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NSA-Datenskandal - Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen

Amerikanische Lauschangriffe sorgen in Deutschland für Empörung. Welche Bedeutung hat der Skandal für die transatlantischen Beziehungen?

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Pindur, Marcus

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Es war ein Statement, das zunächst auch eingefleischte Transatlantiker frösteln ließ. Er könne nicht viel bestätigen, sagte der ehemalige NSA-Direktor Michael Hayden kurz nach Bekanntwerden der Abhör- und Datensammlungsvorwürfe in der Sendung „Face the Nation“. Aber er wolle drei Fakten in den Raum stellen. „Erstens: Die USA betreiben Spionage. Zweitens: Unser vierter Verfassungszusatz, der die Privatsphäre der Amerikaner schützt, ist kein internationaler  Vertrag. Und drittens: Diejenigen Europäer, die internationale Spionage lebhaft beklagen, sollten erst mal nachfragen, was ihre eigenen Regierungen eigentlich tun.“
 
Telling it like it is, sagt man dazu im angelsächsischen Sprachraum. Ohne Rücksicht auf diplomatische Feinheiten hatte der ehemalige Geheimdienstmann eine Mahnung zu mehr Realitätssinn und Selbsterforschung in den Raum gestellt, die sich in den darauffolgenden Wochen immer mehr als wirklichkeitsnah entpuppen sollte.

Es gibt mehrere Gründe, warum die Europäer nicht mit Steinen auf die USA werfen sollten. Mittlerweile ist es an der Zeit, sich über die zur Schau gestellte Empörung in Berlin und Paris (und Brüssel) zu empören. Fangen wir beim Thema Doppelmoral in Paris an. Keine zwei Wochen nach der vollmundigen Erklärung des französischen Staatspräsidenten François Hollande, das Abfischen der Daten durch die USA sei völlig inakzeptabel, kam heraus: Frankreich betreibt ein ähnliches Programm. Es ist, anders als die amerikanischen Programme, nicht vom Parlament eingerichtet und wird nicht von der Justiz kontrolliert.

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Den Deutschen ist die Doppelmoral nicht so einfach nachzuweisen, aber das Bild verdichtet sich. Der Historiker Josef Foschepoth hat ein ganzes Netz an Verträgen und Absprachen ans Licht gebracht, die belegen, wie ausnahmslos alle Bundesregierungen mit den USA kooperiert haben, wenn es um die Kontrolle von Kommunikationswegen ging – vorbei am Grundgesetz, das solche Eingriffe nur auf gesetzlicher Grundlage zulässt.

Diese gesetzliche Grundlage hätte aber erfordert, dass sich die Politiker der alten und neuen Bundesrepublik vor dem Wähler ehrlich – und angreifbar – gemacht hätten. So konnten sie nach außen den Deutschen vormachen, es sei möglich, in einem Datenschutzparadies zu leben, und gleichzeitig die Ergebnisse amerikanischer Überwachungspraktiken zu verwenden, um die sicherheitspolitische Dividende einzuheimsen.

In Washington herrscht in der außenpolitischen Debatte ein anderer Ton als in Deutschland. Die Anerkennung einfacher Realitäten – wie etwa: Geheimdienste sind notwendig und legitim; die Verfolgung nationaler Interessen mit geheimdienstlichen Mitteln ist es zunächst einmal auch; der Zweck heiligt nicht die Mittel, aber nicht alle Mittel sind geschmackvoll – wird in Amerika vorausgesetzt.

Verhinderte Bombenattentate in Europa

Spricht man in Washington mit Außenpolitikexperten, gleich ob es Deutsche oder Amerikaner sind, gleich ob rechts oder links, so glaubt kein einziger, dass die deutschen Sicherheitsbehörden nicht in groben Zügen gewusst hätten, was außerhalb – und innerhalb – der angeblichen Datenschutz-Puppenstube Deutschland geschah. Fianzminister Wolfgang Schäuble hat jüngst bestätigt, dass es amerikanische Hinweise waren, die die sogenannte Sauerland-Gruppe auffliegen ließen. Nach Angaben von NSA-Chef Keith Alexander wurde Anfang 2011 eine Reihe von Bombenattentaten in Europa verhindert.

