- Liebe Neonazis, verschwindet von unserer Seite!
Die Medienkolumne: Die Medien werden zunehmend überschwemmt von rechtsextremen Kommentaren. Die Lübecker Nachrichten verzichten seit dieser Woche auf Facebook-Posts über Flüchtlingsthemen. So umstritten die Maßnahme ist: Hass ist nicht von Meinungsfreiheit gedeckt
Als die Lübecker Nachrichten vor einer Woche ankündigten, keine Berichte über Flüchtlinge mehr bei Facebook zu teilen, brach dort der Furor los. Von einem „Totschweigen“ von Informationen war die Rede, von „Zensur“. Manch einer schreckte auch nicht vor Vergleichen mit dem Dritten Reich zurück.
Dabei hatte die Zeitung weder angekündigt, die Berichterstattung über derartige Themen ganz einzustellen noch irgendwelche Einschränkungen auf der eigenen Onlineseite vorzunehmen. Grund für die Maßnahme seien die „Masse der justiziablen Anfeindungen und die Folgen wie Beleidigungsklagen“ gewesen. „Diese polemischen Exzesse widersprechen unserer Netiquette und auch der ansonsten freundlichen und sachlichen Gesprächskultur auf diesem Kanal, die wir weiter pflegen wollen“, schrieb Onlineredakteur Timon Ruge.
Man kann nur erahnen, was noch so alles eingeht bei den Lübecker Nachrichten, denn „allerlei Hass“ werde man löschen, hieß es dort. Zwar erfuhr die Zeitung auch Unterstützung von Facebook-Nutzern, die sich angesichts des Rassismus schockiert zeigten. Aber es waren die wenigsten.
Geht so etwas überhaupt? Publikumskritik unterbinden?
Mit Zensur hat der Verzicht auf Facebook schon einmal deshalb nichts zu tun, weil dieser Begriff eine staatliche Maßnahme zur Unterdrückung von Meinungsfreiheit voraussetzt. Hier wehrt sich ein privates, an Aufklärung interessiertes Unternehmen gegen einen braunen Mob.
Zudem nutzten Rechtsextreme Artikel über die Flüchtlingsproblematik und ähnliche Themen gerne für ihre Zwecke und propagandistischen Nachrichten, warnt der Dortmunder Fotojournalist Marcus Arndt, der selbst von Rechtsextremen bedroht wurde. „Daher ist die Abschaltung der Kommentarfunktion ein gutes Mittel, diesem Einhalt zu gebieten.“ Auch die Ruhrnachrichten Dortmund würden dies tun.
Sueddeutsche.de hat seinen Kommentarbereich eingeschränkt. Der „Stern“, der seine Webseite gerade einem Relaunch unterzogen hat, erlaubt das nur registrierten Usern – und weist auch darauf hin, dass Verfasser gesperrt werden können. Die taz löscht Beiträge von Neonazis oder Pegida-Trollen oder blendet sie aus.
Cicero erlaubt grundsätzlich keine anonymen Kommentare mehr auf seiner Webseite. Jede Leserin, jeder Leser muss sich mit dem Namen zum eigenen Beitrag bekennen. Denn auch hier kennt man die Probleme der Lübecker: Ausländerhass, offener Rassismus, ein Absender, der sich „Adolf Hitler“ nennt. Derartiges bekommen Leserinnen und Leser natürlich nicht zu sehen.
Betreiber von kommerziellen Nachrichtenseiten können für diffamierende Inhalte sogar haftbar gemacht werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag entschieden. In dem Fall musste ein estnisches Portal eine Entschädigung zahlen, weil es einen beleidigenden Kommentar nicht schnell genug entfernt hatte (Az. 64569/09).
Es ist also nicht nur eine Frage des Geschmacks, Kommentare, die den Boden des Grundgesetzes verlassen, zu unterbinden – es ist eine Frage des Rechts.
Aber trifft diese Facebook-Sperre nicht auch unbescholtene Bürger? Nutzer, die konstruktiv mitdiskutieren wollen? Oder einfach nur Kritik an Medien äußern, die sowohl legal als auch legitim ist?
