- Endzeit-Propheten in der Eurokrise
Immer mehr Zeitgenossen spielen sich in der Eurokrise zu Armageddon-Propheten auf, die die Währungskrise quasireligiös bis zur Apokalypse erhöhen. Dagegen sind die Zeugen Jehovas fast schon angenehm
Was waren das für schöne Zeiten, als die Zeugen Jehovas noch von Haustür zu Haustür gingen, einem den Wachtturm in die Hand drückten und auf Nachfrage irgendetwas über bevorstehende Endzeitkriege erzählten. Diese Leute, zumeist ältere Männer in eierschalfarbenen Windjacken, wirkten ungefähr so bedrohlich wie ein Seniorennachmittag, und wer ihnen ein bisschen zuhörte, kam zwangsläufig zu dem Schluss, dass ein Weltuntergang ja kein Beinbruch sein muss.
Die Orakel der Eurokrise verkünden Horrorszenarien
Heute dagegen begegnet uns eine neue Generation von Endzeitpredigern – und zwar in Form des Eurokrisenorakels, kurz EKO. Das EKO legitimiert sich zunächst durch die Behauptung, es habe als einziges Medium die Eurokrise bereits zu einem Zeitpunkt vorhergesagt, als Griechenland einfach nur ein sympathisches Urlaubsgebiet mit Triple-A-Bonität war und Lehman Brothers eine sichere Bank. Um uns dann eine Zukunft auszumalen, gegen die die Höllenbilder eines Hieronymus Bosch eher noch harmloses Geplänkel sind.
Eines der aufdringlichsten Eurokrisenorakel ist ein Mann namens Günter Hannich, der sich „Experte für Geldsicherheit“ nennt und neuerdings ständig im Internet auftaucht (manchmal auch im Fernsehsender NTV). Der moderne Armageddon-Prophet vom Typ Günter Hannich trägt Krawatte und sieht auch sonst aus wie der Bankberater von der örtlichen Sparkassenniederlassung, verbindet dieses amtlich-seriös anmutende Erscheinungsbild jedoch mit der Verkündigung haarsträubendster Horrorszenarien.
Wenn der Euro ins Chaos stürzt, hilft ein Newsletter
Auf der Hannich-Homepage klingt das beispielsweise so: „Eurozusammenbruch. Schuldenchaos. Wirtschaftskrise. Der totale Zusammenbruch kommt! Der Euro versinkt im Chaos! Ihr Geld ist in Gefahr. Alles, was Sie sich aufgebaut haben, ist in Gefahr. Es gibt nur noch einen Ausweg!“ Anders als bei endzeitlichen Sekten, die einem den Ausweg aus dem ganzen Schlamassel noch durch spirituelle Übungen weisen konnten, hilft in der Schreckenswelt der Günter Hannichs jedoch kein Gebet und erst recht kein Bausparvertrag. Sondern einzig und allein ein Abonnement des Newsletters „Hannich vertraulich“.
Vertraulichkeit, die konspirative Schwester des Vertrauens, hat in der Krise Konjunktur. Denn wenn das Vertrauen abhandengekommen ist, besorgt man sich seine Informationen eben auf anderen, auf „vertraulichen“ Wegen. Das gilt nicht nur für Secret Services, sondern auch für Kleinanleger – das Geheimnis des Glaubens als Bestandteil der ökonomischen Liturgie.
Die quasireligiöse Dimension der Finanzkrise sollte ein ergiebiger Forschungsgegenstand für Kulturanthropologen sein. Der Euro ist ja längst nicht mehr nur eine Gemeinschaftswährung, sondern eine vergöttlichte Wesenheit, von der angeblich die Existenz eines ganzen Kontinents abhängt.
Wer nicht an den Euro glaubt, wird als Schismatiker gebrandmarkt
Wer dieser Doktrin nicht folgt, wird von den Hütern des heiligen Euro-Grals als Schismatiker gebrandmarkt – einige gründen dann sogar ihre eigene Anti-Euro-Sekte und bezeichnen das Ergebnis als politische Partei.
In dieser Gemengelage erscheinen nüchterne Professoren der Ökonomie nicht mehr als Wissenschaftler, sondern vielmehr wie Wahrsager oder Hohepriester eines rätselhaften Kultes. Es geht keineswegs um gesicherte Erkenntnis, sondern um die Deutungshoheit von Wirtschafts-„Weisen“.
Da ist es eigentlich auch nur konsequent, wenn sich die Eurokrisenorakel unserer Tage nicht wie Finanzberater inszenieren, sondern als Erlöserfiguren. „Das ist der Retter!“, heißt es völlig ironiefrei auf seiner Homepage unter einem Foto Günter Hannichs. Und wer sich dem Retter nicht anvertraulicht, so die Botschaft, ist für immer verloren: „Das Chaos kommt! Handeln Sie jetzt, bevor es zu spät ist!“
Ich kann nicht genau sagen, warum. Aber als Weltuntergangsprediger waren mir die Zeugen Jehovas in ihren eierschalfarbenen Windjacken irgendwie lieber.
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