- Vom Vorteil, nicht normal zu sein
Ein zu kurz geratener Riese? Ein Leben auf der Straße? Eine Akademie für kleine Bösewichte? Normalsein wird doch völlig überbewertet! Drei phantastische Geschichten, die viel mit der Wirklichkeit zu tun haben
Kinder sind Konformisten. Sie wollen dazugehören, zur Familie, zu ihren Altersgenossen; Individualismus kommt später. Pech nur, wenn sie aus der Norm fallen – Außenseiter haben es schwer. Wie nämlich sieht das Leben aus, wenn man viel zu klein geraten ist? Und das als Riese? Janet Foxley erzählt die atemberaubende Geschichte von «Munkel Trogg», dem kleinsten Riesen der Welt (aus dem Englischen
von Sigrid Ruschmeier, Illustrationen von Steve Wells. Fischer KJB, Frankfurt a. M. 2013. 272 S., 12,99 €). Munkels jüngerer Bruder ist ihm längst über den Kopf gewachsen und geht, wie es sich für einen echten Riesen gehört, nicht gerade zartfühlend mit dem Winzling um. Überhaupt wird der Kleine umhergeworfen, umgeschubst und übersehen, dass es ein reiner Jammer sein könnte. Doch nicht mit Munkel! Er ist nicht nur riesenwidrig klein – ungefähr so groß wie ein zehnjähriges Menschenkind –, er weicht auch noch in einem anderen Punkt von der Riesen-Normalität ab. Denn Munkel ist klug. Und er interessiert sich für die gefürchteten Kleinlinge, die Bewohner der Menschenwelt. Seit diese einen mörderischen Stock erfunden haben, mit dem sie einhändig Riesen töten, halten diese sich samt ihren Schutzdrachen auf dem Rumpelberg verborgen.
Alles kommt, wie es kommen muss: Munkel lernt ein Kleinlingsmädchen kennen, befreit es aus den groben Händen der Riesenprinzessin und
erfährt, dass der Dampf im Rumpelkrater große Gefahr ankündigt. Munkel zeigt es allen und wird zum drachenfliegenden Retter. Janet Foxley hat in ihrem preisgekrönten und in viele Sprachen übersetzten Buch eine phantastische Welt erfunden. Schminke aus Asche, Frisuren wie zerrupfte Vogelnester, Pilzschleimsuppe als Mittagessen:ein höchst vergnügliches und spannendes Lesevergnügen für Kinder ab 8.
Auch Alina Bronsky siedelt ihren neuen Jugendroman «Spiegelriss» (Arena, Würzburg 2013. 261 S., 14,99 €) in einer fiktiven Welt an. Doch vergnüglich geht es hier nicht zu. Juli, die jugendliche Heldin, vielen bekannt aus dem erfolgreichen Vorläuferroman «Spiegelkind», lebt als geduldetes Mitglied einer Gruppe von Straßenkindern im Elend. Sie hungert und friert, vor allem aber fürchtet sie, erkannt zu werden. Denn überall im baumlosen Reich der «Normalen» wird nach ihr gesucht.
Einst gehörte sie zu deren Welt. Doch als ihr Vater starb und ihre Mutter in den Wald, die Welt der «Pheen», verschwand, fiel Juli aus jeglicher Normalität heraus. Nun kann sie, so scheint es jedenfalls für lange Zeit, nicht zu ihrer Mutter und den anderen Zauberwesen zurück. Hier aber, im «Rudel» der Essen stehlenden Straßenfreaks, wird sie auch nicht lange bleiben. Einen Lichtblick allerdings gibt
es in all dem Dunkel: Kojote, der Anführer der Straßenkinder, erweist sich als Freund. Das ändert zwar nur wenig an der beklemmenden und verstörenden Atmosphäre des Buches. Aber dieser undurchsichtige Junge bringt doch das Maß an Menschlichkeit in die Geschichte, ohne dass die Hoffnungslosigkeit unerträglich würde. Juli selbst ist eine nüchterne Heldin: misstrauisch, selbstkritisch, unbestechlich. Auch als der Umsturz beginnt und die Freaks die Villen der vertriebenen Normalen besetzen, lässt sie sich nicht als Heroine instrumentalisieren. Am Ende gibt es immerhin Hoffnung darauf, dass sie ihren Ort und ihre Bestimmung gefunden hat. Alina Bronsky hat eine ungewöhnliche Protagonistin in eine zugleich futuristische und märchenhafte Umgebung gestellt, deren Themen bedrohlich aktuell sind. Ein Kunststück für Leser ab 12.
Von einem Kunststück der ganz anderen Art erzählt die amerikanische Autorin T. R. Burns in ihrem Jugendbuch «Sam Hinkel und die Akademie für Ärger» (aus dem Amerikanischen von Christian Dreller. Fischer KJB, Frankfurt a. M. 2013. 368 S., 12,99 €). Sam nämlich bringt aus Versehen seine Lehrerin mit einem Apfelwurf um. Das jedenfalls glaubt er bis kurz vor Schluss der Geschichte. Umgehend findet er sich in einem Internat für Schwererziehbare wieder: militärisch organisiert, karg und streng. Das wiederum glauben jedenfalls seine Eltern. Tatsächlich aber verbirgt sich hinter dem trostlosen Empfangsbereich ein luxuriös ausgestattetes Elite-Institut für Unruhestifter. Hier stehen alle im Normaldasein geltenden Regeln auf dem Kopf. Abweichendes Verhalten wird zur Norm erklärt und nach Kräften gefördert, die störenden Eigenschaften gelten als Potenzial und Begabung. So wird Sam zum Scharfschützen ausgebildet und findet in seinem feuerlegenden Zimmergenossen einen schwierigen, aber unerschütterlichen Freund. Eine turbulente und urkomische Internatsgeschichte der besonderen Art für Kinder ab 10.
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