- Crash, Boom, Bang!
Im Zwickauer Audi-Bau ist seit Mitte Juli die 4. Sächsische Landesausstellung zur Industriekultur zu sehen. Ein Gespräch mit Kurator Thomas Spring über die Geschichte von Industrie, Identität und Innovation in Ostdeutschland.
Herr Spring, Sie kuratieren die 4. Sächsische Landesausstellung. Wofür braucht es solche Veranstaltungen eigentlich?
Thomas Spring: Landesausstellungen dienen der Identitätsbildung. Die Industriekultur, um die es bei dieser 4. Landesausstellung inhaltlich geht, ist für Sachsen und seine Einwohner prägend. Wir gehen in der Ausstellung so weit zu behaupten: Das Herz von Sachsen ist die Industriekultur. Diese einzigartige Tradition kann man mindestens 500 Jahre zurückverfolgen. Dass dieses Thema dennoch so lange unbeachtet geblieben ist, ist leider nichts Sachsen-Spezifisches. Auch im Ruhrgebiet hat es lange gedauert, dieses Thema zu entdecken. Nach dem Ende des Kohlebergbaus wollte man dort die meisten alten Zechen und Gebäude abreißen. Später haben sich dann Bürgerinitiativen darum gekümmert, und danach erst haben auch die Politik und die breite Öffentlichkeit erkannt, welches Potenzial in der Industriekultur steckt.
In Sachsen gäbe es sicherlich viele Orte, an denen man diese besondere Tradition darstellen könnte. Warum hat man sich auf den Audi-Bau in Zwickau geeinigt?
Für eine Ausstellung zur Industriekultur braucht es natürlich ein gutes Gebäude. Gesetzt war, dass dieses in Südwestsachsen liegen und über einen gewissen Industriecharme mit einer historischen Patina verfügen sollte. Außerdem musste es für den erwarteten Besucheransturm gerüstet sein und eine gute Anbindung an Autobahn und öffentlichen Verkehr aufweisen. Bei der Auswahl spielten auch die erwartbaren Kosten für die Instandsetzung des Gebäudes eine Rolle. Beim Audi-Bau in Zwickau handelt es sich um eine architektonisch solide ehemalige Montagehalle auf dem Gelände des Audi-Werkes. Im Ausführungsjahr 1938 war hier das Gelände der Auto Union, die hier DKW-Frontautos, dann Lkws und Geschützlafetten für den Krieg produzierte. In der DDR wurde das Gebäude dann für die Endmontage des legendären Trabants genutzt. Wir befinden uns also auf einem traditionsreichen Gelände, auf dem sich die Geschichte von Audi, Auto Union und IFA-Sachsenring zeigt.
Die Zwickauer Halle ist aber nicht der einzige Ort der Landesausstellung.
Neben der Zentralausstellung werden die Besucherinnen und Besucher sechs sogenannte Schauplatzausstellungen an authentischen Orten der Industriegeschichte erleben. In unserer Zentralausstellung wird das Wort Kultur großgeschrieben. Wir zeigen dort nicht in erster Linie beeindruckende Maschinen und technische Exponate, sondern fragen nach der kulturellen Basis, nach der Software der Industrialisierung in Sachsen. Wenn Sie so wollen, stellen wir Marx vom Kopf auf die Füße – ohne Kultur, ohne Ideen und ohne das Arbeitsethos und eine gewisse Prägung der Menschen kommt es nämlich nicht zu so etwas wie Industrialisierung. Das zeigen wir mittels historischer Objekte, Dokumente und zahlreicher Medieninstallationen, aber auch mit wertvollen Kunstwerken und teils spektakulären Exponaten. Eines der wichtigsten, aber auch unscheinbarsten ist eine Dampfmaschine in einer Nussschale, die für die Weltausstellung in Chicago 1893 hergestellt wurde – eine wunderbare, fast barocke Metapher für das Verhältnis von Mensch, Maschine und Welt.
Die Struktur der Landesausstellung verfolgt ein ähnliches Prinzip wie der Zweckverband Industriemuseum mit einem zentralen Ort und mehreren Satelliten.
