- „Es war Mord!“
Seit 25 Jahren wird über die Umstände gerätselt, die zum Tod des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel führten. Ex-Chefermittler Heinrich Wille erklärt, warum er sich sicher ist, dass es Mord gewesen sein muss
Herr
Wille, 25 Jahre nach Uwe Barschels Tod wurden fremde DNA-Spuren auf
den Kleidungsstücken des Opfers gefunden. Sehen Sie eine Chance für
die Wiederaufnahme des Verfahrens?
Nein. Es gibt keine neuen Ermittlungsansätze. Im Grunde erleben wir
dieselbe Situation wie seinerzeit 1998, als das Verfahren
eingestellt wurde. Ja, der Verdacht des Mordes besteht nach wie
vor, aber es gibt keine Täterspuren.
Was müsste denn passieren, damit das Verfahren wieder
aufgerollt wird?
Eine Person innerhalb des Täterkreises müsste auspacken.
Sie haben den Fall sieben Jahre nach dem Tod Barschels
übernommen. Erst nach jahrelangen juristischen Querelen konnten Sie
Ihr Buch über die Ermittlungen veröffentlichen. Es trägt den Titel:
„Ein Mord, der keiner sein durfte“. Sie glauben also, dass es Mord
war?
Ja, ich bin davon überzeugt, dass es Mord war. Das ist im Übrigen
keine Glaubensfrage. Es handelt sich um eine Schlussfolgerung, die
ich nicht alleine gezogen habe. Zusammen mit meiner
Ermittlungstruppe, die aus hochqualifizierten Kriminalbeamten
inklusiver zweier Staatsanwälte bestand, kam ich zu der
Überzeugung. Es gab verschiedene Indizien, die mit Suizid nicht in
Übereinstimmung zu bringen waren und nach unserer Auffassung
eindeutig auf Mord hingewiesen haben. Bei einer offeneren Bewertung
und einer größeren Sorgfalt hätte man dies in ähnlicher Weise schon
viel früher schlussfolgern können.
Sie beklagen vor allem Versäumnisse der Genfer Behörden
vor Ort.
Ja, aber auch die deutschen Behörden waren vor Ort und haben viel
zu schnell die Suizidinterpretation übernommen. Das kann man nicht
allein den Schweizern anhängen. Die Folge war jedoch, dass die
Ermittlungen nicht mit der Sorgfalt geführt wurden, die angebracht
gewesen wäre.
Sie werfen den ermittelnden Behörden vor, Sie hätten der
Selbstmordthese von Beginn an den Vorzug gegeben.
Von Anfang an beherrschte die Suizidthese die politische und
mediale Öffentlichkeit. Uwe Barschel war der Schurke, der sich
selbst richtete. Es schien die einfachste aller Lösungen. Stellen
Sie sich ein Szenario vor, in dem ein deutscher Ministerpräsident
im Ausland ermordet wird. Es gab ganz offensichtlich Interessen,
die dieses Szenario verhindern wollten. Ich konnte nicht
definieren, welche Interessenträger das waren und sind. Wir hatten
auch keine Möglichkeit, in diese Richtung stärker aktiv zu werden.
Uns wurden von vornherein der Einsatz strafprozessualer
Zwangsmaßnahmen von unseren Vorgesetzten aus der Hand genommen. Wir
haben mit einem gerichtlichen Beschluss die Stasiunterlagenbehörde
unter dem heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck aufgesucht wegen
des Verdachts der Beweismittelzurückhaltung. Bei der nachfolgenden
Beschwerde der Behörde hat der Generalstaatsanwalt eine
gerichtliche Entscheidung verhindert und sich gegen unsere
Rechtsauffassung einseitig der Meinung der Stasiunterlagenbehörde
angeschlossen. Das hat unsere Autorität nachhaltig beschädigt. Von
da an ging es Berg ab.
Was spricht für Mord?
Das sind im Besonderen drei Dinge, die sich am Tatort fanden:
Erstens, der abgerissene Hemdknopf von Uwe Barschel, der im
Türbereich gefunden wurde. Es handelt sich um den zweiten Knopf von
oben, der mit einer beträchtlichen Kraft abgerissen wurde, und zwar
senkrecht von oben nach unten. Mit beträchtlicher Kraft deshalb,
weil Teile des Hemdstoffes mit ausgerissen wurden. Es gibt auch,
wenn man jetzt mal die ominöse Sterbehilfetheorie nimmt, keinen
Grund, warum ihm ein Sterbehelfer diesen Knopf hätte abreißen
sollen. Das ist nur als diskrete Gewalt Dritter zu verstehen, die
sich gegen Barschel gerichtet und mutmaßlich beim Transport seines
nicht mehr ganz vom Willen kontrollierten Körpers vom Zimmer ins
Bad stattgefunden haben muss.
