- Eine schrecklich nette Familie
Den bayerischen Serien-Ohrwurm „Die Grandauers” gibt es jetzt als Hörbuch
Dies wird ein Bayernjahr, so viel steht fest. Ludwig II. ist im Kino, und der rabiate Ministerpräsident wird vor der Wahl so um sich hauen, dass den Journalisten die Bayern-Klischees ausgehen werden; auch Urviechtum kann sich als Marke erschöpfen. Umso mehr ist es einen Fanfarenstoß wert, dass der Kunstmann-Verlag einen der schönsten bayrischen Radioklassiker wieder aufgelegt hat. Der Ohrwurm mit dem Namen „Die Grandauers“ kroch später ins Fernsehen und machte unter dem Titel „Die Löwengrube“ Karriere. Radio und Region waren einmal bedeutende Paten für deutsche Serien. Warum eigentlich nach Amerika starren? Vielleicht liegen die Wurzeln für gute deutsche Serien ja eher im Regionalen.
Der Beginn der „Grandauers“ im Jahr 1893 erinnert an den Anfang von Hans Falladas „Bauern, Bomben und Bonzen“: Zwei Gendarmen stapfen an einem „schiachen Herbsttag“ auf ein fern im Tal gelegenes Dorf zu. Da hat es ein „Haberfeldtreiben“, einen Exzess sittenstrenger Anarchisten gegeben, die das Gewaltmonopol des Staates nicht anerkennen. Gleich ist man im Gespräch über Recht und Unrecht, wie auf einer Wippe, auf der der Wunsch nach Unabhängigkeit immer wieder in die gegebene Ordnung zurückschwingt: „Ein bissel Freiheit muss sein.“ – „Ja, ja, aber nicht eine solche, wo sich der Mensch drin verläuft.“ Der junge Grandauer wird in dem Dorf seine Liebe finden, eine Kellnerin ohne Stand und Herkunft, er wird lange warten müssen bis zur Heirat. Später wechselt die Familie nach München. Aber immer wird sie, mit den Verbrechen des Staates konfrontiert, sich wegducken wollen. Bis 1945 geht dieser Erzählbogen, historische Ereignisse wie der Münchner Fememord von 1920 oder der Anschlag im Bürgerbräukeller 1939 sind hier Markierungspunkte. Aber sie werden ganz vom familiären Leben umspült. Dann erschrickt man fast mit den Helden, wenn die große Politik wieder ihr Recht fordert.
Dies liegt auch daran, dass man ganz in den Sog des Bayrischen gerät. Ist dieser Dialekt gemütlich? Schon auch. Aber er kann auch so mürrisch und manchmal weltabgewandt sein wie bei Benno Grandauer (Karl Obermayr), der sich mit resignativem Anstand durchs Leben grantelt. Er kann so herrisch und unausgeschlafen durchtrieben sein wie bei Toni Berger als Kommissar Grüner. Er kann das gepflegte Honoratioren-Bayrisch des Arztes Dr. Muggenthaler (Fritz Straßner) annehmen, der den Bürger als Edelmann gibt. Alles, was von draußen auf die Sprecher einzustürmen droht, erscheint im Dialekt gebrochen, verlangsamt, verfärbt. Das macht ihn anfällig fürs Ressentiment und fürs Verbockte, kann aber auch das allzu Offizielle unterlaufen und falschen Trost abwehren: „Es wird sich d’ Wahrheit z’letzt schon noch rausstellen“ – „Woll woll, z’letzt amal gwiss, aber da sind mir leicht allemal nicht mehr vorhanden.“
Dazwischen Willy Purucker selbst als Erzähler mit sympathisierender Ironie. Um ihn herum Ilse Neubauer, Elmar Wepper, Gustl Bayrhammer, Helmut Fischer … Was für eine großartige Generation von Volksschauspielern war da, von 1980 an, am Werk. Gott mit Dir, Du Land der Bayern!
Wird dieser Geschichtsbogen ab 1933 zum Ärgernis, weil Purucker den begrenzten Horizont seiner Protagonisten zu sehr teilt? Und damit indirekt die These stützt, man hätte von den Konzentrationslagern, also etwa von Dachau bei München nichts wissen können? Diesen Einwand kann nur erheben, wer nicht zugleich hört, wie ungeheuer vielfältig und dem Alltagsleben abgelauscht Purucker die Ausflüchte und Illusionen seiner Helden notiert. Und genau das ist die dokumentarische Qualität dieser fiktionalen Serie.
Zum Beispiel 1936: Olympische Spiele in Garmisch-Partenkirchen. Tauwetter. Die jüdische Schwägerin der Grandauers schöpft wieder Hoffnung. Später wird sie im Familienkreis „Klara“ und nicht Sarah genannt werden, ein notwendiges Versteckspiel und eine Beschwichtigung des eigenen Gefühls von Peinlichkeit, „so eine“ Verwandte zu haben. Man fremdelt, und aus dem Fremdeln flüchtet man sich in ein angeblich unverdorbenes Eigenes. Als Traudl Grandauer zusammen mit Sarah nach der Beerdigung von deren Mutter aus Berlin zurückkommt und ihrem Benno erzählt, dass der betagte Vater nach jüdischem Brauch sieben Tage nicht aus dem Haus geht, sagt der nur „I kann’s net als Beamter“. Und als er seinen fanatischen Nazibruder verteidigt: „Im Grunde seines Herzens ist er ein anständiger Mensch, ein ganz icher Familienmensch“, antwortet sein Schwager: „Es ist mir wurscht, was er im Grunde seines Herzens ist, wenn er nicht des tut, was er ist.“ Das Schweigen und Nichtwissen der Grandauers ist die Geschichte ihrer Illusionen und ihrer Ausflüchte und auch des unbedingten Glaubens an das Eigene und die heilige Familie.
Willy Purucker: Die Grandauers und ihre Zeit. Hörspielserie in 28 Folgen. Kunstmann, München 2012. 28CDs, 24 Std. 43 Min., 49,95 €
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