- „Wir brauchen den Fiskalpakt nicht“
Noch vor der Sommerpause soll die Ratifizierung des Fiskalpaktes vorbereitet werden. Ökonom Gustav Horn erklärt im Cicero-Online-Interview, warum das das falsche Signal für Europa wäre und warum die Drachme Griechenland massiv schaden würde
Gustav A. Horn ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und lehrt an der Universität Flensburg. Der Volkswirt berät die SPD in Wirtschaftsfragen
Herr Horn, brauchen wir den Fiskalpakt?
Nein, wir
brauchen ihn nicht. Wir sollten die Finanzpolitik in bestimmten
Teilen der nationalen Verantwortung überlassen. Vieles haben wir
bereits über EU-Kommissionsdirektiven geregelt. Das reicht.
Michael Grosse-Bröhmer, der neue Parlamentarische
Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte aber nun, die
Zeit des Taktierens sei vorbei. Die Ratifizierung des Fiskalpaktes
und des Euro-Rettungsschirms ESM soll noch vor der
parlamentarischen Sommerpause vorbereitet werden. Europa brauche
ein Zeichen.
Es ist dringend notwendig, dass wir in Europa, vor allem im
Euroraum, Vertrauen schaffen. Nur glaube ich nicht, dass der
Fiskalpakt dafür das richtige Signal ist. Im
Gegenteil: Die vorgeschriebenen Konsolidierungsanstrengungen werden
Europa in den nächsten fünf, sechs Jahren wirtschaftlich extrem
belasten. Insbesondere jene Länder, die bereits stark von der Krise
betroffen sind. Die Unterzeichnung des Vertrages würde eine tiefe
wirtschaftliche Spaltung für den Euroraum bedeuten. Und ob Europa
dem standhält, bezweifle ich.
Glauben Sie nicht, dass Deutschland eine Verpflichtung
gegenüber Europa hat und zahlen muss?
Deutschland hat, wie alle Mitglieder, eine Verpflichtung gegenüber
Europa und ein wirtschaftliches wie politisches Interesse daran,
den Euroraum zu erhalten. Doch diese sollte man auf andere Art und
Weise zum Ausdruck bringen.
Und die wäre?
Im Falle von Panikattacken an den Finanzmärkten müsste sich die EZB
zunächst bereit erklären, bei Staatsanleihen zu intervenieren und
ihr Ankaufprogramm auf den Sekundärmärkten wieder aufzunehmen. Dies
könnte die Bundesregierung durch entsprechende Äußerungen politisch
stützen und so einen Beitrag leisten. Das zweite wichtige Signal
wäre, den Austeritätskurs in den entsprechenden Ländern deutlich zu
strecken, damit durch das Sparen nicht die Wirtschaft kaputt geht.
Denn es ist unglaubwürdig, wenn der Preis der Konsolidierung den
Zusammenbruch der Wirtschaft bedeuten würde. Wir müssen mit den
einzelnen Volkswirtschaften etwas mehr Geduld haben.
Jürgen Trittin sagte, dass die Zeit der Austerität in
Europa zu Ende gehen würde. Die demokratischen Rechte des
Bundestages beim Fiskalpakt müssten analog zu anderen
Angelegenheiten der EU geregelt werden. Ist der Fiskalpakt denn
undemokratisch?
Die rechtliche Dimension des Fiskalpakts kann ich als Volkswirt nur
bedingt beurteilen. Doch politisch ist klar, dass sich die
Parlamente hier an externe Vorgaben binden. Das Haushaltsrecht ist
das Königsrecht der Parlamente. Die Abgeordneten mögen dem
Fiskalpakt ja momentan zustimmen – insofern ist das demokratisch –,
aber was ist mit den künftigen Abgeordneten? Haben diese überhaupt
die Möglichkeit, diese Entscheidung zu revidieren, wenn sie diese,
aus welchen Gründen auch immer, für falsch halten? Es bestehen also
durchaus begründete Zweifel, dass die Freiheit des künftigen
Parlaments durch solche Verträge deutlich eingeschränkt ist.
Auch beim Schuldentilgungsfonds gibt es Bedenken. Wie
wichtig ist dieser Ihrer Meinung nach?