Zweitens: Das Spurenbild, mit dem verschmutzten Badvorleger und dem identisch verschmutzten Handtuch, das nicht im Badezimmer, sondern außerhalb des Bads gefunden wurde.
Drittens: Ein kleines Fläschchen aus der Minibar, das geleert im Abfalleimer des Badezimmers gefunden wurde. Dieses Fläschchen wurde mit Wasser ausgespült. Welchen Grund sollte jemand in einem Selbstmordgeschehen haben, ausgerechnet dieses kleine Fläschchen mit Wasser auszuspülen? Es ist nur als Verwischung von Spuren vorstellbar. Wir haben durch einen Lübecker Toxikologen nach Jahren feststellen lassen, dass sich in dem Fläschchen Reste eines der vier Stoffe fanden, die zusammenwirkten, um Uwe Barschel zu Tode zu bringen. Wahrscheinlich ist die verdeckte Beibringung eines Medikamentes durch Dritte unter Vortäuschung des Trinken eines Schnaps. Letztlich ausschlaggebend für den Tod war dann das vierte verabreichte Mittel Cyclobarbital.
Lesen Sie im zweiten Teil, warum Uwe Barschel Sartre las
Der Schweizer Rechtsmediziner Hans Brandenberger sprach
später davon, dass Barschel „bei der Zufuhr von Cyclobarbital
handlungsunfähig“ gewesen sei. Barschel sei also bereits bewusstlos
gewesen, als das tödliche Gift in seinen Körper
gelangte.
Ja, Barschel hätte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr willentlich
dieses letztlich todbringende Cyclobarbital zu sich nehmen können.
Das war auch einer der Auslöser, weshalb wir das förmliche
Verfahren eröffneten. Aber wir haben uns nie zu der Überzeugung
durchsetzen können, dass diese Schlussfolgerung zwingend ist.
Entscheidender waren für mich die kriminalistischen Funde vor Ort,
die ich angesprochen habe.
Das sind die Hauptindizien, die für eine Fremdeinwirkung
sprechen. Aber Mord?
Was sind denn die Alternativen? Ein Unfall kann es nicht gewesen
sein, also kann es nur Mord oder Suizid gewesen sein. Es gibt
genügend Indizien, die im Zusammenhang mit Suizid nicht vorstellbar
sind. Und wenn es dann Mord war, handelt es sich sicherlich um
keine Beziehungstat aus einem Affekt heraus. Bleibt also nur der
geplante Mord. Das heißt, dass es auch Mörder gewesen sein müssen,
die in der Lage waren, diesen planvoll durchzuführen.
Lassen Sie uns die letzten Stunden im Leben des Uwe
Barschel noch einmal rekonstruieren. Barschel war kurz vor seinem
Tod mit seiner Frau auf Gran Canaria. Er unterbricht den Urlaub
spontan und fliegt nach Genf, angeblich, um einen gewissen Rainer
Rohloff zu treffen, der ihm Beweise liefern wollte, die ihn in der
Pfeiffer-Barschel-Affäre entlasten sollen.
Er wollte sich nach meiner Auffassung nie mit einem Rohloff
treffen. Vermutlich hat es diesen Rohloff nie gegeben. Barschel
brauchte eine Erklärung gegenüber seiner Familie, einen Vorwand, um
nach Genf zu fliegen. Die Geschichte musste halbwegs plausibel
sein. Den Namen Rohloff hatte er sich wahrscheinlich von einem
Reporter geborgt, mit dem er während des Wahlkampfes einen
Fototermin hatte. Zumindest haben wir einen solchen Rohloff finden
können, der aber nichts mit der Geschichte zu tun hatte. Nein,
Barschel hat sich nach meiner Überzeugung in Genf mit seinen
Mördern getroffen.
Der Name Rainer Rohloff wurde auch auf Barschels
Notizblöcken gefunden. Er schrieb dort „Treffen mit RR hat
geklappt“.
Meines Erachtens war das ein Spickzettel für eine Notlüge, die er
brauchte um plausibel zu machen, was er in Genf machte. Es ist ja
immer so ein Problem mit der Lüge. Wenn sie nicht schlüssig und
konsistent ist, fällt sie schnell wie ein Kartenhaus zusammen. Man
braucht eine Art Spickzettel, um sich die Unwahrheit
einzuprägen.
