Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

4 Jahre Sonntagskolumne - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit

Kolumne Stadt, Land, Flucht. Kolumnen schreiben ist ein ständiger Prozess zwischen Hochgefühl und Selbstdemütigung. Man braucht den richtigen Gedanken im richtigen Moment und dann auch noch den Flow. Und wenn alles passt, erscheint die Jubiläumskolumne eine Woche vor dem Jubiläum. Ein Erklärversuch 

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

So erreichen Sie Marie Amrhein:

Manchmal gucke ich in den Wald vor meinem Fenster und warte auf eine Idee. Wenn keine kommt, schaue ich in den Computer. Wenn dort auch keine kommt, gucke ich wieder in den Wald.

Es kann zermürbend sein, das Kolumnenschreiben. Es gibt Wochen, in denen ich mich frage, ob ich es nicht lieber sein lassen sollte. Ich habe dann das Gefühl, kein Thema ist es Wert, dass ich meinen Senf dazu gebe. Oder, schlimmer noch, ich bin es nicht Wert, meinen Senf zu bestimmten Themen zu geben. Aus heiterem Himmel passiert dann meistens irgendetwas im Wald oder im Computer und rettet mich aus dem Purgatorium des weißen Blattes.

So kam in der vergangenen Woche Freund und Nachbar B. vorbei und brachte das Zeit-Magazin. Dort hatten sich die Godfathers of Kolumnenschreiben zu Wort gemeldet. Harald Martenstein und Axel Hacke schütteln seit Jahrzehnten extraordinäre Kolumnen aus dem Ärmel und zeigen uns normalsterblichen Kolumnisten, wo der Frosch die Locken hat. Ich lese ihre Texte mit einem gespaltenen Gefühl aus neidvoller Begeisterung.

Im jetzt erschienenen Interview erklären Hacke und Martenstein, sie seien angetreten, die Versagensängste der Menschen zu lindern. Wenn sie von dem Nichtgelingen, der Niederlage schreiben, trösteten sie nach eigener Aussage damit sich selbst und die Leser gleich mit. Und so lies ich mich trösten. Damit, dass Axel Hacke seit 25 Jahren des Kolumnenschreibens von einem Gespenst heimgesucht werde, das ihm über die Schulter schaue, wenn der Abgabetermin näher rücke. Davon, dass der große Martenstein manchmal stundenlang in den Computer hineinstarre – ohne dass sich etwas tue.

Nicht vorschnell, sondern rechtzeitig mit dem Flow
 

Wenn die Könner auf einem Gebiet von ihren Verfehlungen erzählen, dann ist das außerordentlich beruhigend. Kolumnen schreiben ist für mich ein ständiger Prozess zwischen Sich-Selbst-Versichern und Tief-Fallen, zwischen Hochgefühl und Selbstdemütigung. Vor vier Jahren erschien meine erste Kolumne bei Cicero Online, ich habe am Tag der Geburt meiner zweiten Tochter geschrieben und zwei Wochen nach der Geburt der dritten. Bis auf ein paar Urlaubswochen habe ich eigentlich immer nach Ideen für die nächste Kolumne gesucht. Freunde und Familie wissen, dass kein Gespräch, keine Begebenheit nicht als Anekdote herhalten könnte. Mich erreicht kein Thema, das nicht sofort auf seine Tauglichkeit geprüft würde, bei dem ich mich nicht frage: Berührt es mich so, dass ich darüber schreiben kann? Schwierig ist dabei, dass mich ein Thema in einer Woche wahnsinnig aufregen kann, in der nächsten schon wieder nicht. Es liegen ein Haufen Themen in meinem Ideen-Ordner, zum Beispiel über Schützenvereine, Scheidungskinder und einen schimpfenden Bauern im Büro. Aber das Merkwürdige ist: Die meisten von ihnen fasse ich nie wieder an.

Deshalb helfen mir auch weder Vorschläge meiner Mitmenschen, noch kann ich Kolumnen vorschreiben. Und genau deswegen muss ich heute schon die Jubiläumsausgabe schreiben, obwohl erst in einer Woche das echte Vierjahresjubiläum stattfindet. Es könnte nämlich sein, dass es dann nicht mehr geht. Dass ich nicht in den Flow komme.

In seinem Buch Das kolumnistische Manifest schreibt Axel Hacke, das Kolumnenschreiben gebe seinem Alltag Struktur und seiner Existenz Halt. Auch in meinem Leben würde sich wirklich etwas entscheidend ändern, gebe es für mich keinen Kolumnenabgabetag. Ich bin sehr froh, dass es ihn gibt. Und danke Ihnen, lieber Leser, herzlich für die Aufmerksamkeit.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.