- Ohne Mäzene kein Museum
Berlin wird reich beschenkt: rund 100 Spitzenwerke des 20. Jahrhunderts möchte das Berliner Sammlerehepaar Heiner und Ulla Pietzsch der Stadt vermachen. Vorausgesetzt, die millionenschweren Kunstwerke finden Platz. Scheitert die Schenkung, wäre das der Super-Gau. Denn ohne private Mäzene können die Museen nicht mehr
120 bis 180 Millionen Euro ist sie wert und beinhaltet ausschließlich Werke der künstlerischen Crème de la Crème: Die Sammlung Pietzsch, bestehend aus Arbeiten von Joan Miró, René Magritte, Yves Tanguy, Salvador Dalí, André Masson, Jean Arp, Alexander Calder, Dorothea Tanning, Balthus, Max Ernst, Alberto Giacometti, Paul Delvaux und anderen mehr, ist im Haus von Ulla und Heiner Pietzsch beheimatet – bis heute. Geht es nach den Besitzern, könnten die Werke schon bald in einem Berliner Museum hängen. Ein Anreiz auch für andere Sammler, so die Hoffnung. Doch die Bescherung für die Kunststadt Berlin hängt an einem seidenen Faden.
Bereits vom Sommer 2009 bis in den Januar 2010 waren mit der Ausstellung „Bilderträume“ 150 Werke aus der Sammlung Pietzsch in Berlin zu sehen gewesen. Für das Sammlerehepaar die Probe aufs Exempel: „Wäre die Ausstellung ein Flopp geworden, nur mit 30- oder 40.000 Besuchern, hätten wir gewusst, dass das hier in Berlin nicht geht. Aber bei über 200.000 Besuchern und den positiven Kommentaren in den Gästebüchern war klar, dass die Sammlung in Berlin bleiben muss,“ erzählt Heiner Pietzsch. Im Dezember 2010 folgte die nach dem Ausstellungserfolg erhoffte Sensation: Ulla und Heiner Pietzsch vereinbarten mit dem Land Berlin vertraglich, dass sie Berlin 100 Werke vermachen, vorausgesetzt, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz schafft genügend Ausstellungsraum dafür.
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Seitdem ist es ruhig geworden. Droht das Schicksal der Sammlung Pietzsch in Berlin nun an dieser Bedingung zu scheitern? Klar ist bis heute nur, dass die Neue Nationalgalerie selbst nach einem Ausbau des Untergeschosses nicht ausreichend Platz hätte. Pietzschs warten immer noch auf einen Vertrag zwischen dem Land Berlin und der Stiftung, der den Ausstellungsraum für ihre Sammlung sichert. „Heute heißt es immer gleich: Wir haben kein Geld!“ , weiß Heiner Pietzsch, „Aber Museen müssen eben mal erweitert werden!“
Mit ihren Bildern würden Pietzschs die auffällige Lücke des Surrealismus in der Sammlung der Nationalgalerie schließen: „Die Kunst des 20. Jahrhunderts ist in den Jahren 1933-35 hier in Berlin zerstört worden. Das hat dem Land ungeheuerlichen Schaden zugefügt“, erklärt Pietzsch. Als Gründungsmitglied des Vereins der Freunde der Nationalgalerie geht es ihm auch um die Nationalgalerie. Ein Einzelmuseum „Pietzsch“ käme schon deshalb gar nicht in Betracht: „Wenn ich das wollte, könnte ich unser Haus umbauen. Aber ein Museum in dieser Größenordnung überlebt nicht. Wenn die Leute ein paar Mal da waren – Beispiel Brücke-Museum – kommen sie nicht wieder.“
Es ist an Hermann Parzinger, die Voraussetzungen für die Sammlung Pietzsch zu erfüllen. „Sammler sammeln“ ist sein notgedrungenes Prinzip Hoffnung für die Berliner Museen. Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz deren Aufgabe es ist, die Kunstsammlungen in Berlin zu ver- und bewahren, zu erforschen, zu vermitteln und auszustellen, aber natürlich auch, sie weiterzuentwickeln.
Doch vor allem für letzteres fehlt es an Mitteln. Während neuerrichtete Museumstempel in den Golfstaaten einen Etat von 40 Millionen Dollar jährlich allein für den Kunsterwerb haben, stehen Parzinger zum Ankauf neuer Werke für die 16 Häuser nur 700.000 Euro im Jahr zur Verfügung. „Das ist ein Problem: Dafür kriegen wir gerade mal einen Bilderrahmen.“ Deswegen streckt die Stiftung nun ihre Finger nach privaten Sammlungen aus.