Heißt das, man solle keine Grenzen der amerikanischen Spionage einfordern? Doch, das soll man sehr wohl. Die Verwanzung von deutschen und EU-Botschaften ist nicht hinnehmbar. Auch als Verbündeter zweiter Klasse – nach Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien – hat man ein Anrecht darauf, dass privilegierte Kommunikation in Botschaften möglich ist.

Das wird man jedoch nicht als offizielle diplomatische Note bekommen, schon gar nicht als vertragliche Verpflichtung. Denn keiner weiß, was in der Zukunft liegt, und Staaten behalten deshalb gerne ihre Flexibilität und Handlungsfähigkeit.

Wer fordert, die Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen Europa und der USA an die Erfüllung deutsche Datensicherheitsstandards durch die NSA zu ketten, hat nicht viel von internationalen Beziehungen verstanden. Staaten - schon gar nicht Großmächte, lassen sich nicht die Bedingungen ihres Handelns diktieren, besonders nicht öffentlich. Das wäre im Übrigen auch vergeblich, denn es ist eine weitere einfache Realität, dass die USA das Internet weiterhin ausforschen werden, und die Deutschen können sie daran nicht hindern. Betrachtet man die sicherheitspolitische Dividende der Deutschen ohne eigenen Kapitaleinsatz, dann wollen sie das vielleicht auch gar nicht.

Ein rascher Abschluss des TTIP-Vertrags ist besonders im Interesse der Exportnation Deutschland. Im Rahmen dieses Abkommens wird es auch um die Standards bei der kommerziellen Datenverwertung gehen. TTIP ist das umfassendste Handelsabkommen, das jemals in Angriff genommen wurde – nur die in Jahrzehnten gewachsenen EU-Strukturen sind komplexer und umfassender. In einer späteren Verhandlungsphase wird die digitale Ökonomie zum Thema werden und damit die Frage: Was passiert mit den Daten, wenn die Bürger und Kunden Transaktionen im Internet vollziehen? Wie müssen amerikanische Firmen die Daten europäischer Kunden behandeln – und umgekehrt?

Anders als die französische Filmindustrie kann dieser Teil der Ökonomie nicht ausgeklammert werden, dazu ist er zu wichtig. Dort sollten die Deutschen mit echtem Mannesund Frauenmut deutsche Interessen verteidigen, sowohl wirtschaftliche als auch datenschutzrechtliche.

Ein fairer Dialog ist erforderlich

Der Schlüssel zum zukunftsfesten deutschen Umgang mit den USA liegt nicht in einer Verweigerungspolitik, sondern im konstruktiven, fairen, interessengeleiteten Dialog. Das Bild des bedauernswerten Opfers amerikanischer imperialistischer Zügellosigkeit, das manche zeichnen, könnte falscher nicht sein. Die Geschichte der Bundesrepublik gibt das nicht her. Die alte Bundesrepublik war in der Tat eine Schöpfung der Westalliierten, aber sie hatte jede Möglichkeit, sich politisch zu entwickeln. Einige der wichtigsten Entscheidungen des westlichen Bündnisses wurden auf Drängen Deutschlands gefasst und durchgesetzt.

Die Entspannungspolitik der siebziger Jahre wurde von der damaligen Bundesregierung unter Willy Brandt maßgeblich vorangetrieben. Die Entscheidung für den Nato-Doppelbeschluss kam auf Drängen des deutschen Kanzlers Helmut Schmidt zustande.

Der damalige Präsident Jimmy Carter wollte dies zunächst überhaupt nicht – er scheute den Konflikt mit der Sowjetunion. Die Nachrüstung wurde unter Schmidts Nachfolger Helmut Kohl durchgesetzt und hatte im November 1987 den ersten tatsächlichen Abrüstungsvertrag der Weltgeschichte zur Folge. Alle Rüstungsverträge davor legten lediglich Obergrenzen für Waffensysteme fest. Die deutsche Wiedervereinigung, der größte Aktivposten der deutschen Politik im 20. Jahrhundert, wäre ohne die vorbehaltlose Unterstützung George H. W. Bushs nicht, nicht so und nicht so reibungslos gekommen.

