- Der Energiewender
Bernhard Lorentz mischt die Stifterszene auf. Als Chef von Mercator macht er keinen Hehl daraus, den politischen Diskurs mitzuprägen. Dabei sind Stiftungen darauf bedacht, sich im Hintergrund zu halten. Über einen Menschen, der gegen den Strich bürstet
Nur beim Essen kennt der klimapolitische Aktionismus von Bernhard Lorentz gewisse Grenzen. Zum Mittagessen im Berliner „Borchardt“ bestellt der Chef der Mercator-Stiftung das CO2-intensivste Gericht auf dem Menü: ein tellerfüllendes irisches Steak mit einem mikroskopisch kleinen Salat. Jedes Kind weiß, dass Rinderzucht Treibhausgase en masse erzeugt. Lorentz fühlt sich ertappt. Aber statt im Kleinen CO2-Moleküle einzusparen, klotzt er lieber mit den Klimaschutz-Vorhaben der Stiftung.
[gallery:Die Kosten der Energiewende]
In den vergangenen Monaten hat der umtriebige Stiftungsmanager gleich zwei Großprojekte auf den Weg gebracht. Der Klimaökonom Ottmar Edenhofer bekommt 17 Millionen Euro, um in Berlin ein Forschungszentrum für internationale Klimapolitik und Gemeingüter aufzuziehen. Und den früheren Umweltstaatssekretär Rainer Baake hat Lorentz gerade von der Deutschen Umwelthilfe abgeworben, um mit einem Budget von zwölf Millionen Euro eine „Agora“ zur Energiewende zu leiten. In dem Gremium sollen Minister, Staatssekretäre, Spitzenbeamte, Manager und Techniker Probleme und Fortschritte besprechen und ihr Vorgehen miteinander abstimmen. Ein Vorhaben, bei dem die Politik alleine bisher versagt hat.
Mit Überschwang schildert der 41-Jährige, was ihn dazu gebracht hat, so große Summen zu investieren. Die Energiewende sei für Deutschland eine „historische Chance“, ein neues Wirtschaftsmodell zu entwickeln und zu zeigen, dass „Grün“ und „Geldverdienen“ zusammengehen. Auf seinen Auslandsreisen höre er zwei extrem verschiedene Sorten von Kommentaren, sagt er: „Die einen überschlagen sich vor Begeisterung, und die anderen warten darauf, dass Deutschland spektakulär scheitert.“ Lorentz sieht die Mercator-Stiftung im Dienst des Regierungsprojekts: „Wir müssen der Welt zeigen, dass es geht.“
Baustellen gibt es genug: In der Bundesregierung herrscht Kakophonie, wie Ökoenergien in Zukunft gefördert, wie die Stromkosten für Privatverbraucher begrenzt und wie Leitungen für Windstrom vom Meer ausgebaut werden können. Ist es da Aufgabe einer Stiftung, das zu leisten, wozu die Regierung nicht in der Lage ist? „Wir sind kein privatfinanzierter Staatsersatz“, betont Lorentz. Doch gerade in der Aussage, dass sich die Mercator-Stiftung wegen der Agora „in 20 Jahren nicht damit schmücken wird, die Energiewende gemeistert zu haben“, klingt ein hoher Anspruch durch und ein neues Rollenverständnis für Stiftungsarbeit.
Seite 2: „Wir wollen den politischen Diskurs ändern“
Die Dimensionen der beiden Projekte stehen symbolisch für das, was Lorentz aus der Mercator-Stiftung gemacht hat. Früher hauptsächlich im Ruhrgebiet bekannt, ist sie nun bundesweit und auch international als new kid on the block präsent, zuletzt mit einer promigetränkten Kampagne „Ich will Europa“. Seit Lorentz 2008 die Leitung der Mercator-Stiftung übernahm, sind die jährlichen Fördermittel von zehn Millionen auf 60 Millionen Euro gestiegen. Das Geld stammt aus dem Vermögen, das die Duisburger Familie Schmidt mit dem Verkauf ihrer Metro-Anteile erzielt hat.
Lorentz macht kein Geheimnis daraus, dass Mercator anders arbeiten will als die vielen Tausend deutschen Stiftungen, die im Stillen Gutes tun: „Wir wollen mit einer Mischung aus Projekten und Interessenvertretung den politischen Diskurs ändern.“ Sein Schlüsselwort dabei ist das englische Wort „advocacy“. Während die Stiftungskonkurrenz bei Bosch und Bertelsmann jeden Eindruck zu vermeiden sucht, selbst Politik zu betreiben, macht Lorentz gar keinen Hehl daraus. Sein Budget nennt er „gesellschaftliches Risikokapital“.
Lorentz hat eine steile Stiftungskarriere hinter sich. Begonnen hat sie nach dem Geschichtsstudium und einem Job bei den Grünen bei der Zeit-Stiftung, wo er von Theo Sommer lernte, stets passende Zitate von Gelehrten parat zu haben. Bei Vodafone arbeitete er, was ungewöhnlich ist, zugleich im Unternehmen und in der dazugehörigen Stiftung. Dann bekam er die Chance, die Hertie School of Governance aufzubauen.
Der Mann vereint Widersprüche: Seine Haare stehen strubbelig ab, er macht sich über Vereinsmeierei und Akademikerdünkel lustig, klingt in vielem sehr links. Im nächsten Moment beschreibt er sich als „unternehmerische Person“ und sagt gerne Sätze wie: „Ich habe früh gewusst, dass ich Stiftungschef werden will.“
Seine unbändige Energie und seine aggressive Strategie machen ihn in der honorigen Stiftungsszene zu einer Reizfigur: „Lorentz polarisiert, die einen wollen es ihm nachmachen, andere gehen auf Distanz“, sagt ein Manager einer anderen großen Stiftung. Ein Diplomat ist der Mercator-Mann jedenfalls nicht. Vor einiger Zeit hat er den anderen deutschen Stiftungen vorgeworfen, das Thema Klimawandel „komplett zu verschlafen“.
Dass man als Stiftung nicht nur altruistisch agiert, sondern Markenbildung betreiben muss und im Wettbewerb um Aufmerksamkeit steht, lernen schon seine Studenten, die er an der Freien Universität als Honorarprofessor für Stiftungswesen unterrichtet. In der Praxis heißt das für Lorentz selbst auch, 200 Grußworte zu schreiben und mit griffigen Slogans ins gesellschaftliche Rampenlicht zu drängen. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste steht: „Hardcore Energiewende“.
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