Neben den Notizen fand sich am Tatort ein Buch von
Jean-Paul-Sartre, „Das Zimmer“. Eine ungewöhnliche Lektüre für
einen ausgewiesenen Konservativen. Sie haben das Buch mit nach
Hause genommen und dafür viel Ärger bekommen.
Es war ein freigegebenes Beweismittel. Die ganze Aufregung darum
war völlig unangemessen. Das war eine Inszenierung des
Schleswig-Holsteinischen Justizministers in Übereinstimmung mit dem
FDP-Chef Wolfgang Kubicki, der ja auch forderte, man müsse gegen
mich ermitteln. Mangels Tatverdachts hat indessen die
Staatsanwaltschaft Kiel kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Wie muss ich mir das vorstellen? Sie nehmen das Buch mit
nach Hause, um zu lesen, was Barschel las?
Die Existenz dieses Buches diente einigen Kommentatoren, um ihre
Suizidthese zu festigen. Daraus wurden Schlussfolgerungen gezogen.
Es hieß, die Lektüre Sartres sei ein Indiz für eine depressive
Situation. Aber die Existenzphilosophie ist ja genau das Gegenteil.
Hier geht es darum, durch negative Gedanken positives Handeln zu
stimulieren. Ich wollte das nachvollziehen. Wir wissen ja im Grunde
gar nicht, ob Barschel wirklich darin gelesen hat.
Erfahren Sie im letzten Teil, was gegen die Selbstmordthese spricht
Was spricht gegen die Selbstmordthese?
Für einen Suizid bedarf es von vornherein einer bestimmte
Disposition. Es gibt ein gewisses präsuizidales Syndrom. Ich bin
der Überzeugung, dass Uwe Barschel keine suizidale Persönlichkeit
war. Außerdem war er in einer konkreten Situation, die gar nicht
suizidgeneigt war. Wenige Wochen zuvor ist er mit dem Flugzeug
abgestürzt und quasi wie durch ein Wunder mit dem Leben davon
gekommen. Und zwei Monate später soll er so weit sein, das gerade
erst neugeschenkte Leben einfach wieder wegzuwerfen? Schwer
vorstellbar bei Uwe Barschel.
Darüber hinaus stellt sich die Frage: Hätte er sich seinen Suizid überhaupt organisieren können? Ich sage nein. Suizid setzt eines voraus: Man muss irgendwann einmal den Entschluss fassen, sich umzubringen. Wann soll er diesen Entschluss gefasst haben? Er war noch lange der Überzeugung, er könnte die Affäre in den Griff bekommen, sonst hätte er nicht diese Ehrenwortpressekonferenz gegeben. Es schien zunächst auch so, als könnte die Stimmung für ihn kippen. Ab dem 25. September 1987 war dann abzusehen, dass die Stimmung gegen ihn lief. Von da an hätte er das organisieren, hätte sich die Medikamente besorgen müssen. Wie hätte er das aber machen sollen? Er war ein Mann des öffentlichen Lebens, der nicht einfach mal in die Apotheke gehen konnte. Das hätte Spuren hinterlassen. Auch hatte er keine Vertrauten auf Gran Canaria. Wir wissen, dass er sich dort ziemlich mühselig ein Beruhigungsmittel besorgt hat, weil er nicht schlafen konnte. Wenn er aber auch nur eines der vier Mittel gehabt hätte, die letztlich seinen Tod bewirkten, dann hätte er sich das Schlafmittel gar nicht beschaffen müssen. Dann hätte er sich einfach eine Tablette abzweigen und wunderbar schlafen können.
Sie sagen, er sei keine suizidale Persönlichkeit.
Barschel war doch aber ein von Angst getriebener Machtmensch. Er
nahm Tabletten gegen Angst, Tabletten, die enthemmen,
Psychopharmaka ohne Ende.
Was aber nicht bewiesen ist, ist die immer propagierte Behauptung,
dass er angeblich abhängig und süchtig gewesen sei. Er war nach
seinem Flugzeugabsturz zwei Monate im Krankenhaus. Da hätte man so
eine Abhängigkeit feststellen können. Fakt ist, er hatte Flugangst,
das war auch der Grund, warum er Mittel gegen Ängste nahm. Aber die
Angst, die er am Ende artikulierte, war eine reale Angst, die er
nicht mit Tabletten hätten kurieren können. Das hat er auch
gegenüber seiner Frau zum Ausdruck gebracht, bevor er nach Genf
flog.