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In anderen Ländern bereits Gang und Gäbe, häuft sich der Übergang privater Sammlungen in öffentliche Hand in den vergangenen Jahrzehnten auch in Deutschland: 1976 wurde für das Sammlerpaar Peter und Irene Ludwig in Köln das gleichnamige Museum gegründet, in München 2009 das zu einem Preis von 46 Millionen Euro errichtete Museum Brandhorst für die Sammlung des Ehepaars Brandhorst eingeweiht. Auch die Berliner Museen zeigen seit Jahren private Sammlungen als Leihgabe oder Schenkung, so die Sammlungen Marx und Flick im Hamburger Bahnhof oder die Sammlungen Berggruen und Scharf-Gerstenberg in Sondermuseen in Charlottenburg.
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Die Aussicht auf 100 hochkarätige Werke setzt das Land Berlin und die Stiftung unter Druck. Niemand möchte Schuld sein, sollten die Bedingungen für die Schenkung nicht rechtzeitig geschaffen werden. André Schmitz, Berliner Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, betont das persönliche Engagement des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit in dieser Sache. Stiftungspräsident Parzinger berichtet, man arbeite derzeit „unter Hochdruck“ an einer Lösung. Geplant sei, die Gemäldegalerie am Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes, wo derzeit rund 1.500 Werke aus dem 13. bis 18. Jahrhundert hängen, zu einer Galerie des 20. Jahrhunderts umzurüsten. Dort würden die Sammlung der Neuen Nationalgalerie – die wegen temporärer Ausstellungen im eigenen Haus keinen Platz mehr findet –, die Sammlung Pietzsch und Bestände aus dem Hamburger Bahnhof, wie beispielsweise die Sammlung des Mäzen Erich Marx, untergebracht werden.
Am Kulturforum im Westen Berlins entstünde so mit einem Ballungsraum des 20. Jahrhunderts ein Gegengewicht zur Museumsinsel im Osten: „Wenn man sich den Wert dieser Sammlungsbestände bewusst macht, kommt man auf einen höheren dreistelligen Millionenbetrag, das könnte ein öffentliches Museum alleine nie erwerben,“ weiß Stiftungspräsident Parzinger. Für ihn steht dabei das Image Berlins auf dem Spiel: „Wenn die Galerie des 20. Jahrhunderts nicht realisiert werden kann und wir die Sammlungen Marx und Pietzsch verlieren sollten, dann würde Berlin als Kunststadt der Moderne in die Drittklassigkeit zurückfallen. Mit der Galerie des 20. Jahrhunderts hätte Berlin jedoch die einzigartige Chance, in einer Liga mit Tate Modern und MoMA zu spielen.“
Doch der Plan, London und New York zu überholen, hat einen Haken. Wo bleiben die Meisterwerke aus fünf Jahrhunderten der Gemäldegalerie? Das Land Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben für sie einen noch zu errichtenden Anbau des Bodemuseums vorgesehen. Bis dieses Gebäude verwirklicht ist, könnten einige Bilder mit der Skulpturensammlung ausgestellt werden, während der Großteil – vermutlich für Jahre, möglicherweise für Jahrzehnte – im Lager verschwindet. Allein das dürfte viele Kunstfreunde frustrieren. Auch die Folgekosten dieser Gedankenspiele haben es in sich: Frühere Schätzungen kommentierend, meint Parzinger, 20 Millionen Euro für die Umrüstung der Gemäldegalerie seien „sicher zu hoch“, 50 Millionen Euro für den Neubau an der Museumsinsel jedoch „sicher deutlich zu niedrig“. André Schmitz schätzt nach einer Begehung der Gemäldegalerie im Frühjahr, dass Umbaukosten von deutlich weniger als 20 Millionen Euro realistisch seien, in wenigen Wochen wisse man Genaueres. Der Anbau an das Bodemuseum im Osten der Stadt sei dann jedoch ein „Werk mehrerer Generationen", so Schmitz, und könne in 10 bis 20 Jahren verwirklicht werden: „Der Ball liegt jetzt bei der Stiftung, sie muss sich zu dieser zeitnahen Zwischenlösung, dem Umbau der Gemäldegalerie, durchringen. Meine Unterstützung dafür hat sie."