Ja, diese Struktur hat sich bewährt. Den großen kulturhistorischen Überblick bietet bei uns natürlich die Zentralausstellung in Zwickau, an den sechs anderen Schauplätzen setzen wir jeweils einen spezifischen Schwerpunkt. Wenn Sie tiefer bohren wollen oder sich für einzelne Branchen interessieren, fahren Sie zum Beispiel nach Chemnitz-Hilbersdorf und erfahren dort etwas über die Eisenbahn. Oder Sie fahren ins Industriemuseum Chemnitz, um etwas über die Bedeutung von Maschinen zu lernen. Oder zur Textilfabrik der Gebrüder Pfau nach Crimmitschau oder in die Kohle- und Erzbergwerke von Freiberg und Oelsnitz.
Wieso haben Sie sich für „Boom“ als Titel entschieden?
Der griffige Begriff hat uns sehr überzeugt, und wir gehen davon aus, dass er auch das Publikum ansprechen wird.
Er ist weit mehr als ein flotter Marketingbegriff: So steht etwa das historische Berggeschrey der Renaissance für eine Boomphase der sächsischen Geschichte mit gewaltigen Auswirkungen. Die lange und kontinuierliche Tradition des Bergbaus hat die Bevölkerung seither kulturell tief geprägt. Zwickau war ein Zentrum dieses Aufbruchs und hat sich damals auf Empfehlung des Erasmus von Rotterdam einen neuen Schuldirektor in die Stadt geholt – niemand anders als den in Glauchau geborenen Georgius Agricola, den Begründer der Montanwissenschaften. So stehen die Besucherinnen und Besucher der Zentralausstellung in einem großen Netzwerk des europäischen Humanismus. Zugleich gab es in der Renaissance erstmals eine ganz neue Verbindung von Kapital und Arbeit, Wissen und Kultur – deshalb heißt unser erstes Kapitel auch „Barock und Berggeschrey“. Denn ohne den Bergbau, den durch ihn begründeten Reichtum und ohne sein technisches Know-how wäre der sächsische Barock nicht möglich gewesen und schon gar nicht so üppig ausgefallen. Wenn das also kein Boom ist!
Wie viel Selbstverklärung, wie viel Sachsen-Mythos steckt in der Ausstellung?
Bei aller Wertschätzung für diesen speziellen sächsischen Weg in die Industrialisierung – aber die Gefahr der Verklärung sehe ich nicht. Treffsicher ist der Begriff „Boom“ ja auch deswegen, weil in ihm immer schon sein Gegenteil anklingt, also die Abschwünge. Und von denen gab es in Sachsen viele: Phasen des Niedergangs, aus denen sich die Menschen immer wieder durch Erfindungsgeist und Innovationen herausarbeiten konnten.
Sie machen auch um das heikle Thema Deindustrialisierung nach 1990 keinen Bogen.
Es ist wohlfeil aus heutiger Perspektive zu sagen, die Treuhand hätte damals alles anders und besser machen können. Wir lenken den Blick auf Details und überraschen unser Publikum. Zum Beispiel mit einer Denkschrift von Ludwig Erhard aus dem Jahr 1953. Damals bereits schrieb der Vater des westdeutschen Wirtschaftswunders von den Problemen einer Wiedervereinigung und empfahl dabei, wie bei der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen vorzugehen. Das hieß, man solle die Entwicklung dem Markt überlassen und nicht eingreifen. Diesen Ratschlag hatten wohl viele aus dem Westen noch im Jahr 1990 im Kopf, und auch die im Osten glaubten an ein neues Wirtschaftswunder. Dann aber kamen die Mühen der Ebene, aber auch die Irrtümer und die Glücksritter – und natürlich die Gangster.
Gehen Sie im letzten, in die Zukunft weisenden Kapitel auch auf die wachsende Technik- und Fortschrittsskepsis der Menschen ein?
Ja, natürlich. Aber wir zeigen im Ausblick „Industriekultur 2020“ auch, dass nur forschungsintensive und hoch innovative Produkte nachhaltige Arbeitsplätze schaffen werden. Wir präsentieren dort eine Videoinstallation mit Zukunftsmachern, die zeigt, woran die Leute aus der Wirtschaft heute arbeiten, wie sie über Sachsen denken und welche Vorteile der Standort hat. In Sachsen werden heute die erstaunlichsten Dinge entwickelt – egal ob es sich um LEDs, 5-GVernetzung, intuitive Roboterprogrammierung oder Umwelttechnik handelt. Die in Sachsen traditionell anwendungsorientierte Forschungslandschaft ist eine der besten in ganz Deutschland. Darauf kann man stolz sein; denn das war nach der Wiedervereinigung wahrlich nicht selbstverständlich.
Dies ist ein Artikel aus dem Sonderheft „Mensch & Maschine“ von Cicero und Monopol
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