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(Yann Arthus-Bertrand) Raja Ampat Islands (Four Kings), West Papua province, Indonesia (0°41’ S, 130°25’ E)

Planet Ocean - Willkommen im Anthropozän

Sparen Sie sich Ihr schlechtes Gewissen, die Lage ist sowieso viel ernster als Sie denken! Mit Hillary Clinton, dem Aktivisten und Filmemacher Yann Arthus-Bertrand und Frederik beim Nachhaltigkeitsgipfel in Rio

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber alle paar Monate habe ich das Gefühl, ich sollte grundlegend mein Leben ändern und etwas Anständiges damit anfangen. Das ging mir auch schon früher so, als ich noch nichts Anständiges mit meinem Leben gemacht habe. Bekanntermaßen lohnt es sich nicht, ein schlechtes Gewissen zu haben. Anstatt sich unproduktiv seinen Schuldgefühlen hinzugeben, sollte man sich lieber entschuldigen und versuchen, besser als vorher weiterzumachen. Das gilt vor allem, wenn das schlechte Gewissen nur die Spitze eines schmelzenden Eisbergs ist.

Die vergangenen Tage war ich in Rio de Janeiro, für die Premiere von „Planet Ocean“, dem neuen Films des französischen Fotografen und Umweltaktivisten Yann Arthus-Bertrand. Ich habe in einem Hotel direkt am Strand von Copacabana gewohnt, wo es genauso aussieht, wie man es sich, informiert von Pop- und Bossa-Nova-Songs, vorstellt. In Rio haben die achtziger Jahre kein Revival gemacht – sie waren nie weg. Sogar der Jesus auf dem Gipfel gegenüber dem seilbahnverzierten Zuckerhut wird nachts im poppigsten Neongrün angestrahlt. Die Hochhausarchitektur und die prächtigen, immer schon gleich nach der Renovierung verfallenden Kolonialbauten wirken wie eine wollüstige Mischung aus Florida und Kuba, die Menschen sehen wirklich so gut aus, wie man immer hört. Die Postkartenlandschaft mit tiefblauem Ozean und pittoresken Bergen ist surreal schön.

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Doch anstatt meine paar Tage in der Stadt einfach so zu genießen, bekam ich plötzlich das bestimmte Gefühl, dass es mit alledem bald vorbei sein wird. Das lag vor allem am Nachhaltigkeitsgipfel Rio +20, der gerade begann und die Stadt mit Delegiertentrossen in schwarzen Anzügen, Limousinen, Straßensperrungen, Polizeisirenen und Hubschraubereinsätzen überströmte. Hillary Clinton und ihr Hund wohnten im selben Hotel wie ich, Dirk Niebel und seine Männer auch, genauso wie die Delegationen aus Indien und Sri Lanka.

Schon vor Beginn des Gipfels war der Entwurf des Abschlussdokuments an Teilnehmende und Journalisten verschickt worden. Darin war ersichtlich geworden, dass das legendäre erste Gipfeltreffen vor 20 Jahren nicht nur so gut wie keine konkreten Folgen gezeitigt hat, sondern auch, dass der größte Erfolg dieses Treffens nur darin bestehen könnte, sich trotz der ungleich dramatischeren Situation auf Richtlinien zu einigen, die nicht hinter denen von 1992 zurückgehen.

Das mit dem Untergangsbewusstsein meine ich ganz ernst. Wir leben in einer geradezu skurrilen Fantasieblase. Die Katastrophenfilme von Roland Emmerich sind viel weniger Fiktion, als wir denken. Irgendetwas in unserer kollektiven Psyche scheint uns daran zu hindern, zu sehen, dass in den vergangenen Jahrzehnten etwa die Hälfte aller Korallenriffe gestorben sind, jedes von ihnen 5000 bis 10000 Jahre alt, dass 90 Prozent der weltweiten Haifischpopulation getötet wurde, 35 Prozent des arktischen Eises geschmolzen ist und im Pazifik eine Insel aus Plastikmüll schwimmt, die in etwa die Größe der Vereinigten Staaten hat.

