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Neologismen aus Politikernamen - „Wulffen versteht jeder”

Hartzen, guttenbergen, stoibern, schrödern – auf Politikernamen gründende Neologismen sind schwer beliebt. Warum eigentlich? Ein Interview mit dem Sprachforscher Daniel Steckbauer

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

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Herr Steckbauer, was tut ein „Hartzer“?
Flapsig ausgedrückt: Ein „Hartzer“ tut nichts und kassiert dafür Geld vom Staat.

Sprachwissenschaftler Daniel SteckbauerSeit wann gibt es das Wort?
„Hartzen“ ist ein ziemlich junges Wort. Das Wort „harzen“ – mit z – gibt es in der Szenesprache seit 25, 30 Jahren, das ist ein Synonym für „kiffen“. Aber „hartzen“ – mit tz – ist eigentlich erst richtig bekannt geworden, als es 2009 zum Jugendwort des Jahres gewählt wurde. Gemeint ist: „Hartz IV empfangen“, „von Hartz IV leben“. Es wird aber auch in erweiterter Bedeutung gebraucht: „herumhängen“, „herumlungern“.

Handelt es sich um ein genuines Jugendwort?
Meines Erachtens: Nein. Das Wort wird von Jugendlichen meist als Zitat gebraucht, und zwar ironisch. Wahrscheinlich stammt es aus den Medien. Es gibt viele neue Wortbildungen, die so funktionieren: merkeln, stoibern, riestern, guttenbergen. Wir sprechen von okkassionellen Wortbildungen, also Gelegenheits-Wortbildungen oder ganz allgemein von Neologismen. Weil man den Unterschied zwischen „hartzen“ mit tz und „harzen“ mit z nur sehen, aber nicht hören kann, vermute ich außerdem, dass es ursprünglich aus einem schriftlichen Kontext stammt.

Die Presse hat das Wort kreiert?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit: ja. Medien machen Wörter, Medien propagieren Wörter. „Hartzen“ ist spannend und treffend. Ich vermute, dass es irgendwie in den Sprachgebrauch der Jugendlichen hineingekommen ist und sich dort nach und nach etabliert hat, weil es lustig und kreativ ist. Für mich als Sprachwissenschaftler ist aber der ursprüngliche Prozess der Wortentstehung besonders interessant: Der Nachname einer Person …

… Peter Hartz, dessen Reformkonzept die Agenda 2010 geprägt hat …

… wird zu einem Tätigkeitswort umfunktioniert. Früher hat man vielleicht gesagt: Ich empfange Sozialhilfe. Oder: Ich gehe stempeln. Es gab kein einzelnes Verb, das diesen Sachverhalt auf den Punkt gebracht hat. Heute kann man knapp sagen: Ich hartze. Damit wird ein ganzes Bedeutungs-Konglomerat angedeutet.

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Hat es in der Vergangenheit vergleichbare Neologismen gegeben?
Das älteste Beispiel für dieses Wortbildungsmuster, das ich gefunden habe, ist „abwaigeln.“

Eine Anspielung auf Theo Waigel, Bundesfinanzminister bis 1998?
Genau. Gemeint ist: jemanden abzocken, jemanden abziehen.

„Merkeln“, „Stoibern“, „Riestern“: Warum sind in den letzten 15 Jahren so viele Wortbildungen dieser Art aufgetaucht?
Da kann ich nur raten. Gut möglich, dass die Dauerpräsenz der Medien ausschlaggebend ist. Diese Wörter sind kreativ und witzig, es macht Spaß, mit ihnen zu spielen.

Wie sind diese Wörter konnotiert?
Häufig abwertend, aber das hängt vom konkreten Fall ab. Das Verb „merkeln“ zum Beispiel bedeutet „in Sprechblasen sprechen“ oder „sich nicht eindeutig ausdrücken“. Es schwingen also mehrere Konnotationen mit; eine ganze Bandbreite von Tätigkeiten und Verhaltensweisen wird angedeutet. Oder denken Sie an „wulffen“ oder „stoibern“.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wofür „stoibern“ steht

Wofür steht „stoibern“?
Das Wort taucht zum ersten Mal 2005 auf – kurz vor der berühmten Rede zum Transrapid –, zunächst mit der Bedeutung „sich demontieren.“ Nach der Transrapid-Rede hat sich die Bedeutung verändert: „sich verhaspeln“, „nicht geradeaus sprechen“, das Durchsetzen der eigenen Rede mit Füllwörtern, und so weiter.

Viele dieser Wortschöpfungen haben eine unscharfe Bedeutung.
Sie sind auf jeden Fall kontextabhängig. Es gibt aber Unterschiede. „Merkeln“ ist sehr ambivalent, „guttenbergen“ schon weniger, und „riestern“ hat eine relativ klare Bedeutung. „Wulffen“ wiederum hat gleich mehrere Bedeutungen. Einerseits: „lügen, es aber nicht zugeben wollen“. Andererseits: „auf Kosten anderer leben“ oder „jemandem den Anrufbeantworter mit sinnlosem Palaver vollquatschen“. Das sind völlig verschiedene Kontexte! Trotzdem versteht jeder, was gemeint ist, wenn ich in einer bestimmten Gesprächskonstellation frage: Bist Du schon wieder am Wulffen?

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Prominente Person + charakteristische Verhaltensweise = neues Verb?
So in etwa. Das ist ein ganz neues, kreatives Wortbildungsmuster, das eine semantische Lücke ausfüllt. Sie können mit einem Verb wie „hartzen“ mittlerweile etwas Eigenes, Neues ausdrücken. Da schwingt ganz viel mit.

Der Verdacht liegt nahe, dass solche Wortschöpfungen ein Verfallsdatum haben: Irgendwann ist die Bezugsperson nicht mehr bekannt.
Klar. „Abwaigeln“ können Sie heute schon nicht mehr sagen – welcher Jugendliche kennt noch Theo Waigel? Oder denken Sie an „schrödern.“

Wofür steht das?
Na, überlegen Sie mal.

Mmh. Poltern, Basta, mit der Faust auf den Tisch hauen…?
So ähnlich: Jemandem auf arrogante Art und Weise die Meinung sagen. Aber das funktioniert eben nur, wenn alle wissen, wer und welche spezifische Verhaltensweise der Person gemeint ist.

In 15, 20 Jahren weiß also keiner mehr, was „hartzen“ bedeutet?
Davon kann man ausgehen. Spätestens nach der nächsten Sozialreform wird es einen neuen prominenten Kopf geben. Wer Peter Hartz ist, wird dann keiner mehr wissen.

Herr Steckbauer, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Daniel Steckbauer forscht und lehrt am Fachbereich Deutsche Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 2008 bis 2011 war er Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Jugendsprache im Längsschnitt”.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

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