- Die Krux mit der Herkunftsnennung
Sollten Journalisten die Herkunft von Straftätern nennen? Die Aufregung um eine entsprechende Richtlinie im Pressekodex war unnötig: Denn die Antwort lautet nicht nur häufiger Ja, als viele dachten. Manchmal kann eine Nennung sogar Diskriminierung vorbeugen
Auch eine Medienkritik darf einmal mit einem Lob anfangen. Es stimmt hoffnungsfroh, dass die Branche sich monatelang leidenschaftlich über Ethik gestritten hat. Ethik, das ist nicht nur dieser fakultative Frontalunterricht ab der dritten Klasse, sondern das, was der Namensgeber dieser Zeitschrift – Cicero – mal als Moralphilosophie bezeichnet hat, als Lehre vom guten, richtigen Handeln.
Es ging um die Frage, ob Medien die Herkunft von Straftätern nennen sollten. Im Mittelpunkt: eine Ziffer – die 12.1. Das ist jene Richtlinie des Pressekodex, die Journalisten ermahnt, bei der Berichterstattung über Kriminalität Diskriminierungen zu vermeiden. Viele sahen darin eine Gängelung, forderten die Abschaffung der Regel.
Vorwurf der Vertuschung durch die Medien greift ins Leere
Der Presserat hat in dieser Woche getagt – und klargestellt: An der Richtlinie werde man nichts ändern. Die Herkunft oder Religion eines Täters oder Tatverdächtigen soll auch weiterhin nicht genannt werden, es sei denn, es besteht für einen Vorgang ein „begründbarer Sachbezug“.
Es ist gut, dass über diese Richtlinie gestritten wurde, nur das Wie war suboptimal. Die pc- oder post-colonia-Debatte hatte einen enormen Hitzegrad erreicht. Und im Ergebnis zeigt sich: Fast alle Befürchtungen waren unbegründet. Vollkommen.
Da waren teils anonyme Medienkritiker in den (a)sozialen Medien, die behaupteten, nach den Kölner Silvesterereignissen seien Informationen bewusst und flächendeckend vertuscht worden. Doch der Vorwurf greift ins Leere: Der „Kölner Stadtanzeiger“ hat schon am 2. Januar über die Übergriffe berichtet. Als die Polizei am 4. Januar von Tatverdächtigen mit „arabischem oder nordafrikanischem“ Aussehen sprach, übernahmen das fast alle Medien – bundesweit. Das ZDF berichtete verzögert, wofür sich der Stellvertretende Chefredakteur Elmar Theveßen entschuldigte.
Journalisten müssen nie etwas verschweigen
Weiterhin erwiesen sich Befürchtungen, die Richtlinie 12.1 würde das Publikum bevormunden, als unbegründet. Der Medienforscher Horst Pöttker etwa kritisierte: „Diese Regel beruht auf der Vorstellung, dass das Publikum nicht mündig ist, dass es Vorurteile hat und mit Informationen nicht umgehen kann.“ Und die Bild-Chefin Tanit Koch sagte der „Tagesschau“ kurz nach der Entscheidung am Mittwoch: „Wir halten das für falsch, weil die Menschen merken, wenn ihnen etwas verschwiegen wird, und sie dann mit Misstrauen reagieren. Und dieses Misstrauen ist brandgefährlich.“
Dabei müssen und mussten Journalisten niemals etwas verschweigen. Die 12.1 gibt keine Anweisung zur Vertuschung. Darin heißt es wörtlich:
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“
Das ist so allgemein formuliert, dass Journalisten auch weiterhin nicht nur alle Möglichkeiten für gute, umfassende Berichterstattung haben, sondern auch, um Tatverdächtige genauer zu beschreiben.
Alle 31 Beschwerden zu den Köln-Vorfällen wurden abgewiesen
Der Presserat hat in seiner Sitzung am Freitag mehrere betroffene Medien vom Diskriminierungsvorwurf freigesprochen: Das Gremium wies alle 31 Beschwerden zu den Vorfällen von Köln ab. Auch jene elf, die zu dem Focus-Cover „Frauen klagen an“ vorlagen. Darauf war eine nackte, deutsche Frau zu sehen, deren Haut von schwarzen Handabdrücken übersät ist. Das Urteil des Presseratsausschusses: Die Abbildung sei nicht eindeutig in eine Richtung interpretierbar und daher vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Keine Diskriminierung im Sinne der 12.1.
Wir halten fest: Die Richtlinie 12.1 ist weder Gesetz noch Gängelung, auch „kein Maulkorb“, wie Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, zurecht sagte. Sie zieht allenfalls eine Untergrenze für journalistischen Anstand. Sie definiert ein Mindestmaß für Menschlichkeit.
Trotzdem herrscht Verwirrung in vielen Redaktionen: Was ist denn nun ein „begründbarer Sachbezug“, der für die Nennung eines Tatverdächtigen vorliegen sollte? Der Presserat will dazu demnächst eine Handreichung liefern.
Aber auch die wird Journalisten nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst nachdenken zu müssen.
Dazu drei Beispiele.
Übergriff eines Afghanen in München führt zu drei verschiedenen Darstellungen
Erstens: Die Münchner Polizei berichtete am Donnerstag von einem Fall sexueller Beleidigung mit massiver Körperverletzung. Ein 20-Jähriger aus Afghanistan soll eine 17-Jährige „erst an der Brust und anschließend im Genitalbereich begrapscht“ haben. Später soll er mit Fäusten und Füßen massiv auf sie eingeschlagen haben. Die Gruppe von circa 15 Jugendlichen, mit der die beiden unterwegs waren, habe erst dann ein eingegriffen, als das Opfer bereits am Boden lag.
