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Skurril-Umfrage - „Guten Tag, was halten Sie vom NSA-Skandal?“

Überall heißt es, die Leute würden sich kaum für den NSA-Spionagethriller interessieren. Stimmt das? Petra Sorge wollte es genauer wissen und machte den Türklingel- und S-Bahn-Test

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Kaum einer bei den Demos, kein hörbarer Aufschrei im Netz: Regt sich eigentlich niemand so richtig über die NSA-Affäre auf? Offenbar nicht, findet SZ-Rechercheur Hans Leyendecker: „Eigentlich haben wir einen der größten Skandale der letzten Jahrzehnte vor uns und wir haben Schwierigkeiten, Menschen zu finden, die sich mit empören können.“

Ja, wir interessierten Medienleute möchten den Menschen mit Stéphane Hessel entgegenbrüllen: Empört euch!

Aber anstatt mich innerlich aufzuregen, denke ich mir: Schluss jetzt! Es muss sie doch geben, die Empörten da draußen. Also ziehe ich los, sie zu finden: von Haustür zu Haustür. Was die Sozis können, kann ich schon längst. Dabei habe ich es ja viel einfacher: Ich will weder die Stimme meiner Zielpersonen erbeuten noch ihnen einen Staubsauger andrehen. Sondern ihre Meinung zum größten Spionage-, Überwachungs- und Journalistenthriller der Zeitgeschichte ergründen. Ich bin, sozusagen, unterwegs für die Pressefreiheit.

Ein Hochhaus in Berlin-Friedrichshain. An der ersten Tür begegnet mir eine Großmutter in Dederonschürze. „Guten Tag, ich würde gerne Ihre Meinung zum NSA-Skandal wissen.“ – „Ich sage dazu gar nichts!“, flüstert sie. Gut, denke ich mir, das hier ist Ostberlin. Womöglich hat sie mal eine unangenehme Stasi-Erfahrung gemacht.

Nächster Eingang. Ding-dong. Ein Hund kläfft. Ein Schlurfen, ein metallisches Klickern. Die Tür öffnet sich, wird durch eine Kette aber nach wenigen Zentimetern gestoppt. Ein halbes Gesicht lugt durch den Spalt. „Was sagen Sie zu den Abhörmethoden der USA?“ – „Um diese Uhrzeit? Tut mir leid.“ Schnapp, Tür zu. Dabei wollte ich doch noch die gerade erschienene Septemberausgabe des Cicero anpreisen – wegen der Synergieeffekte.

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Laut der Diffusionstheorie in der Kommunikationswissenschaft verbreiten sich Nachrichten in sozialen Gruppen auch dann, wenn sich nur wenige Meinungsführer dafür interessieren. Mit einiger Zeitverzögerung kommen die Informationen dann auch bei anderen Gruppen an. Je relevanter die Nachricht, desto schneller geht der Prozess und desto tiefer dringt sie in die Bevölkerung ein.

An der nächsten Tür frage ich eine ältere Frau, ob sie wisse, wie viele Jahre Haft Bradley Manning bekommen hat. Sie blickt mich ungläubig an. „Verfolgen Sie die Nachrichten zum NSA-Skandal?“ Ein Kopfschütteln.

Ich stelle fest: Hier diffundiert gar nichts. Genauso gut könnte man versuchen, Öl und Wasser zu vermischen.

Da werden Daten massen-, ach millionenhaft widerrechtlich abgegriffen, dass Vergleiche mit dem Orwell’schen Staat oder der Stasi durchaus zulässig ist, da wird der Guardian massiv von der britischen Regierung unter Druck gesetzt, da werden Whistleblower oder Journalisten festgehalten, gejagt, weggesperrt – natürlich ist es das Medienthema! Die Funken, die Edward Snowden mit seiner Enthüllung losgelassen hat, haben sich über den Sommer in einen medialen Flächenbrand ausgeweitet. Allerdings scheinen die deutschen Medien eine Ausnahme zu sein: Während hierzulande am Tag des Übergriffs auf den Guardian fast einhellig darüber berichtetet wurde, war das Thema auf keinem der großen amerikanischen Onlineportale zu finden. Der US-Journalist und Blogger Jeff Jarvis vermutet dahinter den blanken Neid der amerikanischen Journalisten auf das britische Blatt: das „not-scooped-here“-Syndrom.

Ich versuche es in der Straßenbahn im etwas gehobeneren Prenzlauer Berg. Der Stämmige mit Glatze? Schaut angestrengt aus dem Fenster. Der Teenager mit Smartphone-Ohrstöpseln? Zuckt die Schultern. Ein sitzender Herr bringt wenigstens ein „Da hab' ich aber andere Probleme“ hervor.

Langsam bin ich schon trainiert auf Jia Jangs Rejection Therapy: Der bringt sich selbst bei, mit Ablehnungen umzugehen, indem er in der Fastfood-Kette nach Gratis-Burgern fragt – und sich dabei filmt.

Meine Hypersensibilisierung: Ich rufe die NSA-Frage in die überfüllte S-Bahn. Schweigen. Ein langhaariger Mittzwanziger in einem Vierersitz guckt mich mitleidsvoll an. Jetzt weiß ich, wie sich Verkäufer von Obdachlosenzeitungen fühlen.

Immerhin: Am U-Bahn-Kiosk finde ich doch noch jemanden. Ein Mann mit Brille, der gerade sein Fahrrad anschließt. „Ja, diese ganze NSA-Sache ist schon eine Frechheit“, schimpft er, „Obama sollte seinen Friedensnobelpreis zurückgeben“.

Ein Empörter! Da ist er! Ich frage, ob er das Thema weiter verfolge. „Klar. Ich kaufe mir jetzt hier den Tagesspiegel. Da drüben beim Kaiser’s gibt es ja nur stapelweise Bild-Zeitungen und das Neue Deutschland.“ Er schüttelt angewidert den Kopf. „Das sind wirklich Zustände da. Wissen Sie, die Auberginen kosten jetzt 9,99 Euro das Kilo. Darüber sollten Sie mal schreiben!“

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