- Energiewirtschaft sponsert Dämmstoff-Kritik des Spiegel
Was neben den Schlagzeilen um den Rückzug von Chefredakteur Wolfgang Büchner und Geschäftsführer Ove Saffe aus dem Spiegel völlig übersehen wird: In einer Woche, in der das Nachrichtenmagazin gegen die Wärmedämmung anschreibt, lässt es sich von einem Energieerzeuger sponsern. Der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessor Lilienthal ist entsetzt
Turbulente Zeiten beim Spiegel: Wer dieser Tage eine Auskunft in anderer Sache als zu den Verlagspersonalien möchte, braucht Geduld. Die Kommunikationsabteilung hat gerade anderes zu tun, als Fragen zu „Native Ads“, Schleichwerbung, Glaubwürdigkeit und Qualität zu beantworten.
Denn am Donnerstagnachmittag gibt Chefredakteur Wolfgang Büchner seinen Rücktritt bekannt. Er verlasse das Haus „im gegenseitigen Einvernehmen“, hieß es in der Pressemitteilung. Auch Geschäftsführer Ove Saffe legt sein Amt nieder.
„Bis auf Weiteres“ übernehmen die beiden stellvertretenden Chefredakteure, Klaus Brinkbäumer und Clemens Höges, die Führung der Redaktion.
„Powered by Dong energy“
Die beiden werden nun auch die Frage beantworten müssen, wie sie es mit „Native Advertising“ bei Spiegel Online halten. Das ist Werbung, die wie redaktioneller Online-Inhalt gestaltet und von Firmen bezahlt wird. Sie passt sich ihrem Umfeld dergestalt an, dass der Leser den Unterschied zwischen Inhalt und Anzeige nicht sofort erkennt.
Der Spiegel geht da sogar schon einen Schritt weiter – und verknüpft Sponsoring mit seiner Titelgeschichte. Spiegel Online weist einen Einfluss auf redaktionelle Inhalte weit von sich; Beobachter aber halten das für problematisch.
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Das ist etwa in dem Artikel „Was das Klimapaket für Hausbesitzer und Mieter bedeutet“ der Fall. In dem Kommentar „Asozialer Wohnungsbau“ nennt Alexander Neubacher das Energiewende-Programm für Hausbauer einen „Irrweg“. Das am Mittwoch verabschiedete Milliardenprogramm der Bundesregierung zur Gebäudesanierung sei „unwirtschaftlich, unsozial und umweltschädlich“.
Dem kritischen Kommentar ist ein Hinweis auf das Heft beigestellt, „Mehr dazu im Spiegel“, darunter das Cover dieser Woche: „Die Volksverdämmung“. In der aktuellen Ausgabe legen die Autoren dar, wie Hausbesitzer mit dem Dämmprogramm „um Milliarden betrogen werden“.
Vor dem letzten Absatz taucht noch einmal ein Werbeblock desselben dänischen Energiekonzerns Dong auf, ebenfalls gekennzeichnet mit dem Hinweis „Themen-Spezial: Energiewende“.
Im Werbetext heißt es: „Atomkraft raus, Wind und Sonne rein – das ist die deutsche Energiewende. Aber was ist mit Kohle und Gas? Und wie lassen sich die Kosten begrenzen? Spiegel Online zeigt, was das Großprojekt bedeutet.“ Während Werbebanner bei Spiegel Online sonst klar mit „Anzeige“ gekennzeichnet sind, fehlt bei diesem Kasten ein solcher Hinweis.
Wer auf den Anzeigenblock klickt, landet auf dem Spiegel-Online-Dossier zu den Erneuerbaren Energien. Wieder findet sich oben der Banner: „powered by Dong Energy“.
„Erodierender Journalismus“
Auf seiner Webseite bezeichnet sich Dong Energy selbst als das „führende Energieunternehmen Nordeuropas“. In Deutschland investiert es vor allem in Offshore-Windparks.
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Der Journalismusprofessor Volker Lilienthal hält „diese Art von journalistisch unterfüttertem Direct-Marketing für hoch fragwürdig“. Er fürchtet eine Beschädigung der Glaubwürdigkeit. „Im vorliegenden Fall könnte der Leser den Eindruck gewinnen, als könne sich die Redaktion des potenten Nachrichtenmagazins ein Themen-Spezial über die Energiewende nicht mehr aus eigener Kraft leisten und brauche die Sponsoring-Zuzahlung von Dong Energy“, erklärt Lilienthal.
Besonders problematisch sei dies in einer Woche, „in der der Spiegel mit seiner Titelgeschichte Front macht gegen falsche Verfahren bei der Wärmedämmung. Wenn zur Kampagne noch die Reklame kommt, haben wir eine Überdosis von Verquickung – und einen erodierenden Journalismus“.
Lilienthal hat die Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus in Hamburg inne. Augstein war der Gründer des Spiegel und ist zugleich der Namenspatron jener Professur, die die Rudolf-Augstein-Stiftung der Universität Hamburg 2006 gestiftet hat.
Matthias Streitz, geschäftsführender Redakteur von Spiegel Online, betont indes, dass mit dem Sponsoring „selbstverständlich keinerlei Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte verbunden“ sei – weder beim Heft noch bei seinem Internetauftritt. „Welche Energiethemen aufgegriffen und wie sie interpretiert werden, darüber entscheidet allein unsere Wirtschaftsredaktion.“ Insofern könne von einer „redaktionellen Partnerschaft“ mit dem Werbekunden keine Rede sein, betont Streitz. „Es handelt sich um eine marktübliche Form der Vermarktung von Spezialen.“
Zugleich gelobte Streitz Besserung: „Auf der mobilen Website und in unseren Apps werden wir den Teaser des Werbekunden aber noch deutlicher von unserem redaktionellen Inhalt abgrenzen als bisher.“
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