Im Masterplan 2015 für die Museumsinsel taucht die neue Gemäldegalerie zwar noch nicht auf, doch Parzinger zeigt sich optimistisch: „Es geht hier zwar um Berlin, aber unsere Planungen werden weit über Berlin hinaus wirken und das Bild Deutschlands als Kultur- und Kunstnation mit prägen. Es wäre für Berlin, aber auf für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Bund, der Super-Gau, wenn die Sammlung Pietzsch verloren ginge. Insofern werden wir alle Kräfte bündeln, um dieses Ziel zu erreichen!“ Der Bund finanziert die Baumaßnahmen der Stiftung zu 100 Prozent, parallel will Parzinger versuchen, Mäzene für den Bau der neuen Gemäldegalerie zu gewinnen: „Wenn wir einen substanziellen zweistelligen Millionenbetrag von privater Seite bekommen, lässt sich die Realisierung beschleunigen.“ Dabei gelte das Motto „Do et Des“: Sobald der Grundriss stehe, könnten Galerien, einzelne Räume oder Flügel gesponsert werden: „Es ist eine Win-Win-Situation. Sammler und Mäzene können sich verewigen. Denn nicht nur für Künstler gilt: Wer seinen Namen mit einem Museum verbinden kann, wird unsterblich.“
So leichtgängig, wie das klingt, ist es jedoch weder für Mäzene noch für Museen. In der Regel sind Dauerleihgaben oder Schenkungen das Ergebnis jahrelanger Arbeit und intensiven Kontakts. „Es muss ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens und absoluter Fairniss zwischen Sammler und Museumsverantwortlichen gegeben sein“, weiß Parzinger aus Erfahrung. Es ist für die Museen ein schmaler Grat. Vor Übergriffen durch Sammler oder Mäzene müssen sie sich wehren: „Es kann nicht sein, dass ein Sammler bestimmt, was oder wie ausgestellt wird. Wir handeln mit öffentlichen Steuermitteln im öffentlichen Auftrag. Museen dürfen auch nicht als finanzielle Durchlauferhitzer für Kunstwerke missbraucht werden: Ein Werk, das als Leihgabe 10 Jahre im Museum hing, hat, wenn es wieder auf den Markt kommt, einen ganz anderen Preis als vorher.“
Dennoch bleibt die Frage: Haben private Mäzene zu viel Einfluss auf Museen? Neben den Sammlungen Flick und Berggruen haben die Berliner Museen im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe bedeutender Privatsammlungen geschluckt: 1815 kaufte Friedrich Wilhelm III. die Sammlung der italienischen Adelsfamilie Giustiniani auf – 155 bedeutende französische, holländische und vor allem italienische Kunstwerke. Rund 45 Jahre später vermachte der deutsche Bankier Joachim Wagener seine 262 Gemälde starke Sammlung dem Preußischen Staat. Dank des Unternehmers James Simon ist die berühmte Büste der Nofretete in Berlin beheimatet. 1900 überließ er zudem seine umfangreiche Renaissancekollektion den staatlichen Sammlungen. Diese Sorge wird durch die Geschichte entkräftet: Keinem dieser Mäzene würde man heute unangemessene Einflussnahme vorwerfen.
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Erinnert an historische Vorgänger des Mäzenatentums in Berlin, lacht Sammler Heiner Pietzsch nur: „Da hängen wir uns mal lieber ein bisschen tiefer!“ Ob der Name „Pietzsch“ eines Tages auf den Schildern ihrer Bilder auftaucht, ist Heiner Pietzsch glaubwürdig gleichgültig: „Hören Sie, wenn ich in zwanzig Jahren tot bin, interessiert das doch keinen.“ Der Verdacht, er und seine Frau wollten mit einer solchen Schenkung nur ihr eigenes Ego befriedigen und für die Zukunft manifestieren, liegt nahe. Doch Heiner Pietzsch geht es um die Kunst: „Der Anspruch ist das Bild. Das Bild hat die Ehre verdient, gepflegt und richtig gehängt zu werden. Dass es mal uns gehörte, ist jetzt interessant und meine Eitelkeit ist jetzt in vollem Umfange bedient.“ Pietzsch konzentriert sich lieber auf seine Vorbildfunktion: „Wenn die Galerie des 20. Jahrhunderts so wie geplant funktioniert, dann werden noch viele Leute kommen, die bereit sind, in die Lücken der Sammlung zu spenden.“
Bei allem erklärten Optimismus, der großen Vorfreude und Zuversicht seitens der Beteiligten bleibt Unruhe. Noch sind die entscheidenden Voraussetzungen nicht geschaffen. Bleibt es bei dem jetzigen Stand, werden Miró, Dalí und co. sich außerhalb Berlins ein neues Zuhause suchen. „Sorgenfrei kann man nicht sein. Dann würde man leichtsinnig an Realitäten vorbeigehen“, erklärt Pietzsch. Seine k.o.-Bedingung bleibt: „Sollte es nicht zu dem Museum des 20. Jahrhunderts kommen, werden wir die Sammlung nicht nach Berlin geben.“ Damit setzt er auf den Druck der Alternativen: „Ich hätte kein Problem, innerhalb von 14 Tagen ein anderes Museum zu finden, das die Sammlung übernimmt.“
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