- Wenn die Toten sprechen
Große Schauspieler sprechen große Autoren, manchmal hört man diese auch selbst. Was haben sie uns noch zu sagen?
Hermann Hesses 50. Todestag ist in diesem Jahr ausführlich gewürdigt worden, Christa Wolf ist im Dezember ein Jahr tot – eine zufällige Nähe beider Autoren, die aber einen Unterschied im Gedenken deutlich macht. Während bei der jüngst verstorbenen Christa Wolf nun Ergänzungen hinzukommen, bisher Unveröffentlichtes, und das Werk sich posthum vervollständigt, ist Hesses 50. Todestag Anlass für Revisionen und neue Perspektiven. Und es muss sich erweisen, ob der so lang schon Tote zu den trotzdem noch nahen Toten gehört, oder ob die, die wir so lebendig erinnern, sich allmählich zu den Gestorbenen entfernen.
Gerade der „Demian” war einem doch der liebste der Hesse-Romane, während man manches andere der Großmutter überließ. Das Hörspiel in der großen Hesse-Box erfühlt, wie sehr „Demian” noch von den Ängsten und Bedrückungen, von den Reaktionen auf eine autoritäre Erziehungswelt, von den Leidenserfahrungen des Dichters geprägt ist. Eierschalen, Blutspuren – und doch ist der kritisch-realistische Blick schon ganz eingerahmt vom manchmal elitär wirkenden, mit fragwürdigen kulturkritischen Versatzstücken eingekleideten Bildungsroman des Künstlers. Aus dem starken Kontrast von Erniedrigung und idealistischer Erhöhung, mit dem er den Leser zur Selbstfindung aufruft, bezieht Hesse bis heute seine Faszination. Dabei sind die Antagonisten wie die Helfer des Helden Emil Sinclair im Grunde nur Abspaltungen des Autor-Selbsts, Protagonisten seines inneren Dramas – besonders der attraktive Seelenführer Demian, der Sinclair in aggressiver, zugewandter Lust auf den richtigen Weg stößt (hat man eigentlich mal das Vokabular der Angstlust bei Hesse untersucht, gerade bezogen auf männliche Freunde und Feinde?).
Die Gefahr, dass alles allzu psychologisch wird, hat der Bearbeiter und Regisseur Oliver Sturm glänzend vermieden. Hart und schnell wird erzählt, auch die Dialoge werden zugespitzt, Orte werden lebendig, ohne dass man sich im realistischen Detail verliert – großartig ist Demian mit dem intellektuell verführerischen, strahlenden Ingo Hülsmann besetzt. Hier ist noch nicht daran zu denken, dass der Dichter später selbst zum „Seelenführer” wurde, der auf dem Buchmarkt auch als „Hesse für Sommer, Herbst und Winter”, Hesse zur Liebe, zur Zeit, zum Garten und zum Weltganzen geschenkbuchtraulich weiterlebt.
Seite 2: Die letzte Erzählung der Christa Wolf
Dieses Weiterleben kann man in der monumentalen akustischen Anthologie „Erzählerstimmen” deutlicher wahrnehmen. Da liest Hesse, schon ein Greis, noch einmal seine fünfzig Jahre zuvor entstandene Erzählung „Der Dichter”, milde, als ein Stück Weisheitsliteratur; damals war er ganz im Winkel, die zweite Ruhmeswelle kam erst nach dem Tod. Viele CDs weiter trifft man hier auch auf eine Lesung von Christa Wolf von 1965, „Juninachmittag”, und man meint dieser festen, ohne Überheblichkeit selbstbewussten Stimme anzuhören, wie sie ihr eigenes Werk aufrichtet und sich in ihm einzurichten beginnt.
„August” ist eine nachgelassene Erzählung, die letzte, die Christa Wolf geschrieben hat. Darin wird nicht aus weiblicher Perspektive erzählt, es ist vielmehr die Geschichte des Jungen August, der schwerkrank seiner attraktiven Retterin begegnet: der „schönen Lilo”. In ihr erkennt man unschwer Christa Wolf selbst, die für ihre Erzählung auf ihre eigene Zeit nach dem Krieg zurückblickt, als sie Patientin in der Lungenheilanstalt Kalkhorst war. Ist dies also nur eine schlichte, allerdings sehr eindrückliche Kalendergeschichte, die von den heilsamen Wirkungen der Güte und Fürsorge erzählt? Am Ende blickt August auf ein glückliches Leben zurück, das Wort „Glück” aber taucht auch in der Widmung des Buches auf: „Ich habe Glück gehabt”, heißt es dort – mit dem Menschen nämlich, dem Christa Wolf dieses Buch gewidmet hat, ihrem Mann Gerhard, der auf dem Hörbuch die Widmung selbst liest. So wird aus einer einfachen Geschichte indirekt eine eigene Bilanz und: eine Liebeserklärung.
Dagmar Manzel spricht Christa Wolfs Text ohne jeden Anflug von Sentimentalität, mit jener Kraft und Neugier, mit der die junge Lilo das vom Tod bestimmte Leben in der Siechenstation meistert. Ergreifend sind die persönlichen Erinnerungen von Gerhard Wolf an seine Frau, in denen eine sehr innige, im Ton aber auch ironisch geführte Ehe aufleuchtet – diese Tote ist hier noch nah. Alles wird so gesagt, als könnte sie es noch hören.
Hermann Hesse: Die großen Romane. Mit Ulrich Matthes (u.a.). Hörverlag, München 2012. 14 CDs, 14 h 23 Min., 39,90 €
Christa Wolf: August. Gelesen von Dagmar Manzel, mit Erinnerungen von Gerhard Wolf. Der Audio Verlag, Berlin 2012. 1 CD, 71 Min., 15,99 €
Christiane Collorio, Michael Krüger, Hans Sarkowicz (Hrsg.): Erzählerstimmen. Die Bibliothek der Autoren. Der Hörverlag, München 2012. 44 CDs, 56 h 233 Min., 149,99 €
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