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Huffington Post

Huffington Post - Die PR-Postille

Das Internet hat ein neues Einfallstor für Lobbyismus: die Huffington Post. Zum Start des US-Portals in Deutschland tummeln sich Konzernbosse und konservative Politiker unter den Bloggern, um ihre Botschaften zu verbreiten

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Kaum eine Frage wurde in den vergangenen Wochen so kontrovers von Bloggern und Medienjournalisten diskutiert wie jene: Warum sollte man kostenfrei für die Huffington Post schreiben?

Die Antwort fand sich am ersten Tag des neuen Onlineangebots in der linken Spalte, unter der Rubrik „Empfohlene Blog-Beiträge“. Alexander Medwedew, Chef der Exportsparte von Gazprom, durfte dort eine Lobeshymne auf den russischen Energieriesen singen. Auf mehr als 5.000 Zeichen pries Medwedew die „verlässliche, sichere, bezahlbare und umweltfreundliche Erdgas-Versorgung in Europa“, präsentierte sein Unternehmen diskret als den Vorreiter in Sachen Klimaschutz und erinnerte die Politik an den Ausbau von Erdgastankstellen und die „vollständige Erschließung dieser neuen Technologie“.

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Das kurz „HuffPo“ genannte Portal verspricht seinen Bloggern „eine schöne Reichweite“ im Internet. In den USA hat die Huffington Post Millionen Leser, täglich gehen auf der US-Webseite angeblich bis zu 10.000 Kommentare ein. Die deutsche Ausgabe will genauso schnell wachsen: Drei Millionen Euro hat die Tomorrow Focus AG in das Webangebot investiert, um es in drei Jahren rentabel zu machen. In fünf Jahren soll es sogar seine Burda-Schwester Focus Online einholen. Dann, so kündete es Christoph Schuh von der Tomorrow Focus AG am Donnerstag in München an, wolle man unter den Top fünf der deutschen Nachrichtenseiten rangieren, das engagierte Ziel heißt sogar: unter den Top drei.

Lobbyisten sind begeistert


Diese Reichweite reizt Lobbyisten, die ansonsten für ihre Botschaften teuer bezahlen müssen – in der alten Welt waren das: Anzeigenplätze. Allzu offensichtlich darf diese ganze Einflussnahme auf dem neuen Portal natürlich nicht sein. Deshalb sinnierte Telekom-Chef René Obermann viele Absätze lang ganz allgemein über das „Netz der Zukunft“; erst ganz zum Schluss ging der Konzernboss zum Eigenlob über: „Wir bauen die besten Netze für die kommende Gigabit-Gesellschaft.“ Aha, denkt sich der Leser, wer denn sonst. Obermanns Artikel empfand die HuffPo-Redaktion übrigens als so wortgewaltig, dass sie ihn zeitweise zum Aufmacher des Tages auswählte – mit riesigem Foto, roten Lettern und der Zeile: „Die Gigabit-Gesellschaft“. Und das zwei Stunden, nachdem der Literaturnobelpreis an Alice Munro vergeben wurde.

Glück für Arianna Huffington (Foto) und ihr junges Team, dass die Portalgründerin ihr Geschäftsmodell als zweiteiliges beschreibt: hier der Journalismus, dort die Blogosphäre. Würde die griechischstämmige Ökonomin diese lobbynahen Beiträge nämlich dem Journalismus zuordnen, könnte ja jemand auf die Idee kommen, hier Schleichwerbung zu vermuten. Vielleicht würde der- oder diejenige gar in den kommenden Tagen und Wochen ein genaueres Auge auf die Huffington Post werfen, um zu prüfen, ob sich irgendwo eine prominente Gazprom- oder Telekom-Anzeige wiederfindet. Allzu abwegig ist die Vorstellung, dass sich Herr Medwedew und Herr Obermann irgendwann mal für die Kostenlos-Werbung erkenntlich zeigen, ja schließlich nicht.

Von der Leyens Lobeshymnen


Axel-Springer-Geschäftsführer Mathias Döpfner hat die Huffington Post jüngst das „Anti-Geschäftsmodell für Journalismus“ genannt. Viel wurde das Online-Blatt für seine Gratis-Mentalität kritisiert. Kai Petermann, der den Design-Blog stilsucht.de betreibt, antwortete auf die Mail-Anfrage, ob er seine Texte auch kostenfrei bei der HuffPo publizieren würde: „Ich gebe Ihren Vorschlag gern an meinen Vermieter, den Lebensmittelhändler, den Tankwart und die Telekom weiter. Vielleicht kann ich in Zukunft dort ja ebenfalls ohne Bezahlung alle möglichen Dinge bekommen.“

Es ist bemerkenswert, dass sich die Huffington Post trotz dieser Debatte als Leitmotiv ausgerechnet die Themen „Burnout“ und „Work-Life-Balance“ ausgesucht hat. Zitiert wird dafür Ursula von der Leyen: 2011 habe es in Deutschland 59 Millionen Krankheitstage in Folge von psychischen Erkrankungen gegeben, ein Plus von 80 Prozent in 15 Jahren. „Das sind niederschlagende Zahlen mit möglicherweise verheerenden Folgen“, schreibt die HuffPo-Gründerin Arianna Huffington in ihrem Editorial. Sie hat sich dem Herzensthema der Arbeitsministerin angenommen. Kein Wunder, dass sich von der Leyen in einem Video bedankt, ihre Bewunderung für die Internetunternehmerin ausdrückt und ihrem „hochspannenden“ Projekt in Deutschland viel Glück wünscht. Natürlich durfte auch ein Blog-Aufruf nicht fehlen: „Wir müssen anders arbeiten“, schreibt von der Leyen da (nein, sie meinte damit nicht: umsonst arbeiten). In keiner Regierungsbroschüre hätte die Ministerin ihre Botschaft so schön auf den Punkt bringen können.

