Kurz und Bündig - Michael Gazzaniga: Wann ist der Mensch ein Mensch?

Ein für alle Mal zu wissen, was gut und böse ist, ist ein alter Traum des Abendlandes. Doch bislang ist es niemandem gelungen, moralische Urteile zwingend herzuleiten oder gar zu beweisen. Das liegt vor allem daran, dass, wie die Philosophen sagen, aus dem Sein kein Sollen folgt. Der amerikanische Wissenschaftler Michael Gazzaniga versucht es trotzdem und sucht in den Neurowissenschaften Ant­worten auf ethische Fragen. Und verheddert sich dabei gewaltig.

Ein für alle Mal zu wissen, was gut und böse ist, ist ein alter Traum des Abendlandes. Doch bislang ist es niemandem gelungen, moralische Urteile zwingend herzuleiten oder gar zu beweisen. Das liegt vor allem daran, dass, wie die Philosophen sagen, aus dem Sein kein Sollen folgt. Der amerikanische Wissenschaftler Michael Gazzaniga versucht es trotzdem und sucht in den Neurowissenschaften Ant­worten auf ethische Fragen. Und verheddert sich dabei gewaltig. Ab wann soll dem menschlichen Fötus ein moralischer Status zugestanden werden? Das Gehirn ist bis zur 23. Schwangerschaftswoche nicht lebensfähig, führt Gazzaniga aus. Ein Erwachsener, dessen Gehirn durch einen Unfall auf diesen Zustand zurückgeworfen würde, würde als hirntot und als Kandidat für eine Organtransplantation betrachtet. Was folgt daraus? Nun ja, nichts. Auch ein nur acht Wochen alter Fötus, dessen Köpfchen sich im Ul­traschallbild abzeichnet, ist «einer von uns», schreibt Gazzaniga, und darf nicht etwa für die me­­dizinische Forschung benutzt werden. Tapfer zieht der Autor die für sein Unterfangen unschöne Konsequenz: Die Neurowissenschaft kann zu moralischen Fragen nur sehr wenig beitragen. Die wirk­lich wich­tigen Fragen werden nicht wissenschaftlich entschieden, sondern mit einem «explosiven Gemisch aus Emotionen, Überzeugungen, und sturen, unlogischen Haltungen». Von Letzteren bekommt der Leser dann auch noch einige präsentiert: Wir sind unser Gehirn, heißt es auf der einen Seite; Menschen sind frei, Gehirne nicht, heißt es wenig später. Zur Frage, ob man Kinder genetisch «aufbessern» sollte, plädiert der Autor dafür, auf den gesunden Menschenverstand zu vertrauen, denn der Verstand als menschliche Fähigkeit könne schließlich nicht entmensch­lichend wirken. Zwischen erstaunlich naiven Behauptungen wie dieser finden sich durchaus auch interessante Aussagen, die viel zu selten zu hören sind – wie die, dass ein erheblicher Anteil der Variation zwischen Lebewesen weder durch ihre Gene noch durch ihre Umwelt noch durch die Wechselwirkung beider erklärt werden kann, sondern sich einfach so ergibt. Der Autor hat seine Themen nicht wirklich im Griff. Was bleibt? Gazzanigas Ringen um Konsistenz ist eine gute Anregung zum Selberdenken.

 

Michael Gazzaniga
Wann ist der Mensch ein Mensch? Antworten der Neurowissenschaft auf ethische Fragen
Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann.
Patmos, Düsseldorf 2007. 168 S., 24,90 €

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