Gleich am ersten Abend traf ich Frederik, einen Freund, den ich noch aus New York kenne, wo er für die UNO arbeitete und unter anderem dabei half, Rio+20 vorzubereiten. Heute berät er das mexikanische Wasserministerium, und damit wir weggehen konnten, sagte er ein Abendessen mit dem dortigen Umweltminister ab. Wir unterhielten uns vor allem über Privates. Aber eben auch über die konkreten Auswirkungen, die der Klimawandel jetzt schon in Mexiko hat: Anhaltende Dürren im Norden und Unwetter und Sturmfluten im Süden des Landes. Landwirtschaft dürfte unter diesen Bedingungen bald so gut wie unmöglich werden. Früher habe ich immer Witze darüber gemacht, dass sein Job sei, die Welt zu retten. Heute fände ich das nicht mehr lustig.

Viele von uns hat unser Gewissen schon dorthin gebracht, unseren Müll zu trennen und den Energieanbieter zu wechseln. Es gibt natürlich noch so viel mehr, was man machen kann. Omega, der Schweizer Uhrenhersteller, der den Film „Planet Ocean“ gesponsert hat, kaufte zum Beispiel CO2-Zertifikate für die angereisten Journalisten. Auf einem Flug von Berlin nach Rio kommt eine Person auf 9546 Tonnen Kohlendioxid. Die gleiche Menge wird nun, laut Zertifikat, im indischen Karnataka durch die Entwicklung von Biogasanlagen eingespart.

All das fühlt sich trotzdem noch zu wenig an. Letztlich, schlechtes Gewissen hin oder her, kann man nur sein Bestes geben und mit gutem Beispiel vorangehen. Es ist ungeheuer inspirierend, Leuten bei der Arbeit zuzuschauen, die das schaffen, Leuten wie Yann Arthus-Bertrand, die ihre Fantasieblase zum Platzen gebracht haben und in der Lage sind, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. Fast den ganzen Erdball ist Arthus-Bertrand über die Jahre mit dem Hubschrauber abgeflogen; und fast jeder kennt seine aus der Vogelperspektive aufgenommenen so schönen wie erschreckenden Bilder von allen möglichen Orten dieser Welt. Kaum jemand hat so eine genaue Übersicht darüber, an welchen Stellen der Erdkugel Dörfer und Inseln überflutet oder ganze Landstriche unter Sanddünen begraben werden. Er hat sie alle gesehen, hat sie alle fotografiert. 

[gallery:Deutschland von oben: Faszination im Kinosessel]

Sein neuer Film, „Planet Ocean“, der in Deutschland im September in die Kinos kommt, legt dar, dass unsere Zivilisation so sehr in die Ökosysteme der Weltmeere eingegriffen hat, dass diese kurz vor dem Kollaps stehen. Die Botschaft seines Films ist unmissverständlich: Das Anthropozän hat schon längst begonnen, die Menschheit ist zu einer geologischen Kraft geworden, die die Abläufe des natürlichen Erdsystems verändert hat. Wir haben einen Wendepunkt in unserer Geschichte erreicht.

Entweder beobachten wir, wie schon in den nächsten Jahren die Ökosysteme, eines nach dem anderen, wie Dominosteine zusammenbrechen werden, oder wir entscheiden uns dazu, das zu retten, was wir noch haben. Arthus-Bertrand ist weise genug, diese Botschaft mithilfe von Unterwasseraufnahmen deutlich zu machen, die von einer unfassbaren Schönheit sind, mit Bildern von dieser Welt, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat. „Den ökologischen Untergang vorauszusagen“, sagte er in Rio, „ wird die Welt nicht retten. Aber unsere Fähigkeit, von der Schönheit der Erde berührt zu werden, könnte das vielleicht. Letztlich wird es die Liebe sein, die die Welt verändert.“ 

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