die Läufer und die weiter entfernten Zuschauer vor Schaden bewahrte.
Haben die versuchten Rizin-Giftanschläge auf Barack Obama und einen Senator mit dem Bombenanschlag zu tun?
Am Dienstag hat die Post einen Brief an US-Senator Roger Wicker, einen Republikaner aus Missouri, abgefangen, der das Gift Rizin enthält. Am Mittwoch wurde ein ähnlicher Brief für den US-Präsidenten herausgefiltert. Solche Überprüfungen wurden eingeführt, nachdem 2001 kurz nach dem Terrorangriff auf New York Briefe mit dem tödlichen Gift Anthrax aufgetaucht waren. Die Behörden sehen bisher keinen Zusammenhang zu den Bomben in Boston.
Wie reagieren die amerikanische Politik und die Öffentlichkeit?
Amerika trauert, zeigt aber keine Anzeichen erhöhter Terrorfurcht. Auch die Sicherheitsmaßnahmen in den großen Städten sind bisher nicht signifikant verstärkt worden. An symbolischen Orten in Boston wie dem Boston Common, einem nicht abgesperrten Platz in der Innenstadt nahe dem Tatort, kamen am Dienstag und Mittwoch Bürger zusammen, um der Opfer zu gedenken, gemeinsam zu trauern und ihre Solidarität zu zeigen. Am Donnerstag Vormittag ist eine konfessionsübergreifende Trauerfeier in der Kathedrale geplant, an der auch US-Präsident Obama teilnimmt. (mit dpa, AFP, Reuters)
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