Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

EU-Kommissar - „Wir ziehen die Konsequenzen aus der Krise“

EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier zu Bankerboni, der Bedeutung Großbritanniens für Europa und der Macht der Märkte

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Herr Barnier, derzeit legen Sie sich mit allen an. Die Deutschen ärgern Sie mit dem Wasser. Die Briten laufen Sturm gegen die neuen Regeln, die Banker-Boni zu begrenzen. Warum sind Sie so streitlustig?
Ich habe einen starken Willen. Ich will ein starkes Europa. Deshalb habe ich in den vergangenen Jahren allein 28 Vorschläge für die Regulierung der Finanzmärkte gemacht. Ich bin angetreten für eine Veränderung der EU-Wirtschaftspolitik - weg vom reinen Liberalismus.

Ein Beispiel dafür ist ihre Initiative, ab 2014 die Bonuszahlungen für Banker zu begrenzen. Ist das eine Revolution, wie es im Europaparlament heißt, oder nur ein erster Schritt auf einem langen Weg?
Das ist keine Revolution, das entspricht einfach dem gesunden Menschenverstand. Denn ein Bonus ohne Grenzen bedeutet Risiko ohne Grenzen. Eine echte Revolution sind hingegen die Reformen, die wir im Bankensektor angestoßen haben, mit den größeren Eigenkapitalanforderungen, besserer Überwachung, der Regulierung der Schattenbanken. Damit haben wir die Lehren aus der Finanzkrise gezogen!

Das hat aber lange gedauert, seit dem Beginn der Krise sind schon fünf Jahre vergangen!
In der Demokratie braucht nun mal alles seine Zeit.

Doch nun klagt der konservative britische Premier David Cameron, die neuen Regeln richteten sich gezielt gegen die Finanzindustrie in der City of London. Was halten Sie davon?
Das ist überhaupt nicht gegen die Londoner City gerichtet. Es geht uns vielmehr darum, die Basis für einen gesunden Finanzsektor zu legen.

Warum schmeißt man die Briten nicht einfach aus der EU raus, wenn sie ständig Sonderwünsche haben?
Es wäre ein großer Fehler! Das Finanzzentrum London ist wichtig für die EU. Es zieht viele Investoren an. Wir brauchen die City genauso wie eine starke Chemie-Industrie in Deutschland oder die Nahrungsmittelindustrie in Frankreich. Außerdem haben wir mit den Briten immer wieder Kompromisse gefunden. Den meisten meiner Vorschläge haben sie schließlich zugestimmt.

Die Schweiz will noch weiter gehen als die EU und streng gegen "Abzocker" in den Unternehmensvorständen vorgehen. Was sagen Sie dazu?
Das Volk hat immer recht (lacht)! Aus meiner Sicht ist es ein gutes Signal, dass man die Aktionäre stärker zur Verantwortung ziehen will. Wir werden im Herbst eine ähnliche Initiative starten. Das war übrigens schon vor der Schweizer Abstimmung geplant.

Wird dann auch der goldene Handschlag verboten, wie in der Schweiz?
Warten wir es mal ab. Letztlich müssen die Aktionäre entscheiden. Unser Ziel ist nicht, die Finanzmärkte zu behindern. Wir brauchen sie und die Banken. Aber sie müssen für die Realwirtschaft arbeiten, und nicht nur auf kurzfristige Profite schielen.

Haben Sie nicht viel zu lange mit dieser Initiative gewartet? Die Finanzmärkte haben EU-Ländern wie Griechenland und Portugal enorme Probleme bereitet. Müssen sie stärker reguliert werden?
Es stimmt, dass die Finanzmärkte in Ländern wie Griechenland oder Portugal falsche Signale gesendet haben. Aber ein Teil der Verantwortung liegt auch bei den Regierungen, die sich auf den Märkten Geld besorgt haben.

Die falschen Signale kamen oft von den drei großen US-Ratingagenturen. Sind sie zu ängstlich mit diesen Agenturen umgegangen? Und warum schaffen Sie nicht endlich eine europäische Agentur?
Nein, wir waren nicht ängstlich. Wir haben schon drei EU-Gesetze zu den Ratingagenturen auf den Weg gebracht, und glauben Sie mir, die Agenturen sind davon nicht begeistert. Zum Beispiel führen wir eine zivilrechtliche Haftung für falsche Ratings ein. Auf Wunsch des Europaparlaments werden wir zudem einen Vorschlag für eine europäische Ratingagentur vorlegen. Aber das braucht seine Zeit.

Und wenn alles fertig ist, wird es nie wieder eine Krise geben?
Man soll niemals nie sagen. Wir ziehen die Konsequenzen aus der letzten Krise: Kein Akteur, kein Produkt, kein Marktsegment wird einer öffentlichen Regulierung entgehen. Aber die Akteure an den Finanzmärkten sind sehr einfallsreich. Deshalb lege ich so großen Wert auf eine schlagkräftige Aufsicht. Wenn sie fertig ist, werden wir viel schneller handeln können als vor der Krise. Nach vielen Jahren der Deregulierung schaffen wir einen Rahmen für eine rigorose Regulierung. Dennoch können Sie Probleme nie ausschließen.

Verstehen sie, dass viele Menschen meinen, ihr Schicksal liege in der Hand der Märkte?
Ja, aber das ist immer weniger wahr. Ich möchte, dass die Politik wieder die Oberhand gewinnt. Die Demokratie muss das letzte Wort haben, nicht die Technokraten oder die Märkte.

Die Fragen stellten Eric Bonse und Ruth Reichstein

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.