Er sagte zu seiner Frau: „Die werden mich schon nicht
umbringen.“
Ja, dieser Satz ist sinngemäß so gefallen. Barschel bewegte sich
auf politisch abschüssigem Terrain. Er sagte auch, wenn mich die in
Bonn fallen lassen, werden die mich kennen lernen. Er drohte. Wer
sich so verhält, wer sich durchgerungen hat, bis zum Äußersten zu
gehen und Dinge zu erzählen, die andere Schädigen können, der hat
Angst.
Nach und nach hat sich die Theorie der Sterbehilfe in
der öffentlichen Meinung durchgesetzt.
Die Sterbehilfetheorie war und ist reine Spekulation, Fiktion, um
die Suizidtheorie aufrecht zu erhalten. Wo soll denn der
Sterbehelfer herkommen? Für den Sterbehelfer gilt dasselbe wie für
die Medikamentenbeschaffung. Uwe Barschel hätte sich innerhalb
dieser kurzen Frist bis zum 6. Oktober auf Gran Canaria alles
organisieren müssen. Am einfachsten wäre natürlich die Schweizer
Sterbehilfe gewesen, aber dafür gibt es nicht die geringsten
Hinweise. Es bleibt eine These ohne tatsächliche Basis. Kein Mensch
wird glauben, dass ein ordentlicher Schweizer Sterbehelfer hier
Medikamente verabreicht haben könnte, die im Übrigen in der Schweiz
seit Jahren nicht mehr erhältlich waren. Die Sterbehilfe-Szene hat
auch, man mag dazu stehen wie man will, ein bestimmtes Berufsethos.
Die sind zumindest nicht ohne Weiteres bereit, einen gesunden Mann
im besten Alter, der sich vielleicht gerade in einer Lebenskrise
befindet, ins Jenseits zu befördern. Das ist absurd.
Barschel starb zwei Tage vor Beginn des
Untersuchungsausschusses, vor dem er angeblich auspacken wollte.
Schon sind wir beim Motiv.
Es gibt eine Reihe von Motiven. Die Iran-Contra-Affäre
beispielsweise oder der illegale Export von U-Boot-Zeichnungen nach
Südafrika. Barschel konnte Informationen haben, die hochrangige
Persönlichkeiten hätten schädigen können in den USA, Iran, Israel,
Südafrika und letztlich auch der Bundesrepublik. Er hatte
vielfältige Kontakte auch auf seinen dubiosen DDR-Reisen. Bei einer
Anzahl vorstellbarer Motive gab es aber keinen Schwerpunkt, keine
Konzentration der Hinweise auf eine bestimmte Ermittlungsrichtung.
Insofern fehlten konkrete Täterhinweise, so dass bis zur
Verfahrenseinstellung nur noch die erforderliche Sicherung der
Beweise durchzuführen war.
Was glauben Sie, warum der Fall Barschel seit jeher
etwas von einem Glaubenskrieg hat?
Es haben sich zu schnell zu viele auf die Selbstmordthese
verstiegen. Und dann ging es nur noch darum, das eigene Gesicht zu
wahren. Ich habe versucht, Argumente herauszuarbeiten. Doch die
Suizidgläubigen setzten sich kaum mit den Tatsachen
auseinander.
Was sagen Sie jenen, die behaupten, Sie hätten sich in
die Mordthese verstiegen, hätten sich verrannt, wären der ewig
Getriebene?
Letztlich hab ich immer die nötige Distanz gehabt. Ignoranz und
Mangel an Sachlichkeit müssen sich andere vorwerfen lassen. Mein
Buch ist ein Diskussionsangebot. Die Gegenseite klammert die
Tatsachen aus, Journalisten bleiben bei ihrer Wahrheit,
kommentieren jenseits der Fakten. Nur müssen wir bei allem Hin und
Her letztlich doch ganz nüchtern feststellen: In dem Maße, in dem
Suizid unwahrscheinlicher wurde, wurde Mord wahrscheinlicher.
Herr Wille, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Timo Stein
Heinrich Wille Wille, Jahrgang 1945, hat im Fall "Barschel" von 1994-1998 die Ermittlungen als Oberstaatsanwalt geleitet. 2011 erschien sein Buch "Ein Mord, der keiner sein durfte. Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtstaates" im Rotpunktverlag.
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