Tatsächlich ist es wichtig, auf Kritiker einzugehen, transparent zu sein, Dialog zu führen. Das ARD-Magazin „Panorama“ hat all das versucht. Rund 800 Zuschauerinnen und Zuschauer äußerten sich zu einem „Gesprächsversuch mit Kritikern“ Anfang Juni im Forum und bei Facebook. Freilich ging es hier weniger um Flüchtlinge und Neonazis – sondern um Medienkritik, um Vorwürfe von „Lügenpresse“ und einseitiger Ukraine-Berichterstattung. Doch selbst da war das Ergebnis ernüchternd: „Mit denjenigen unter den Kritikern, die eine systematisch und absichtsvoll verzerrte Darstellung der Realität durch die Medien vermuten, ist schlechterdings kein verständigendes Gespräch möglich“, schrieb der Onlineredakteur Andrej Reisin und hielt fest: „Unter den kritischen Kommentatoren stellt diese Gruppe aber leider die Mehrheit dar.“ Auch hier scheint Rechtsfuror ein Problem.
Zunehmend stehen sogar Medien selbst im Fadenkreuz des Rechtsextremismus. Am Mittwoch ging bei dem Blog „Ruhrbarone“ eine Drohung gegen die Macher ein; zeitgleich war die Geschäftsstelle der Dortmunder Piratenpartei Ziel eines Anschlags. Der Absender: eine „Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund“ (NWDO).
Die Lausitzer Rundschau hat nicht nur Erfahrungen mit rechtsradikalen Attacken, sondern auch mit extremistischen Inhalten auf der Webseite. „Sie interessieren sich gar nicht für unsere Publikationen, sondern wollen nur ihren Hass abschütten“, sagt Chefredakteur Johannes M. Fischer über die Störer. Zudem würden Neonazis auch andere Leser vertreiben. Deswegen lösche die Rundschau entsprechende Inhalte regelmäßig. In Zukunft wolle man die Leserforen mehr denn je wie in einer guten Podiumsdiskussion moderieren, ohne sich wichtigen Debatten zu verschließen, sagt Fischer. „Dabei steht das Werte-Thema – nach welchen Regeln wollen wir leben – ganz hoch auf der Agenda.“
Gegen Menschen, die versuchen, Journalisten einzuschüchtern, empfiehlt der Fotojournalist Marcus Arndt, „zu schreiben, was wir wollen, zeichnen, dichten, malen, auszusprechen, wie wir es wollen“. Er weiß, wovon er spricht: Er war im März während einer Neonazi-Demo gegen ein Flüchtlingsheim attackiert worden. Gegen Arndt und vier weitere Journalisten kursierten damals auch fingierte Todesanzeigen im Internet: „Nach seinem hoffnungslosen Kampf gegen Nationale Aktivisten bedeutet sein baldiger Tod mehr als eine Erlösung für uns alle“, hieß es darin.
Arndt sagt: „Wenn wir Journalisten uns von derartigen Menschen in unserer Presse- und Meinungsfreiheit einschüchtern lassen, spätestens dann sind wir nicht mehr frei.“
Was die Lübecker Nachrichten getan haben, hat nichts mit Einschüchterung zu tun: Die Redakteure berichten weiter über Flüchtlingsthemen. Sie blenden nur den Hass aus.
Denn: Hass abladen – ob physisch oder virtuell – hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun.
Update am 29. Juni: Ergänzt um die Stellungnahme der Lausitzer Rundschau
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Sehr geehrte Damen und Herren! Aus meiner Sicht trägt und trug eine (ausschließlich) links-grün orientierte Schreiberkunst dazu in erheblichem Maße dazu bei, dass Ultrarechte (zu denen ich mich nicht zähle!) im Schutz der Anonymität ihre Kommentare ablassen. Will sagen: Auch der Presse ist ein gehöriger Teil Mitschuld an dieser Unkultur zuzuschreiben. Natürlich ist es nicht ok, wenn Redakteuere beleidigt oder bedroht werden, da gibt es keinen Zweifel. - Andererseits gibt es kein Kontrollorgan, das die Presse (einschl. TV) wirksam kontrolliert. Beschwerden an den deutschen Presserat - das ist meine wiederholte Erfahrung - werden nur "abgebügelt". Ich denke auch, dass es inzwischen (gottlob!) den Bürgerinnen und Bürgern klar geworden ist, dass es eine politikgelenkte Presse gibt. Für mich ist es durchaus nachzuvollziehen, dass Meinungen in diesem Land auch öffentlich gemacht werden. Schließlich leben WIR (noch?) nicht in einer Diktatur! Herzlichst Conrad