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(picture alliance) Er ist der Vorentscheider für Hilfskredite aus dem ESM

Währungskommissar Olli Rehn - Der Herr der Kredite

Bieder, aber einflussreich – der Start des ESM gibt EU-Währungskommissar Olli Rehn noch mehr Macht, denn er entscheidet wer Hilfsgelder aus dem ESM bekommt und wer nicht. Ein Porträt

Schütteres graues Haar, biedere Brille von der Stange, ein ausweichender, unsicherer Blick. Sieht so etwa Europas erster Finanzminister aus? Olli Rehn hat so gar nichts von der beißenden Strenge eines Wolfgang Schäuble, auch die geschmeidige Art von IWF‑Chefin Christine Lagarde geht ihm ab. Doch der EU-Währungskommissar aus der finnischen Provinz ist schon jetzt einer der mächtigsten Politiker Europas.

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Das gilt erst recht, seitdem der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus Anfang Oktober seine Arbeit aufgenommen hat. Denn auf Grundlage der Länderberichte aus Rehns Generaldirektion entscheidet der ESM, unter welchen Bedingungen er seine Mittel an die Krisenländer vergibt.

Wenn Rehn eine Rede hält, ist ihm höchste Aufmerksamkeit sicher. Seine Worte bewegen die Märkte, Reporter verfolgen ihn auf Schritt und Tritt. Dabei muss man verdammt aufpassen, wenn man ihm folgen will. Rehn nuschelt, er räuspert sich, ganze Sätze bringt er nur stockend hervor. Klare Botschaften oder gar Pointen darf man von ihm nicht erwarten, im Gegenteil.

„Der Kommissar beherrscht die hohe Kunst der Beruhigung durch Einschläferung“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, Rehns Gegenspieler im Wirtschaftsausschuss. Er rede nicht nur in einem ermüdenden Ton, sondern weiche auch in der Sache immer wieder aus. „Rehn nimmt jeder politischen Veranstaltung die Energie“, klagt der Finanzexperte. Doch genau das ist es, was ihn aus Sicht der Euroretter zu einer Idealbesetzung in Brüssel macht.

Denn Krise ist schon genug in Europa. Gebraucht wird ein Verteidiger – kein Stürmer, schon gar kein Libero. Und genau diese Rolle füllt Rehn perfekt aus. Genau wie früher als Vorstopper im örtlichen Fußballclub in Mikkeli, seiner Heimat, kümmert er sich jetzt im Berlaymont, dem Sitz der EU‑Kommission, darum, dass nichts anbrennt. Rehn wacht über die Einhaltung der Defizitkriterien, er kontrolliert die Umsetzung von Reformauflagen und warnt, wenn eine Schieflage droht.

Er ist der Buchhalter des Euro und der Diplomat der Währungsunion. Wenn andere poltern und drohen, feilt er an den Zahlen und Fakten. Rehn entscheidet, ob seine 550 Mitarbeiter in der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen den Daumen über Krisenländer heben oder senken. Wenn er will, verhängt er harte Spardiktate, wie in Griechenland – oder gewährt ein Jahr Aufschub, wie zuletzt in Spanien und Portugal.

Dem promovierten Politologen mit Vorlieben für „politische Ökonomie, Lesen, Rock und Jazz“ (Rehn über Rehn) ist dieser Job wie auf den Leib geschneidert. Bevor er EU‑Kommissar wurde, diente er dem finnischen Premier als Berater – und half, die Bankenkrise des Landes zu lösen. Als überzeugter Liberaler setzte er auf den Markt, nicht auf den Staat.

Auf der folgenden Seite: Vielen Ländern ließ er finanzpolitisch einiges durchgehen

In der Griechenland-Krise sprach sich Rehn für harte Sparmaßnahmen aus. In Berlin hörte man dies ebenso gern wie seine Einschätzung, der Euro lasse sich nicht allein mit Gemeinschaftsanleihen retten. Zwar fordert die EU‑Kommission weiter unverdrossen die Einführung sogenannter Eurobonds – doch der Währungskommissar warnt, ohne „genuine Stabilitätskultur“ sei die Krise nicht zu meistern.

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Ganz so akribisch, wie er sich gerne gibt, ist Rehn dann doch nicht. Vor seinem Job als Währungskommissar war er für die EU‑Erweiterung zuständig – und holte die korrupten und wirtschaftlich unterentwickelten Balkanländer Bulgarien und Rumänien in die Union. Im Fall des Schuldensünders Ungarn drückte er beide Augen zu, um den ungarischen EU‑Vorsitz Anfang 2011 nicht zu stören. Auch Deutschland und Frankreich hat er geschont. Paris ließ bis vor kurzem unbehelligt das Budgetdefizit schleifen. Für Deutschland formulierte Rehn die neuen EU-Regeln gegen „wirtschaftliche Ungleichgewichte“ sogar extra so, dass Deutschland weiter fleißig in die Defizitländer der Eurozone exportieren kann, ohne eine amtliche Überprüfung oder gar Strafen fürchten zu müssen.

Anfang dieses Jahres geriet Rehn kurz selbst in die Schusslinie: Ein Pressebriefing in der Sauna der EU-Behörde sorgte für Wirbel in Brüssel. Denn zum Hintergrundgespräch im Dampfbad waren nur Männer eingeladen. „Altherrenschwitze“ nannte das die Süddeutsche, und ein italienischer Korrespondent fragte nach dem Dresscode.

Rehn ließ erklären, er treffe Journalisten „in verschiedenen Kontexten“ und freue sich über das rege Interesse. Geschadet hat es ihm nicht. Im Gegenteil: Sein Name fällt immer wieder, wenn es um Zukunftspläne wie den ersten Euro-Finanzminister geht. EU‑Kommissionschef José Manuel Barroso weist seinem Vertrauten ständig neue Aufgaben zu, Ratspräsident Herman Van Rompuy möchte ihm sogar ein eigenes Budget geben.

Im Europaparlament hat Rehn weniger Fans. Er sei nicht gewählt und müsse erst einmal beweisen, dass er es ernst meine mit der Stabilitätskultur, heißt es. Unter ihm und seinen Vorgängern seien die Maastricht‑Kriterien 86 Mal gebrochen worden, kritisiert der Grüne Giegold: „Ich wünschte mir in der Position eine stärkere Persönlichkeit.“

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