- Letzter Aufruf im Chicken-Run
Quoten im Sinkflug, eine Moderatorin im Kreuzfeuer der Kritik: Dennoch hält ProSieben an seinem Chicken-Run fest, präsentiert by Heidi Klum. Heute abend zeigt der Sender das Finale der achten Staffel von „Germany‘s Next Top Model“. Höchste Zeit für eine Polemik
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Ein Dutzend Männer im Lendenschurz klatschen sich kumpelhaft ab. Schweißperlen auf der Stirn, rote Gesichter. Sie sehen aus, als kämen sie gerade von der Mammutjagd zurück. Es riecht nach Testosteron.
Diese Männer sind Kandidaten einer Castingshow. Sie wollen Germany‘s Next Superman werden. Sie haben schon Baumstämme mit der Kettensäge zersägt und Bierkisten gestapelt. Jetzt müssen sie noch die letzte Hülle fallen lassen und durch ein Haifischbecken kraulen. Der Moderator gibt das Signal: „Mann-o-Mann.“
Balla-balla? Blenden Sie das Bild bitte gleich wieder aus. Kein Baumarkt der Welt würde in den Pausen einer solchen Show Werbung schalten, nicht mal ein Hersteller von After Shave mit der Duftnote Moschus-Ochse. Auch der Kreis der potenziellen Kandidaten wäre überschaubar. Fred Feuerstein ist tot. Welcher Mann macht sich freiwillig zum Honk?
Bei den Frauen sieht das ganz anders aus. Heute abend zeigt der Münchener Privatsender ProSieben das Finale der 8. Staffel von „Germany‘s Next Top Model“ (GNTM). Vier Kandidatinnen bereiten sich in einem Trainingscamp auf den Ernst des Lebens vor. Auf High Heels wie ein Roboter laufen, in barocken Kleidern durch ein Haifisch-Becken schwimmen.
Aber das, wenn möglich, ohne sich nass zu machen. Und dabei immer schön schön lasziv in die Kamera schielen, ganz so, wie es die Mädels von ihrer „Super-Mom“ gelernt haben: Heidi Klum.
Unglaublich? Aber wahr. Nach acht Staffeln hat man es aufgegeben, darauf zu hoffen, dass solche Bilder ein gespielter Witz sein müssen. Dass im nächsten Moment ein Reporter hinter dem Startblock hervorspringt und ruft: „Verstehen Sie Spaß?“
GNTM, das ist die Cash-Cow von ProSieben. Die Quoten und Markanteile bröckeln unablässig, aber die Werbeblöcke verkaufen sich immer noch wie von allein, der Moderatorin sei Dank.
Heidi Klum ist eine der wenigen deutschen Celebrities, die es bis nach Hollywood geschafft haben, mit gusseisernem Lächeln und quasi-militärischer Disziplin. Klum, das ist ein Name wie ein Faustschlag in die Magengrube. Aber man kann ihn auf der ganzen Welt buchstabieren. Er öffnet Türen.
Und deshalb, frohlockte ProSieben-Geschäftsführer Wolfgang Link jetzt bei einer Pressekonferenz vor dem Finale von GNTM im noblen „Waldorf Astoria“ in Berlin, werde es entgegen anders lautenden Gerüchten eine neunte Staffel geben. Vielleicht sogar eine zehnte oder elfte. Wer weiß.
Sie könne sich vorstellen, GNTM „glatt noch zehn weitere Jahre“ zu moderieren, sekundierte ihm eine gutgelaunte Heidi Klum. Es war ein Versprechen. Es klang wie eine Drohung.
Denn welche Botschaft transportiert diese Show, die die Selfmade-Woman aus Bergisch-Gladbach, geschätztes Vermögen: 50 Millionen Dollar, vor sieben Jahren aus ihrer amerikanischen Wahlheimat importiert und unter dem Deckmantel der Nachwuchspflege in Deutschland etabliert hat, als ihren Anker für den europäischen Werbemarkt?
Man denkt an Charles Darwin und seine Theorie vom „Survival of the fittest“. Daran, dass sich die Frau durchsetzen wird, die am schnellsten „hott“ macht, wenn Heidi „hü“ ruft - und skrupellos ihre Waffen einsetzt. Möpse-Alarm. Lasziver Hüftschwung. Augenaufschlag.
Man muss nicht per Du mit Deutschlands Immer-Noch-Chef-Feministin Alice Schwarzer sein, um sich angesichts solch archaischer Muster die Haare zu raufen und sich zu fragen, wohin das noch führen soll, die Wiedergeburt des Sexismus, der schleichende Brain-Drain, die Diktatur des „Po“-letariates.
Am 1. Juni nullt Heidi Klum zum vierten Mal. Was bleibt ihr in Deutschland, wenn der Chicken-Run bei GNTM in die letzte Runde gegangen ist, weil nach der letzten Zuschauerin auch der letzte Werbekunde abgesprungen ist, ein Hersteller von Slip-Einlagen? Wechselt sie dann in die Politik, um das Rad der Emanzipation auch auf betuchteren Ebenen zurückzudrehen. Heidi for President?
Nein, so weit wird es nicht kommen. Das ist die trostreiche Erkenntnis aus der Causa Klum. Hierzulande will die die Kritik an der hochgradig absurden Schnepfen-Auslese nicht abebben. Deutschland ist eben nicht Amerika.
Hier hört der Spaß da auf, wo die Würde des Menschen verletzt wird. Hier wird eine Allianz von MütterInnen, JugendschützerInnen und KabarettistInnen nicht müde, die „Trainerin der Gehässigkeit und Herablassung“ (Cordula Stratmann) daran zu erinnern, dass es keine Roboter sind, die sie konditioniert, sondern echte Menschen. Wesen also, denen keine Kamera der Welt die Seele rauben kann.
Das hat nichts mit der übertriebenen Fürsorge zu tun, die man den Deutschen gerne unterstellt. Es ist auch kein Ausdruck von verbiestertem Emanzentum oder humorloser Latzhosenhaftigkeit.
Heidis Hungerhaken prägen ein Schönheitsideal. Jedes zweite 17-jährige Mädchen, das hat eine Umfrage der Jugendzeitschrift Bravo ergeben, fühlt sich zu dick. Dabei sind 78 Prozent von ihnen normalgewichtig. Nicht mehr lange, und sie erfüllen sich ihren Traum vom perfekten Körper beim Schönheitschirurgen. In den USA sind Silikon-Brüste schon heute ein beliebtes Geschenk zum Schulabschluss.
So gesehen kann man nur hoffen, dass die Kritik an dem magerwahnsinnigen Zicken-Zirkus nicht abreißt. Nein, das ist keine Aufforderung an die barbusigen Frauenrechtlerinnen von Femen, das Finale in der Mannheimer SAP-Arena zu sprengen. Gegen diese Form des Frischfleisch-Handels ist bislang noch kein Kraut gewachsen. Vermutlich hilft dagegen wirklich nur noch eines: nackte Tatsachen.
„Germany‘s Next Top Model“, ProSieben, 30. Mai, 20.15 Uhr.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.