Er wäre ein Zeichen, dass man sich auch sehr kurzfristig der
Schuldenproblematik der Krisenländer widmet. Wenn man alles, was
über 60 Prozent geht, in einen solchen Schuldentilgungsfonds
einbringt, wäre den notleidenden Ländern stark geholfen. Wenn man
das zusätzlich mit realistischen Rückzahlungsbedingungen verbindet
und explizit Steuereinnahmen abtritt, fände ich das eine sinnvolle
Maßnahme.
Seite 2: "Eine intensive Zusammenarbeit in Europa ist denkbar und sinnvoll"
Blicken wir auf die Stimmung in Europa: Die SPD-Troika,
Gabriel, Steinmeier und Steinbrück, sehen nach einem Gespräch mit
dem französischen Staatschef François Hollande eine „große
Übereinstimmung“ im europäischen Krisenmanagement.
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hatte das Treffen zuvor als
„groteske Wallfahrt“ beschrieben, die mit „Sicherheit nicht den
deutschen Interessen“ dienen würde. Wie sehen Sie das europäische
Krisenmanagement gewahrt?
Was hier zum Ausdruck kommt, ist: Die nationale Perspektive ist
überholt. Wir werden politisch zunehmend im europäischen Raum
agieren, europaweite Bündnisse schließen müssen und in diesem Sinne
auch eine europaweite Wirtschaftspolitik verfolgen. Zunächst wohl
eher symbolisch als real, aber in diese Richtung fährt der Zug.
Ist so eine intensive Zusammenarbeit in Europa momentan
überhaupt noch denkbar?
Sie ist möglich. Sie ist denkbar. Und sie ist sinnvoll! Die
Rückkehr zu einem nationalen Ansatz wäre ein Rückschlag und dieser
ist nicht nur aus politischen Gründen bedenklich. Ökonomisch wäre
das eine Katastrophe. Die deutsche Wirtschaft ist so eng verwoben
mit der europäischen, dass sie massiven Schaden erleiden würde,
wenn wir diese Verbindung kappen oder durch Wechselkursschwankungen
belasten. Und auch im globalen Kontext wäre ein zersplittertes
Europa eine quantité négligeable. Der Euroraum als Ganzes ist
dagegen ein massiver Machtfaktor, einer der mächtigsten und
wichtigsten Märkte überhaupt.
Bei den Wahlen in Griechenland am kommende Wochenende
könnten die Linken an die Macht kommen. Was bedeutet das für Europa
und auch für die Einigung über den Fiskalpakt?
Die Wahlen bedeuten eine Zäsur in der bisherigen Rettungspolitik.
Aber diese Zäsur ist richtig. Die Austeritätspolitik, die man
Griechenland verordnet hat, ist gescheitert. Die griechische
Wirtschaft ist zerstört, das sieht mittlerweile jeder. Nun besteht
der dringende Anreiz, sich an den Verhandlungstischen zu treffen.
Die Griechen brauchen Geld, auch eine linke Regierung könnte in
kurzer Zeit die Gehälter nicht mehr zahlen, müsste Leute entlassen,
und das kann nicht in ihrem Interesse sein. Und es kann nicht im
Interesse Resteuropas sein, dass Griechenland völlig absackt,
Spanien und andere Länder womöglich mit sich zieht, weil an den
Finanzmärkten eine Riesen-Panik ausbricht.
Wie sieht also Griechenlands wirtschaftliche Zukunft
aus? Die Rückkehr zur Drachme scheint offensichtlich.
Für mich ist das keinesfalls offensichtlich. Die Drachme ist nicht
die Währung, die sich die Griechen wünschen, und eine Rückkehr zu
ihr würde dem Land massiv schaden. Sie würde inflationäre Tendenzen
fördern. Alle, die ihr Geld halten wollen, würden in den Euro
fliehen, was eine Abwertung der Drachme und aller griechischer
Vermögen gegenüber dem Euro bedeuten würde. Umgekehrt würden alle
diejenigen, die Griechenland Geld geliehen haben, dieses Geld
verlieren.
Wie geht es also konkret für Griechenland
weiter?
Griechenland muss eine Streckung des Austeritätskurses
aushandeln.
Wie wahrscheinlich ist es, dass wir das in Europa noch
gut über die Bühne bringen?
Fifty-fifty.
Herr Horn, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Maria Deckert. Fotos: picture alliance
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