Wie soll nun die Lokalpresse mit dieser Meldung umgehen?
Die „Süddeutsche Zeitung“ verzichtete auf die Kennzeichnung des 20-Jährigen. Sie machte aus dem Afghanen einen „Azubi“.
Die Münchner „Abendzeitung“ blieb recht nah an der Polizeimeldung und nannte auch die Herkunft des Tatverdächtigen.
Die Boulevardzeitung „tz“ nannte auch die Herkunft des Opfers. Demnach habe es sich bei der 17-Jährigen um eine Afghanin gehandelt.
Wer hat es nun richtig gemacht?
Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, kritisiert alle drei Nachrichten: „Ich glaube, dass die Zeitungen unsicher waren im Umgang mit dieser Polizeimeldung.“ Die Lokalredaktionen hätten sich die Frage stellen müssen: Welche Geschichte wollten sie eigentlich erzählen?
Die Polizei ist auch bemüht, den Richtlinien des Pressekodex zu entsprechen
Dem Leser werden in diesem Fall drei Deutungen präsentiert: Nach Lektüre der SZ bleibt der Eindruck, es handle sich um eine sexuelle Attacke eines Deutschen auf eine Bayerin. Bei der Variante Abendzeitung – die eines Ausländers auf eine Deutsche. In der tz ist es die Geschichte einer Gewalttat unter Afghanen.
Doch dann, findet Tillmanns, hätte man die Meldung auch einordnen, problematisieren können, denn hier stelle sich die Frage des Frauenbildes junger Afghanen.
Übrigens ist auch die Polizei München bemüht, der Richtlinie 12.1 des Pressekodex zu entsprechen, wie ein Sprecher mitteilte. Entschieden werde hier nach dem Kriterium, ob eine Meldeadresse vorliegt oder nicht. Bei gemeldeten oder langjährig in München lebenden Türken etwa werde der Tatverdächtige als „Münchner“ bezeichnet. So werde Stigmatisierung vermieden, „da hier die Straftaten regelmäßig unabhängig von einer kulturellen oder ethnischen Prägung erfolgen“. Durchreisende Tatverdächtige, Touristen und Personen ohne festen Wohnsitz hingegen würden im Pressetext mit ihrer Nationalität bezeichnet. Seit kurzem behandelt die Polizei auch Flüchtlinge so, da die Unterkunft in Gemeinschafts- oder Erstaufnahmeeinrichtungen „ein recht neues und zum Teil auch temporäres Konstrukt ist“.
Dass es auch problematisch sein kann, Nationalitäten zu verschweigen, zeigt das zweite Beispiel.
Zurückhaltende taz erwähnt Nationalitäten von Hamburger Straftätern nicht
Die „taz“ berichtet in ihrer Freitagsausgabe vom Stand der Ermittlungen in der Hamburger Silvesternacht. Dort liegen der Polizei inzwischen 243 Anzeigen vor. Die Zeitung zitiert einen Polizeisprecher, wonach es fast gar keine Anzeigen mehr gebe, in denen Sexualdelikte keine Rolle spielen. 23 Verdächtigte konnten ermittelt, sieben vorläufig festgenommen werden. Die taz erwähnt zwar unter Berufung auf das LKA, dass ein 21-Järhiger „in einer Zentralen Flüchtlings-Erstaufnahme in Bremen“ sowie ein 25-Jähriger „in einer Unterkunft in Hamburg“ festgenommen werden konnten. Doch konkreter wird es hier nicht. Keine Nationalität. Kein Hinweis, dass der 21-Jährige ein Marokkaner, der 25-Jährige ein Iraner war.
Dabei suchte die Polizei sogar in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ nach dem Iraner. Vor einem Millionenpublikum.
Presserats-Geschäftsführer Tillmanns versteht hier die Zurückhaltung der taz nicht: Er würde in diesem Fall, im Kontext der Köln-Ereignisse, ein Herkunftsmerkmal erwarten, sagte er Cicero. „Wenn nach einem Tatverdächtigten polizeilicherseits gefahndet wird, ist das ein relevantes Kriterium.“ Selbst, wenn die Polizei die Nationalität konsequent rausgehalten hätte, ist er der Auffassung: „Wir haben eine öffentliche Aufgabe.“
Nationalitäten nennen, um Diskriminierung vorzubeugen
Übrigens kann ein Sachbezug auch sein, Nationalitäten zu nennen, um Diskriminierung zu vermeiden.
Wie das geht?
Der Chefredakteur der „Sächsischen Zeitung“ Uwe Vetterick, der selbst an der Sitzung des Presserats teilgenommen hatte, begründete das mit den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung seines Blattes: Demnach gingen viele Leser davon aus, die Tatverdächtigen seien Asylbewerber, wenn in der Berichterstattung keine Nationalität genannt werde. Die neue Regelung könnte solche Missverständnisse vermeiden helfen, sagte Vetterick.
Ein solches Handeln trüge dem Geist der Ziffer 12.1 Rechnung. Der Diskriminierungsschutz hilft vielleicht auch, einen zweiten Philosophen der Lehre des guten Handelns zu bemühen: Max Weber. Der empfahl, im Zweifelsfall der Verantwortungsethik vor einer starren Gesinnungsethik den Vorzug zu geben.
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