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Flüchtlingskrise und Basta-Politik - Der Bürger als Untertan

Kisslers Konter: Mit der Flüchtlingskrise kehrt ein überwunden geglaubter Politikstil zurück: Politik als Befehl und Gehorsam. Merkel, Schäuble, de Maizière sind darin Meister. So aber wachsen Entpolitisierung und Demokratieverdruss

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Schlagworte sind bekannt, sie füllen die Chroniken des beginnenden 21. Jahrhunderts: Reif sei die Zeit für einen neuen Politikstil. Transparenz müsse her, Partizipation, Bürgernähe, ein Dialog auf Augenhöhe. Die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger gelte es ernst zu nehmen, Politik sei Kommunikation, daran arbeite man. Die Menschen wolle man mitnehmen, niemanden zurücklassen, Deutschland sei ein Mitmachland. So reden die Parteien in Deutschlands Parlamenten. Die Asyl- und Flüchtlingskrise brachte die Mumpitzhaftigkeit dieser Rhetorik zu Tage. Die Basta-Politik ist wieder da. Der Bürger kehrt als Untertan zurück.

An drei aufeinander folgenden Tagen, kurz vor den Iden des März, offenbarte sich ein Abgrund an gemeinschaftlichem Utopieverrat. Es hätten sich auch andere Sätze aus anderen Mündern gefunden. Doch lassen wir es bei drei Angehörigen der Exekutive mit CDU-Parteibuch bewenden: dem Bundesinnenminister, dem Bundesfinanzminister und der Bundeskanzlerin. Sie sprachen am 5., 6. und 7. März 2016 von dem, was die Deutschen nicht tun sollten, was die Politik tun müsse und was ganz und gar unmöglich sei. Dreimal wurde an der Agenda des Unausweichlichen gestrickt, die doch nur eines zeigt: dass Politik von der Kunst des Machbaren zur Technik des Ausweglosen geworden ist. Und dass Einreden unerwünscht sind.

Die neue Kommandopolitik ist immun gegen Zweifel
 

Thomas de Maizière erklärte mit Blick auf die Menschenrechtslage in der Türkei, wo Demonstranten drangsaliert, Journalisten verhaftet und Kurden gejagt werden: „Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein.“ Mit dem verneinten Sollen, einem scheinmoralischen Veto von höchster Warte, einem umgekehrten Imperativ, errichtete de Maizière ein Tabu. Schlimmes im Ausland soll toleriert werden, um vermeintlich Schlimmeres im Inland abzuwenden. Von Menschenrechten soll der gute Deutsche schweigen, wenn die Regierung mit einem menschenrechtsunempfindlichen Autokraten verhandelt, der die eigenen Fehlentscheide für teures Geld reparieren soll. Derselbe Satz ließe sich auf Kim Jong-un oder Abu Bakr al-Baghdadi anwenden, sollten dereinst deutsche Regierungsinteressen in Nordkorea oder auf dem Gebiet des „Islamischen Staates“ tangiert sein. De Maizière hat die Universalität der Menschenrechte, auf die man sich im Innern beruft, für die Außenpolitik außer Kraft gesetzt. Und von den Bürgern Kumpanei eingefordert.

Tags darauf benannte der Finanzminister in einem in der „Welt am Sonntag“ veröffentlichten Brief an seine Kabinettskollegen einen der vielen Zwänge des Regierens. Keinen Platz, gab Wolfgang Schäuble zu verstehen, habe momentan der Widerspruch. „Andere Politikbereiche müssen sich unterordnen“, dekretierte der Finanzminister in einem Brief an die Regierungskollegen. Das blanke Müssen markiert jenen rhetorischen Knüppel, der aus dem Sack des Machers auf alle Widerspenstigen darnieder fährt. Die Finanzierung der Flüchtlingskrise, erläuterte Schäuble, habe „für die Bundesregierung oberste Priorität“, nichts und niemand sonst habe zusätzliche Mittel zu erwarten. Wenn Politik sich noch im Raum der Gründe bewegte, wäre die Frage nach dem Warum alternativlos. Weshalb diese Rangordnung der Ausgaben? Wer gab die demokratische Legitimation? Die neue Kommandopolitik ist gegen Motive ebenso immun wie gegen Zweifel. Prioritäten werden gesetzt, nicht erklärt; Maßnahmen ergriffen, nicht kommuniziert. Das Wort „Flüchtlingskrise“ wird zum Pflaster auf dem Mund aller, die sich das Fragen nicht abkaufen lassen wollen.

Nur Anordnung ist statthaft
 

Angela Merkel erklärte tags darauf wiederum, in Brüssel, beim Gipfel zur Flüchtlingskrise, die eine Merkelkrise geworden ist: „Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird.“ Gemeint waren Grenzen, war die Balkanroute, doch die Flucht ins Globalwort war ebenso wenig zufällig wie die Verzeichnung des Abgelehnten zum Unmöglichen. Als sprächen metaphysisch verschärfte Wahrheiten aus einer höheren Orts beauftragten Regierungschefin, deklarierte sie Meinungen als Störfälle der sinnlichen Welt. Meinungen sind nicht vorgesehen, darum dürfen sie nicht sein, nur Anordnung ist statthaft. Was nicht sein darf, das kann nicht sein: So lautet das Merkeltheorem, mit dem Kritiker in den Kreis des Schöpfungswidrigen geschoben werden.

Wir sollten nicht, wir müssen, es kann nicht sein: Wo Ansichten waren, sollen in der Basta-Politik Dienstanweisungen werden. So ist die neue Lust am Befehlen die Kehrseite einer allenthalben beklagten Realitätsverweigerung. Eine Wirklichkeit, die sich der politischen Agenda nicht fügen will, muss für falsch erklärt werden. Aus Meinungsstreit wird Gehorsamspflicht. So trägt am Ende Politik zur Entpolitisierung bei – und Moralismus zur Amoralität.

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