- Die Mär von der rot-grünen Liebe
SPD und Grüne haben wichtige personelle und programmatische Weichen für den Bundestagswahlkampf gestellt. Gemeinsam wollen sie die Merkel-Regierung, aber Rot-Grün ist kein Projekt mehr, sondern nur noch ein Zweckbündnis. Für den ersehnten Wahlsieg wird das kaum reichen
Es kann losgehen, zumindest aus Sicht von SPD und Grünen. Wichtige programmatische Entscheidungen sind gefallen, die Spitzenkandidaten gekürt. Siegesgewiss und selbstbewusst blasen die beiden Parteien zum Halali. Deutschland wird schlecht regiert, Merkel und ihre schwarz-gelbe Regierung müssen weg, darin sind sich Rot und Grün einig, gemeinsam will man 2013 an die Macht. Die Fronten stehen, der Wahlkampf kann beginnen.
Doch so gut und unkompliziert, wie Sozialdemokraten und Grüne in Sonntagsreden gerne tun, ist das Verhältnis der beiden Parteien nicht. Im Gegenteil. SPD und Grünen beäugen sich gegenseitig mit großem Misstrauen. Die Konkurrenz im Kampf um die Wähler ist groß, die programmatischen Akzente sind nicht aufeinander abgestimmt, die strategischen Perspektiven sehr unterschiedlich.
Schon die Vorzeichen mit denen Rot und Grün in den Wahlkampf ziehen, könnten verschiedener nicht sein.
Die SPD wirkt angeschlagen, die Kanzlerkandidatenkür ist misslungen, die Nebenverdienstdebatte um Peer Steinbrück beunruhigt viele Genossen. Der Rentenkompromiss zwischen linkem und rechtem Parteiflügel ist mit heißer Nadel gestrickt. Die Aussicht wieder als Juniorpartner in die ungeliebte Große Koalition eintreten zu müssen, weil es für Rot-Grün doch nicht reicht, macht vor allem an der Basis wenig Lust auf Wahlkampf.
Anders die Grünen. Sie haben mit der Urwahl Selbstbewusstsein getankt und mit der Kür von Katrin Göring-Eckardt zur zweiten Spitzenkandidatin neben dem heimlichen Parteivorsitzenden Jürgen Trittin eine Personalentscheidung getroffen, die ihnen einen neuen strategischen Handlungsspielraum jenseits einer Koalition mit der SPD eröffnet. Zwar ist das Bündnis mit der SPD für die Grünen erste Wahl, aber ein schwarz-grünes Hintertürchen hält man sich offen.
Zuletzt hat die Öko-Partei bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart einen Wahlsieg errungen. Die Grünen haben dabei einerseits gezeigt, dass sie bürgerliche und konservative Wähler gewinnen können und haben andererseits die SPD in der Wählergunst deutlich auf Platz drei verwiesen. Nach der Wahl von Winfried Kretschmann zum bundesweit ersten grünen Ministerpräsidenten war dies schon die zweite Demütigung in Baden-Württemberg. Den Sozialdemokraten hat das überhaupt nicht gefallen.
Mehr als zwei Jahrzehnte lang betrachteten die Sozialdemokraten die Grünen vor allem als ungezogene Kinder, die trotzig gegen ihre Eltern rebellierten und ihnen im eigenen linken Lager ungefragt Konkurrenz machten. Die Grünen wiederum gefielen sich in der Rolle des Pubertierenden, piesackten die SPD immer wieder mit Forderungen, die vor allem deren traditionelle Stammwählerschaft verschreckte. Die ersten Versuche einer rot-grünen Zusammenarbeit endeten in den 1980er Jahren in Hessen und Berlin im Desaster. Unvergessen, dass einst der SPD Ministerpräsident von Hessen, Holger Börner, eine Dachlatte zur Hilfe nehmen wollte, um die Grünen zur Ordnung zu rufen. Auch der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück galt in seiner Zeit als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen als cholerischer Grünenfresser. Zwar stand er von 2002 bis 2005 an der Spitze eine rot-grüne Landesregierung, doch mehrfach stand das Bündnis vor dem aus.
Auch im Bund stand 1998 nicht Liebe bei der rot-grüne Machtübernahme Pate. Zwar war schon damals die rot-grüne Sehnsucht an der Basis der Parteien groß, aber Gerhard Schröder hielt wenig von einem Bündnis mit Joschka Fischer und Co. Er wollte eigentlich als Bundeskanzler in einer großen Koalition mit der Union regieren. Nur der überwältigende Triumph ließ ihm keine Wahl. Erst nach der Bundestagswahl wurde dann das rot-grüne Projekt begründet. Wie sich Schröder die Arbeitsteilung vorstellte, machte dieser gleichzeitig unmissverständlich deutlich. Er erklärte sich zum Koch der Koalition und die Grünen zum Kellner. Vom Atomausstieg hielt Schröder gar nichts.
