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Karriere - Wir Eltern, wir Jammerlappen

Kaum eine gesellschaftliche Gruppe empört sich so laut über ihre Umstände wie unsere: junge, berufstätige Akademikereltern. Warum eigentlich?

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Wie verrückt haben wir ihn geteilt, den Artikel in der Zeit, in dem zwei Männer ihre Rolle als berufstätige Väter verdammen. „Ja!“ haben wir gerufen, „nieder mit der Vereinbarkeitslüge!“ Wir schreibenden Mütter hatten es zwar schon immer gesagt, aber „ja!“, gut, dass es jetzt auch mal ein Mann registriert. Und dann auch noch in einer richtigen Zeitung, in einer, die auf Papier gedruckt wird. Da hört vielleicht mal jemand hin.

Die beiden Männer, die in der Zeit schreiben, geben den neuen Erwartungen die Schuld, denen man heute gerecht werden müsse. Der Mann als Topmanager, Topliebhaber, Übervater, die Frau als Edelverführerin, Supermutter, Karrieredame. Vor lauter Stress verliere man die Fähigkeit, mit dem Partner und auch dem Arbeitgeber zu sprechen. „Es ist die Hölle“, ächzen die völlig fertigen Familienoberhäupter.

Wir schreiben zynische Texte und genügen uns selbst


Unter den geposteten Artikeln kommentierten ein paar kinderlose Freunde, dass ihnen das ja alles gar nicht klar war. Dass es sich unheimlich anhöre und sie ein bisschen Angst bekämen bei dem Gedanken an Kinder. Genugtuung war sicher dabei bei uns Eltern, denn wer erntet nicht gerne diese Mischung aus Mitleid und Hochachtung. Wir haben den Stempel: erfolgreich im Beruf, fruchtbar im Bett und – naja – ein bisschen gestresst. Aber pah! Wir lachen drüber, schreiben zynische Texte und genügen uns selbst.

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Denn trotzdem machen wir weiter mit unserer Arbeit – und setzen noch ein Kind in die Welt. Ist es so schlimm dann vielleicht doch nicht? Ein bisschen stutzig macht es doch, dass man kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe so lautstark über das eigene anstrengende Leben schimpfen hört. Nicht die Alten, die mit ihrer Rente kaum über die Runden kommen. Nicht die Langzeitarbeitslosen, für die jeder Morgen zum Kampf mit dem eigenen Ich wird. Nicht die Einsamen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als etwas mehr Leben um sie herum. Und dann kommen wir Eltern, ich präzisiere: wir Akademikereltern einer Generation, die ihre Themen in die Öffentlichkeit trägt, weil sie es kann. Weil wir gerade an den Schaltstellen in den Redaktionen sitzen. Weil wir viele sind, weil unsere Lobby mächtig ist.

Berufstätige Eltern nicht mehr gestresst


Wenn sich hier auf dem niedersächsischen Land, wo ich seit kurzem wohne, die Kindergartenmütter zum Brunchen an einem beliebigen Freitag zusammenfinden, während die Kleinen in der Kita spielen, dann fragt man sich schon, wie das alles zusammen geht.

Einen Hinweis gibt der neue Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK, der befand, dass Arbeitende mit und ohne Kinder die gleiche Belastung durch chronischen Stress aufweisen. Man befragte 3.000 Männer und Frauen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren. Diese sogenannte Rushhour-Generation, die sich in einem „Entscheidungsmarathon“ zwischen Kindern und Job befindet, gab über Gefühle von Überforderung, zu große Verantwortung oder mangelnde Anerkennung Auskunft und siehe – bei keinem dieser Punkte schnitten die Eltern schlechter ab. „Selbst in Vollzeit arbeitende Mütter haben keine höheren Stresswerte als Mütter in Teilzeit oder nicht erwerbstätige Mütter“, hieß es.

Jammern wir also, weil es en vogue ist? Weil das Prinzip „Mir geht es schlechter als dir“ als älteste Kriegsführung in zwischenmenschlichen Beziehungen bekannt und bewährt ist? Wenn wir quengeln, überwiegen dann unsere Gefühle – und nicht die Fakten?

Vielleicht zahlen sich die Mühen aus?


Denn die andere Wahrheit gibt es natürlich auch: Mütter oder auch Väter, die wegen des Kindes keine adäquate Stelle finden, die aus ihrem Büro gemobbt werden, weil sie ihren Teilzeitwunsch einfordern, Eltern, die sich täglich zerrissen fühlen zwischen der Arbeit und der Familie und Gehaltseinbußen für jene, die sich in der Partnerschaft hauptsächlich um den Nachwuchs kümmern. All das ist schlimm. Aber vielleicht zahlt es sich aus? Wer kann schon von sich behaupten, dass sein Abteilungsleiter ihm erwartungsvoll und mit weit geöffneten Armen entgegengerannt kommt? Dass er sich kommentarlos auf den Schoß nehmen lässt, um die Nase in der weichen Halskuhle abzulegen?

Ich bin gestern um 19.30 Uhr im Bett gewesen, um den heutigen Tag mit Kolumnenschreiben und zwei kranken Kindern zu überstehen. Vielleicht retten mich Bibi Blocksberg oder ein überraschender Mittagsschlaf der Großen, vielleicht muss ich eine Nachtschicht einlegen. Irgendwie wird es klappen. Und wenn alles getan ist, sollte man vielleicht mal versuchen, das erlangte Gefühl der Befriedigung auf die Goldwaage zu legen. Das wiegt schwer – und macht so vieles wett.

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