Neben von der Leyen hat die HuffPo auch Jimmy Schulz (FDP) und Dorothee Bär (CSU) als erste Blogger aus der Politik gewonnen. Dass die aus dem bürgerlichen Lager stammen, könnte damit zu tun haben, dass das Focus-Haus traditionell konservativ ist. Muss es aber nicht.

Es ist dieser erstaunliche Anachronismus, wenn die freie Fachjournalistin Inge Hannemann zur Arbeitsmarktpolitik schreibt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Recht hat sie. Nur – wovon sie selbst lebt, wenn sie diesen Blogeintrag kostenlos bei der HuffPo publiziert, bleibt nach der Lektüre offen. Journalistengewerkschaften hatten es zähneknirschend hingenommen, dass Blogger kostenfrei schreiben; bei Journalisten, die von ihrer Arbeit leben wollen, gehe das natürlich nicht.

Und was ist eigentlich mit der Work-Life-Balance der HuffPo-Mitarbeiter? Die 15 Redakteure scheinen gerade sehr im Stress zu stehen, zumindest, wenn man sich die Zahl der Komma- und Übersetzungsfehler auf der Seite ansieht. Man hätte sich beispielsweise sehr gewünscht, dass Frau Huffingtons Begrüßungsartikel noch einmal von einem deutschen Muttersprachler lektoriert wird. Man muss es leider so sagen: Noch ist der so spannend erwartete Auftritt allenfalls mittelmäßig. Orthografisch, visuell, inhaltlich.

Leserschaft von Fast-Food-News


Warum also soll eine derart seichte Mischung aus Politik, Wohlfühl-Nachrichten in der Rubrik „Good“ und den üblichen zusammenkopierten dpa-Schnipseln bald zu den erfolgreichsten Newsseiten Deutschlands aufsteigen?

Vielleicht, weil es genau diese Mischung ist.

Erstens richtet sich die HuffPo an jene Leserschaft, die wenig Zeit hat, überwiegend Fast-Food-News konsumiert und Überschriften allenfalls überfliegt. Es ist jenes Publikum, das die Nachricht „Lothar Matthäus über große Erfolge und große Niederlagen: ‚Ich habe sicher keine vier Scheidungen geplant‘“ innerhalb weniger Stunden zur meistgelesenen hochklickt.

Es war wohl mehr als ein Freud’scher Versprecher, als der neue HuffPo-Frontmann Cherno Jobatey – bekannt vom ZDF-Morgenmagazin – in der Pressekonferenz sagte: „Es geht nicht mehr um Inhalte… äh, nicht mehr nur um Inhalte.“

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Zweitens perfektioniert die HuffPo das Prinzip Verlinkung und Aggregation. In anderen Worten: Auf gute Inhalte, die andere teuer produzieren, weist die Redaktion freilich kostenfrei hin. Das ist erlaubt und völlig legal; die Frage eines Journalisten, ob die Huffington Post in anderen Ländern schon einmal wegen Urheberrechtsverletzungen angeklagt worden sei, verneinte die Portalgründerin. Die Redakteure würden überall sehr genau geschult, betonte Arianna Huffington. Der neue Chefredakteur Sebastian Matthes sieht seine Seite gar als „eine Art CNN der Zukunft“. Weit mehr als 700 professionelle Journalisten weltweit würden dem Projekt eigene Inhalte liefern – etwa in den USA, in Kanada, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien oder Japan.

Prinzip Unterschichtenfernsehen im Internet


Aber, drittens, das wirklich Wegweisende der HuffPo ist das kostenfreie Anzapfen der Netz-Crowd. Das Prinzip lautet: Mach mit, diskutiere, schreibe, hinterlasse vor allem viele Klicks, die sich an die Werbeindustrie verkaufen lassen. „Selbstdarstellung ist die neue Form der Unterhaltung geworden“, sagte Huffington bei der Pressekonferenz. „Wir haben uns ja auch nie gefragt, warum Leute vor dem TV sitzen und sich kostenlos schlechtes Programm anschauen.“ Das ist, überspitzt gesagt, der Versuch, das Prinzip Unterschichtenfernsehen aufs Internet zu übertragen. Boris Becker durfte da natürlich auch nicht fehlen – freilich mit nervtötender Werbung für sein Buch.

Die Huffington Post ist eine Art PR-Postille, eine Mischung aus buntem Nachrichtenblatt, Kunden- und Anzeigenmagazin mit doppelter Leserbriefspalte. Wenn das in Deutschland Erfolg hat, ist das völlig in Ordnung. Ein bisschen Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft, und der Medienmarkt braucht Innovationen. Es lohnt sich aber trotzdem, nicht nur auf die Klickzahlen zu schauen. Schließlich haben die Portale von Yahoo, Telekom oder GMX – die sich übrigens als Service- und Nachrichtenseiten verstehen, obwohl sie nur News-Aggregation betreiben – mehr Besucher als Bild, Spiegel Online oder Cicero Online. Wenn vor diesem Hintergrund jemand behauptet, die HuffPo werde aufgrund ihrer Reichweite den Journalismus revolutionieren: na dann viel Spaß.

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