Seite 2: Mehr als ein Zweckbündnis ist Rot-Grün trotz aller gegenseitigen Beteuerungen nicht
Koch und Kellner, die Einstellung der SPD gegenüber den Grünen belastete das Verhältnis der Parteien lange, vor allem in den Anfangsjahren wurde die rot-grüne Zusammenarbeit in der Bundesregierung von ständigen Koalitionsquerelen dominiert, der Schwarz-Gelb in Nichts nachstand. Erst als Schröder 2002 seiner Wiederwahl bei deutlichen Verlusten der SPD den Zugewinnen der Grünen verdankte, verbesserte sich das Koalitionsklima.
Aber die Zuneigung währte nicht lange. 2005 erklärten die Sozialdemokraten das rot-grüne Projekt einseitig für gescheitert, riefen vorgezogene Neuwahlen aus und retten sich als Juniorpartner in die Große Koalition. Die Grünen zogen daraus verschnupft die Konsequenz, sich aus der Abhängigkeit von der SPD zu lösen und sich für bürgerliche Wähler sowie für schwarz-grüne Bündnisse zu öffnen.
Sehr missmutig haben die Sozialdemokraten anschließend verfolgt, wie die Grünen sich von der SPD emanzipierten und in Hamburg und im Saarland schwarz-grüne beziehungsweise schwarz-gelb-grüne Experimente starteten. Mit genauso viel Genugtuung kommentierten sie anschließend deren schnelles Scheitern. Die Grünen wiederum sind vergrätzt, weil Klaus Wowereit nach der Abgeordnetenhauswahl in Berlin im vergangenen Jahr nicht mit den Grünen koalierte, auf ein bundespolitisches Signal verzichtete und nun mit der CDU in einer großen Koalition regiert. Wowereit traute den Grünen nicht, weil diese unangenehme Forderungen stellten, in der Verkehrspolitik etwa. Stattdessen entschied er sich für den aus seiner Sicht bequemen Weg.
Es ist also nicht wahre Liebe die Rot und Grün im Bundestagswahlkampf 2013 zusammenrücken lässt. Das Projekt von 1998 will niemand wiederbeleben. Die Grünen sind in die Mitte gerückt, wollen an dieselben Wähler ran wie die Sozialdemokraten und sie wollen sich auch nicht damit abfinden, dass die SPD für die großen Themen zuständig ist, für die Wirtschaft und die Sozialpolitik, die Grünen hingegen für die Ökologiefrage und anderes Gedöns. Bei wichtigen politischen Themen sind sie sich überhaupt nicht einig. Etwa bei der Frage, welche Rolle die Kohleverstromung beim Atomausstieg spielt und wie hoch die sozialen Kosten der Energiewende sein dürfen. Auch bei den digitalen Bürgerrechten, der Asylpolitik oder Verkehrspolitik droht in einer rot-grünen Bundesregierung Dauerstreit.
Mehr als ein Zweckbündnis ist Rot-Grün trotz aller gegenseitigen Beteuerungen also nicht. Strategische Absprachen für den Wahlkampf gibt es keine. Die Frage, wie offen SPD und Grüne für Ampelkoalition werben, ist ungeklärt. Führende Sozialdemokraten stellen sich längst auf eine Neuauflage der Großen Koalition ein und verteilen insgeheim bereits die Posten. Auch die Option Schwarz-Grün ist allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz nicht vom Tisch. Rot-Grüne Siegesgewissheit sieht anders aus. Dabei haben SPD und Grüne nur dann eine kleine Chance auf den Wahlsieg, wenn sie im Wahlkampf klug mit verteilten Rollen agieren und unterschiedliche Wählergruppen ansprechen und auf die Befindlichkeit des jeweils anderen Rücksicht nehmen.
Politisch ist Deutschland dreigeteilt. Nur im Nord-Westen der Republik sind SPD und Grüne stark, im Süden dominiert die Union, im Osten macht die Linke der SPD Konkurrenz. Nur wenn die Grünen als Partei des ökologischen Bürgertums die dramatische strukturelle Schwäche der SPD in den Südländern Bayern und Baden-Württemberg ausgleichen und die SPD mit einem profilierten Gerechtigkeitswahlkampf die Linken auf Distanz hält. Nur wenn SPD und Grüne auf Augenhöhe miteinander Wahlkampf machen, sich gegenseitig die eigenständige Profilierung gönnen und die Wähler Lust auf einen Wechsel bekommen, ist der rot-grüne Wahlsieg möglich. Es sieht nicht danach aus.
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