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Gender-Gedöns - Rücksichtslose City-Emanzen

Deutsche Frauenrechtlerinnen propagieren die Mütterquote, während Inderinnen um ihre Grundrechte kämpfen. Ein Seit' an Seit' gibt es nicht, die Relation ist völlig aus den Fugen geraten.

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Und nun also die „Mütterquote“! Ist die Idee so absonderlich, wie sie klingt? Durchaus nicht. Sie ist vielmehr äußerst reizvoll. Die Bremer Soziologieprofessorin Hilke Brockmann kann auch einleuchtend erklären, weshalb sie diese neueste Forderung im deutschen Emanzipations-Kanon lanciert hat: Mehr Mütter in Entscheidungspositionen, so Brockmann, würden „Unternehmen kinder- und familienfreundlicher gestalten, andere Karrierewege öffnen und ein anderes Zeitmanagement durchsetzen“.

Und nicht nur dies. Frauen, die Kinder großziehen – und damit in der Regel auch den überforderten Gatten – verfügen über eine ausgereiftere Führungspraxis als die BWL-Bürschchen aus den universitären Legebatterien von St. Gallen oder Harvard. Mütter durchschauen beispielsweise rasch das infantile Gehabe und Gebalge um Macht und Moneten, das männliche Manager einander habituell zu liefern pflegen. So wäre es tatsächlich eine Wohltat, die kindischen Karriere-Krawalle in den Führungsetagen durch Erwachsene zu befrieden: durch Mütter!

[video:Meyers Monolog: „Den Deutschen mangelt es an erotischer Kultur“]

Die Mütterquote gesellt sich trefflich zur Frauenquote, mit welcher im Übrigen gar keine Quote eingeführt werden soll, sondern vielmehr die jahrhunderte-, wenn nicht jahrtausendealte Männerquote von 99 Prozent endlich abgeschafft. 

Ja, die Frauen schreiten Seit’ an Seit’, wie einst die Vorhut der Arbeiterklasse – casual im Business-Outfit, für festliche Anlässe im Valentino-Fummel auf Louboutin-Stilettos. Die Gleichstellung der Haute-Volée-Damen macht Fortschritte. Immerhin ist Geschlechter-Gleichheit in der durchökonomisierten Luxusgesellschaft von Berlin bis Brüssel das angesagte Thema. Kann man dagegen sein? Nie und nimmer. 

Doch wie steht es mit den Rechten der Frauen jenseits der deutschen und europäischen Wohlfühlwelt? In Indien wurde eine 23-jährige Studentin von sechs Männern in einem Bus zu Tode vergewaltigt. Sie ist, wie wir inzwischen zur Kenntnis nehmen mussten, nur eine von täglich mehreren tausend Frauen in diesem aufstrebenden Entwicklungsland, denen sexuelle Gewalt durch Männer widerfährt. Erstmals allerdings wird nicht länger darüber geschwiegen, erstmals erheben sich die Bürgerinnen zu Abertausenden gegen das Selbstverständnis indischer Männer: gegen das herrschende System. 

Und was geschah im Zusammenhang mit diesem Schrecknis bei uns, beispielsweise in der Hauptstadt Berlin? Kam es zum Protest unserer Quoten-Kämpferinnen vor der indischen Botschaft? Eilten die Elite-Frauen zum Kanzleramt, um von Angela Merkel außenpolitische Solidarität mit den Schwestern in Asien zu fordern?

Nichts geschah. Ja geschieht denn öffentlich und laut überhaupt etwas, was die Rechte der Frauen in der Dritten Welt betrifft? Man müsste es überhört haben. 

In jenen armen Ländern geht es allerdings auch nicht um die Quote in den  Führungszirkeln der Wirtschaft. In Bombay, Karatschi oder Kabul geht es um die nackte Existenz der Frauen; um ihre Befreiung aus dem Elend; um Lesen und Schreiben und Bildung allgemein; um das Recht, überhaupt geschriebenes Recht in Anspruch nehmen zu dürfen.

Seite 2: Der wahre Freiheitskampf verblasst neben deutschem Gender-Gedöns

Ein erhellendes Beispiel für die elitäre Gleichgültigkeit gegenüber fernem Frauenschicksal lieferte Claudia Roth, die Schutzheilige aller Dialog-Fetischisten: Sie bereiste, das rote Haar züchtig unter dem Kopftuch, Ahmadinedschads Gottesstaat – und zwar zur selben Zeit, als im Iran jede Stunde die Steinigung oder Erhängung der Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani hätte vollstreckt werden können. Wieder zu Hause, plädierte die Grünen-Vorsitzende für den verstärkten Dialog mit der Diktatur – und enteilte zur Demo in Gorleben, gegen den Castor-Transport, also für das Gute, gegen das Böse. 

Genau so steht’s mit der internationalen Solidarität der Gala- Feministinnen: Ihr Gender-Gedöns übertönt das Weinen und die Schmerzensschreie der drangsalierten, gedemütigten Frauen in der Dritten Welt. 

Auch in der Sprache, mit der sie ihre Passivität bemänteln, sind die Elite-Rechtlerinnen findig. Zum Beispiel verklären sie Kopftuch und Tschador gern zum Ausdruck der Selbstbestimmung und Religionsfreiheit, von den betroffenen Frauen jeden Morgen freiwillig-fröhlich übergestülpt. Insbesondere in links-grünen Kreisen grassiert diese pervers-paradoxe Befreiungstheologie. Ganz so, als habe die westliche Emanzipationsbewegung nie mit der Selbstunterdrückung von Frauen mangels Bewusstsein und Selbstbewusstsein zu ringen gehabt, vor allem in religiösen Milieus – in der konservativ‑katholischen Religionskultur ist sie sogar bis auf den heutigen Tag virulent. 

Doch seit die religiöse Szene der Migranten mitsamt ihrer Sozialarbeiter-Industrie den aggressiven Auftritt pflegt, darf nicht mehr gesagt werden, was Religion ist: eine Herrschaftsideologie von Männern für Männer – und gegen Frauen. Was immer Frauen im Zeichen des religiösen Obskurantismus angetan wird, darf man politisch korrekt – und neutralisierend – nur noch als archaisch bezeichnen. 

Das Abfackeln von Mädchenschulen in Pakistan ist archaisch; das Attentat auf die 14-jährige Schülerin, die im Norden Afghanistans zum Unterricht fahren wollte, ist archaisch; das Steinigen von Ehebrecherinnen in Saudi-Arabien ist archaisch; das Beschneiden von Mädchen im Sudan ist archaisch; das Schlagen und Töten freiheitshungriger Töchter in Berliner Migrantenfamilien ist archaisch.

Ja, was vermag man denn auszurichten gegen archaische Bräuche? Steigen sie doch auf aus dem unergründlichen Brunnen unseliger Vergangenheit, also gewissermaßen aus dem Nichts. Deshalb haben sie natürlich auch rein gar nichts zu tun mit religiös gebotener Frauenverachtung. Der Emanzen-Neusprech spricht frei. 

Und unsere City-Emanzen dürfen sich wohlgemut wieder der Mütterquote zuwenden.

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