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Essays von Jonathan Franzen - Die Überwindung der Einsamkeit

Traurig – oder neidisch? Jonathan Franzen denkt über den Suizid David Foster Wallaces nach

Autoreninfo

Bahners, Patrick

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„Weiter weg“ versammelt Gelegenheitsarbeiten von Jonathan Franzen aus den Jahren 1998 bis 2011: Nachworte zu Neuausgaben mehr oder weniger vergessener Schriftstellerkollegen, kulturkritische Protestnoten, zwei Reportagen über Vogelschützer, eine Abschlussrede vor College-Absolventen, einen Grundsatzvortrag über das Autobiografische in der Literatur, ein launiges New York-Porträt sowie die Ansprache, die er auf der Trauerfeier für seinen Freund David Foster Wallace hielt. Der Titelessay und gewichtigste Beitrag des Bandes ist ein zweiter, viel ausführlicherer Nachruf, der wie fast alle anderen Texte um den Begriff der Liebe und die Überwindung der Einsamkeit kreist.

Am 12. September 2008 hatte Foster Wallace sich das Leben genommen. Franzen erinnert sich: „Damals hatte ich die Entscheidung getroffen, mich nicht mit dem fiesen Selbstmord von jemandem, den ich so sehr geliebt hatte, auseinanderzusetzen, sondern mich stattdessen in Zorn und Arbeit zu flüchten.“ Ein fieser Selbstmord? Im Original steht „hideous“: scheußlich. Wieland Freund entscheidet sich für „fies“, um das literarische Zitat deutlich zu machen. „Brief Interviews with Hideous Men“, „Kurze Interviews mit fiesen Männern“, hieß ein Erzählungs-Band von David Foster Wallace. „Hideous“ bezieht sich hier zunächst auf die konkreten Umstände des Todes. Foster Wallace hat sich erhängt. Später gibt Franzen aber zu erkennen, dass er diese Selbsttötung auch als eine abscheuliche Handlung empfindet, als einen Akt der Gewalt gegenüber denen, die dem von einer chronischen Depression Gepeinigten nahestanden. Vom Hässlichen wendet man sich ab: ein Reflex des Selbstschutzes, der bei Franzen zum Gegenstand der Selbstkritik wird. Was begann mit der Verdrängung des Selbstmords des Freundes? „Mein Fliehen vor mir selbst.“ So wird der Tote zum Alter Ego des Überlebenden stilisiert.

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Während der gefeierte Autor der „Korrekturen“ an „Freiheit“ arbeitete, also dem Roman, der ihn auf das Titelbild von „Time“ bringen sollte, befand er sich also nicht bei sich, sondern auf der Flucht. Und dieser Flucht sollte eine weitere Flucht ein Ende machen: das Gewinnen des buchstäblich größtmöglichen Abstands gegenüber dem Alltag von Zorn und Arbeit, Selbstfindung nach homöopathischem Rezept. Die Rechnung zahlte nicht die Krankenkasse, sondern der „New Yorker“. Franzen reiste auf eine unbewohnte Insel vor der Küste Chiles. Von der Tourismusbehörde wurde der unwirtliche Ort nach Alexander Selkirk benannt, dem Vorbild des Robinson Crusoe, aber Franzen ist der „ursprüngliche Name“ lieber, den „die Einheimischen“ (die es auf der Insel doch gar nicht gibt?) angeblich „immer noch“ benutzen: „Más Afuera. Weiter weg.“

Der Selbstversuchsaufbau ist charakteristisch für diesen Essayisten: Franzen rümpft die Nase über Werbegags für Literaturtouristen, will aber den „Robinson Crusoe“ am Originalschauplatz lesen. Außer dem Taschenbuch von Defoe hatte er eine Streichholzschachtel in Buchform im Gepäck: Darin ist die Asche von David Foster Wallace, die er auf Bitten der Witwe auf der Insel verstreuen sollte.

Als der Reisebericht, der weitgehend aus Exkursen besteht, im April 2011 im „New Yorker“ erschien, lösten die Spekulationen über den Tod von Foster Wallace Empörung aus. Franzen spricht von „mörderischen Impulsen“, die in „gewissen Umständen“ des Selbstmords sichtbar würden, ohne diese Umstände zu benennen.

Jonathan Franzen: Weiter weg (Rowohlt)Taktlos ist an diesem Essay vor allem die Trivialität der Rahmenerzählung: Im verregneten Abenteuerurlaub lernt Franzen die Behaglichkeit der Schreibtisch-Existenz zu schätzen. Die bekannteste Szene aus „Robinson Crusoe“ muss als Illustration der abschließenden Lektion herhalten. Eines Tages entdeckt Crusoe am Strand einen menschlichen Fußabdruck. Fünfzehn Jahre lang glaubte er darunter zu leiden, keine Gesellschaft zu haben; nun flößt ihm das Wissen, dass er nicht allein ist, Todesangst ein. Defoe, so Franzen, „hat uns das erste realistische Porträt eines radikal isolierten Individuums geschenkt, und dann hat er uns gezeigt, wie krank und verrückt ein radikaler Individualismus eigentlich ist“. Schließlich sei es egal, „wie sorgsam wir uns abschirmen, es braucht nur den Fußabdruck eines anderen wirklichen Menschen, um uns an das unendliche Wagnis einer lebendigen Beziehung zu erinnern“. Man muss hier einwenden, dass Crusoes Furcht vor den Kannibalen gar kein Krankheitssymptom war und er auch nicht darüber verrückt geworden ist. Franzen aber setzt seine schiefe Crusoe-Lektüre in einen Zusammenhang mit dem Heimweh, das ihn auf der Insel selbst befallen hatte. Und will damit wohl die Überlegenheit seiner Literatur der Liebesaffirmation über den vermeintlich kranken und verrückten Foster Wallace unter Beweis stellen. Franzen macht kein Geheimnis daraus, dass er den Freund immer auch als Rivalen gesehen hat. Er merkt nicht, dass die Fußstapfen des Toten ihm eine Heidenangst einjagen.

Jonathan Franzen: Weiter weg. Aus dem Amerikanischen von Wileand Freund u.a. Rowohlt, Reinbek 2012. 366 S., 19,95 €

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