Die Alliierten in Großbritannien und Frankreich waren bekanntlich wenig begeistert von Helmut Kohls Zehn-Punkte-Plan und versuchten ihn zu unterlaufen. Die Nato-Osterweiterung nach dem Zerfall des Warschauer Paktes wurde im Wesentlichen von zwei deutschen Politikern beworben und betrieben: Volker Rühe und Karsten Voigt.

Nicht nur auf dem Feld der Sicherheitspolitik gelang es immer wieder den Deutschen, ihre Interessen durchzusetzen. Den transatlantischen Streit um das Erdgas-Röhrenembargo von 1980 bis 1982 entschieden die Deutschen im Verbund mit den anderen Europäern gegen die USA für sich – ein damals viel beachtetes Signal neuen europäischen und deutschen Selbstbewusstseins. Ganz davon abgesehen,  dass die Entfaltung der europäischen Integration stets von den USA gefördert wurde, ungeachtet immer wiederkehrender Konflikte um Währungs- oder Landwirtschaftsfragen. Die USA sind außerhalb der Europäischen Union der größte Handelspartner Deutschlands. Umgekehrt sichern deutsche Firmen mit ihren Investitionen in den USA 570.000 Arbeitsplätze.

Eine nüchterne Analyse der deutschen Interessen kann nur zu dem Schluss kommen, dass das transatlantische Verhältnis nicht mit der Brechstange betrieben werden sollte. Das schließt gelegentliche Konflikte nicht aus. Doch die Deutschen haben es sich in der nach 1945 von den USA etablierten Weltordnung sehr komfortabel eingerichtet. Sie sollten sich deshalb auch mehr und ehrlicher an den Kosten der Aufrechterhaltung dieser freiheitlichen Weltordnung beteiligen.

Ob Klimawandel, Proliferation von Nuklearwaffen, Freiheit des Welthandels, internationale Sicherheit: Keines der großen internationalen Probleme kann ohne die USA gelöst werden. Und eines sollte man sich auch vor Augen halten: Es ist das Bündnis mit den USA, das Deutschland und Europa in einem fundamentalen Sinn vor Begehrlichkeiten und Pressionen Russlands schützt. Die Sicherheit in Europa wird von Deutschen oft als so selbstverständlich angesehen, dass ihr Wert nicht mehr erkannt wird.

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Es ist zu erwarten, dass die derzeitige Krise bald wieder vergessen sein wird. Zu wichtig ist das größte transatlantische Projekt seit der Osterweiterung der Nato: die Transatlantic Trade and Investment Partnership. Sie wird in den nächsten schätzungsweise zwei Jahren alle Aufmerksamkeit absorbieren und die Aufregung über den Abhörskandal auf ein nüchternes Maß zurückschrauben.

Europa sollte nicht jammern

Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Selbstverständlich sollten die USA sich langsam aus dem Nine-Eleven-Modus herausbewegen und eine andere Balance zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten anstreben. Es gibt im Kongress erste Anzeichen dafür. Die Debatte hat in den USA gerade erst begonnen.

An die Deutschen gerichtet gilt: Die amerikanische Stärke in Sicherheitsfragen – und die Cybersicherheit gehört dazu – ist immer auch eine Funktion der europäischen Schwäche. Wem es nicht passt, dass er durch das Internet ausgeforscht wird, der muss seine eigene elektronische Infrastruktur stärker machen. Der muss der Wirtschaft Abwehrmethoden gegen Cyberspionage an die Hand geben.

Die deutschen Politiker sollten ihren Wählern endlich reinen Wein einschenken, wie man Sicherheit in einer Welt des globalisierten Dschihad gewährleisten kann – nämlich nur in Kooperation mit den USA. Europa muss nicht jammern, sondern sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Niemand würde das mehr respektieren als die Amerikaner.

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