- Bodenhaftung dank Bayreuther Bier
Jean Paul war maßlos und aberwitzig – und, man glaubt es kaum noch, einst auch der Lieblingsdichter der Deutschen
Vielleicht war ja „Jean Paul“ eine Erfindung der deutschen Sprache, die sich mit diesem maßlosen, verrückten Schriftsteller ein Werkzeug schuf, um einmal zu zeigen, was in ihr, der Sprache, alles möglich ist. Und so schrieb und schrieb er, immer weiter, wurde zeitweise und heute kaum glaublicherweise zum „Lieblingsdichter der Deutschen“ und schrieb sich schließlich aus der Welt annähernd ganz heraus, am Boden gehalten bloß noch vom Bayreuther Bier, mit dem er seine überbordende Phantasie wohl eher dämpfte als befeuerte. Nachdem der 1763 im oberfränkischen Wunsiedel geborene Dichter auf dem Literaturmarkt um 1800 sogar Goethe an Berühmtheit gleichkam, neigte sich die Flugbahn seines Sterns dann doch – und bis heute.
Dieser Autor ist ein writers’ writer, ein Fall für Kenner und Spezialisten, und daran wird auch sein 250. Geburtstag wenig ändern. Seine von kühnen Bildern und Vergleichen, Sprachneuschöpfungen und gelehrten Aberrationen übervolle Prosa entspricht nicht den Ansprüchen an Ordnung und Gemessenheit, die die Leser an die sogenannten Klassiker stellen, und selbst die klassischen Klassiker werden ja nicht viel gelesen.
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Insofern ist es kaum hoch genug zu schätzen, dass der Würzburger Germanist Helmut Pfotenhauer hier eine höchst einladende Schneise öffnet, sich für diesen berühmten Vergessenen zu interessieren. Und dies, wo Biografen es bei diesem Autor schwer haben, denn einerseits ist, was das äußere Leben des Mannes angeht, kaum ein Roman zu erzählen; andererseits hat er sich selbst über das Biografenwesen, etwa in seinem ausgedachten „Leben Fibels“ gnadenlos lustig gemacht. Drittens findet sich „Jean Paul“ immer wieder in den Romanen des Autors gleichen Namens wieder, und diese Ich-Literarisierung macht die Verhältnisse unübersichtlich.
Pfotenhauer stellt seine Lebensbeschreibung deshalb unter die plausible Voraussetzung, dass hier das obsessive Schreiben dem Hauptzweck untergeordnet ist, das eigene Leben am liebsten vollkommen in Schrift zu verwandeln, so erst überhaupt aushaltbar zu machen gegen allerhand Ängste – und sich womöglich ein Stück Unsterblichkeit zu erschreiben. Das trägt tatsächlich einen schönen langen Weg durchs Leben im Gang durch die Werke, von den frühen „Grönländischen Prozessen“ bis zum späten „Komet“, über die kanonisierten Romane, den „Siebenkäs“, „Die Flegeljahre“, über die „Vorschule zur Ästhetik“ und das päd¬agogische Programm der „Levana“.
Das Buch ist selbst höchst elegant geschrieben, in guter angelsächsischer Sachbuchprosa, also lehrreich und unterhaltsam zugleich, und es hat nur einen Nachteil: Dauernd will man Pfotenhauer aus der Hand legen, um zu den aberwitzigen, empfindsamen und regellosen Büchern seines Helden Jean Paul zu wechseln. Aber das ist ja auch keine üble Wirkung.
Helmut Pfotenhauer: Jean Paul. Das Leben als Schreiben. Hanser, München 2013. 512 S., 27,90 €
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