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Concorde Filmverleih (picture alliance)

Nachtzug nach Lissabon - Lieblose Pauschalreise

Bildungsbürger auf Sinnsuche. Der Regisseur Bille August bringt Pascal Merciers Roman „Nachtzug nach Lissabon” auf die Leinwand

Autoreninfo

Kothenschulte, Daniel

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Ernest Hemingways Verachtung für verfilmte Literatur saß so tief, dass er sich beharrlich weigerte, die Erstverfilmung seines Romans „In einem fernen Land“ überhaupt nur anzusehen. Selbst als ihm das Studio eigens eine Kopie in sein Nachbarschaftskino schickte. So ist ihm Frank Borzages lyrische Leinwandadaption aus dem Jahre 1932 wohl glatt entgangen – und damit vielleicht die beste aller Hemingway-Verfilmungen. Heute hört man Autoren kaum noch über Verfilmungen ihrer Werke klagen. Da sie aber auch nur selten Lobgesänge darüber anstimmen, mag das wohl an der Schweigeklausel in den meisten Lizenzverträgen liegen. Und an der Erfahrung, dass selbst missratene Verfilmungen den Buchabsatz beflügeln.

Pascal Mercier promovierte unter seinem richtigen Namen Peter Bieri in Philosophie über ein filmtheoretisches Thema. Und wie beiläufig er seinen Romanhelden, den Lateinlehrer Raimund Gregorius, gleich zu Beginn als Cinephilen charakterisiert, der sich selbst an jenem Abend, an dem er seinem Leben die entscheidende Wendung gibt, nur schwer vom Kinoaushang eines alten Jean-Gabin-Films lösen kann: Das verrät den Kinokenner.

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Gregorius’ Lebensfilm handelt von der rätselhaften Begegnung mit einer Portugiesin und dem Fund eines philosophischen Erinnerungsbuchs in derselben Sprache, das ihn seine frühere Existenz in Frage stellen lässt. Der hoch geschätzte Lateinlehrer lässt alles stehen und liegen, um nach dem Autor suchen. Der Altphilologe wird zum Lebensforscher: Dabei führt der Weg in die dunkle Vergangenheit der faschistischen Diktatur. Eigentlich ein ideales Kinomaterial, denn Spur um Spur verdichtet sich das Bild. Doch im Film, den der Regisseur Bille August aus diesem Stoff gemacht hat, wirkt keine einzige Figur lebendig. Der Däne gilt als Spezialist für Literaturverfilmungen, obwohl weder „Das Geisterhaus“ noch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ oder „Les Misérables“ einen künstlerischen Eigenwert hat.

Was würde erst Gregorius, ein bedächtiger Mann, der sich dem Farbfernsehen beharrlich verweigert und lieber die letzte schwarzweiße Flimmerkiste vom Sperrmüll rettet, von der gehetzten Dramaturgie dieses 110 Minuten langen Filmes halten? Drehbuchautor Greg Latter arbeitete sich an der Vorlage so mühsam ab, wie sich ein Pennäler durch einen Latein-Text quält: Allein die gröbsten Eckpunkte der Handlung schafften es in den Film. Bille August verlässt sich einfach auf den Leinwand-Charaktere, die seine prominenten Schauspieler schon mitbringen. So verkörpert Jeremy Irons in der Hauptrolle einmal mehr das Klischee vom zerstreuten Bildungsbürger auf Sinnsuche. Warum der nach der Begegnung mit einer attraktiven Augenärztin (Martina Gedeck), die sich in ihn verliebt, in sein früheres Leben zurückkehren möchte, bleibt unverständlich. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so, denn die letzten Seiten des mit „Die Rückkehr“ überschriebenen Romankapitels lässt der Film, eine Romanze andeutend, einfach weg. Noch unglaubwürdiger wirkt der smarte aber kaum intellektuell wirkende Jungstar Jack Huston in der Rolle des Autors des portugiesischen Bändchens. Anstatt eine Vorstellung von dem philosophischen Buch-im-Buch zu geben, wird dessen Einzigartigkeit immer nur behauptet, aber kaum belegt.

Manche internationalen Koproduktionen dienen offenbar nur dazu, deutschen Stars zu prominenten Nebenrollen zu verhelfen. So teilen sich zwei Charaktermimen verschiedener Generation die Rolle des Apothekers Jorge – auch wenn sich August Diehl und Bruno Ganz kein bisschen ähnlich sehen und Letzterer wiederum viel zu alt wäre für die Liebe seines Lebens. In seinem Bemühen um Begradigung der narrativen Pfade wiederholt Bille Augusts Film den Kardinalfehler liebloser Literaturadaptionen. Hätte er doch auf Amadeu gehört und die Weisheit seines Buchs im Buch: „…dass die Anerkennung der Verwirrung der Königsweg zum Verständnis dieser vertrauten und doch rätselhaften Erfahrungen ist …“

Nachtzug nach Lissabon. Deutschland, Schweiz, Portugal 2013. Regie: Bille August. Mit Jeremy Irons, Charlotte Rampling, August Diehl, Bruno Ganz, Martina Gedeck. 110 Min.

Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon. Roman. btb, München 2013. 496 S., 9,99 €

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Bille August versehentlich als Däne bezeichnet und Bruno Ganz als Deutscher. In der ersten Version des Artikels hieß es außerdem, von einem Kommentar Peter Bieris zur Verfilmung seines Romans sei nichts bekannt. Tatsächlich hat es aber einen solchen Kommentar gegeben. Bieri äußerte, dass er mit der Verfilmung trotz den Änderungen an der literarischen Vorlage sehr zufrieden sei. Wir danken unseren aufmerksamen Lesern.

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