Kaputt. 1945 - Ein Aristokrat des Gemeinen

Weltkriegs-Journalismus made in Italy: Der umstrittene Publizist Curzio Malaparte wird mit seinem großen Kriegsroman «Kaputt» wiederentdeckt. Ein Portrait

Das bekannteste Buch des Schriftstellers Curzio Malaparte, der Kriegsroman «Kaputt», beginnt in einem friedlichen Land. Es ist September, vermutlich im Jahr 1943. Der Erzähler, ohne Zweifel der Autor selbst, steht neben Prinz Eugen, dem impressionistischen Maler und Bruder des schwedischen Königs, im Halbdunkel in dessen Villa auf einer Halbinsel vor Stockholm.

Beide lehnen mit der Stirn gegen das Glas der großen Türen zur Veranda und schauen hinaus. Ein leichter Schimmer von Rot liegt auf den Laubbäumen, vom Meer zieht Nebel herauf, das Blau des Himmels wird tief und metallisch. Europa liegt in Blut und Asche, aber hier, am Abend eines schönen Frühherbsttages an der Ostsee, ist davon nichts zu spüren. Das Gefühl eines «heiter gelasse­nen Lebens», eine falsche Erinnerung, umhüllt für einen Augenblick den Erzähler, die Erinnerung an ein Leben, «das noch nicht von der dauernden Gegenwart des Todes befleckt ist».

Curzio Malaparte wendet sich um, um das Arbeits­zimmer des Prinzen zu betrachten. Er sieht einen großen, weißen Kachelofen, in den ein Wappen eingelassen ist. In einer Kristallvase von Orrefors blüht ein Strauch Mimosen und riecht nach Mittelmeer. An den Wänden hängen Gemälde, die Landschaften an der Seine oder junge Frauen mit gelöstem Haar und nackten Schultern zeigen. Doch die ganze Einrichtung wirkt nun wie ein mattes, unbehagliches Echo einer verlorenen Zeit. «Du Côté de Guermantes» lautet die Überschrift des Kapitels, und der Titel definiert hier die Perspektive. Dort, auf der anderen Seite des Lebens, befindet sich Marcel Proust, das Paris des späten 19. Jahrhunderts, die schwedische Malerkolonie in Grez-sur-Loing, dort befindet sich der Stil, der Takt, die Kunst und eine zivile Welt. Hier aber, auf dieser Seite des Lebens, kommt einer von den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs, bis ins Mark erschöpft, und reibt sich die rot geäderten Augen, verwundert, dass es Schönheit und Stille überhaupt noch gibt.

Die kleine, halb melancholische Verbeugung vor der verlorenen Zeit währt nur ein paar Seiten. Dann richtet sich der Erzähler auf und benimmt sich auf eine andere, deutlich weniger wohlerzogene Weise. Noch heute stoßen die schlimmsten Episoden aus diesem Roman – und er enthält viele abstoßende Szenen – auf Abscheu und Ekel. Curzio Malaparte vermag, im Verlauf von nur ein paar Zeilen, die literarische Haltung völlig zu verändern und sich vom Freund, Gefährten und Lehrmeister des Lesers in einen furchtbaren Quälgeist zu verwandeln.

Und so begegnet er im Frühjahr 1942 auch, der eigenen Erzählung zufolge, Prinzessin Luise von Preußen in Potsdam. Als welterfahrener, schützender Freund geleitet er sie in ein Restaurant und erzählt – und beobachtet die Menschen im Lokal, darunter scheinbar Blinde, die Zeitung lesen: «Plötzlich bemerkte ich voll Entsetzen, daß sie keine Augenlider hatten … Von der Kälte versengt, löst das Augenlid sich ab wie eine abgestorbene Haut … Ich dachte, wie diese Unglücklichen mit weit ins Dunkel hi­nein geöffneten Augen schliefen …» So geht es fort, indem der Schrecken mit jedem Halbsatz vergrößert wird, bis Prinzessin Luise gequält aufschreit. Und dann heißt es: «‹Vous ne trouvez pas que tout cela est très gentil?› sagte ich lächelnd» – und die perfide Beschwichtigung gilt der Dame wie dem Leser.


Landschaften des Grauens

Hinter dem Terrorismus dieser Literatur verbirgt sich keine höhere Pädagogik. Curzio Malaparte begibt sich nicht derart tief in das Entsetzen, um vor dem Krieg zu warnen. Er will den Schrecken, er kostet ihn aus, und er tut es, ohne wissen zu können, wann und wie der Krieg einmal enden werde. Verfasst wurde «Kaputt» zwischen dem Herbst 1943 und dem Frühjahr 1944, hauptsächlich auf Capri, in Malapartes nachher so berühmt gewordenem Haus auf dem Capo Massulo. Noch als das Buch veröffent­licht wurde, im Oktober 1944 in Neapel, war ein Ende der Kämpfe keineswegs absehbar. Die Amerikaner hatten, nachdem im Mai 1944 die Festung Monte Cassino gefallen war, Florenz erreicht. Aber Benito Mussolini saß noch, geschützt und gehalten von den Deutschen, am Gardasee und herrschte über die Republik Salò. Die Schlacht um Berlin sollte erst ein knappes Jahr später beginnen.

«Kaputt» ist also kein Erinnerungsbuch, keine von Tragik grundierte Inventur, sondern eine grausame und zynische Kolportage aus einem fortdauernden Krieg – eine Erzählung aus den Landschaften des Grauens, die sich in einem weiten Bogen um Deutschland herum hauptsächlich im europäischen Osten erstrecken, von Finnland über Russland, Polen, die Ukraine, Rumänien und Serbien bis nach Süditalien. Curzio Malaparte selbst tritt darin auf, als reise er in einem gigantischen Gespens­terzug, wobei nie ganz klar wird, ob er als Passagier in der Ersten Klasse oder als Schaufler auf dem Kohle­wagen dabei ist. Gewiss ist nur, dass auch er nicht weiß, wohin die Fahrt geht.

In Finnland sieht er die Pferde der russischen Artillerie, die sich, vor einem brennenden Urwald fliehend, in den See Ladoga geworfen hatten und darin festgefroren waren, als ein Wind aus dem nördlichen Eismeer plötzlich Karelien unter sich begrub. «Der See war wie eine unendlich weiße Marmorplatte, auf welche Hunderte und aber Hunderte von Pferdeköpfen gestellt waren. Sie sahen aus wie durch den scharfen Schnitt einer Henker­klinge abgetrennt. Nichts als die Köpfe schauten aus der Eiskruste hervor. Alle Köpfe waren dem Ufer zugewandt. In den weitgeöffneten Augen stand noch die Flamme des Entsetzens.»

Curzio Malaparte trifft Ante Paveli´c, den Führer des faschis­tischen Staates Kroatien. Auf dessen Schreibtisch, erzählt er, habe ein Korb mit «Austern aus Dalmatien» gestanden: vierzig Pfund Menschenaugen.

In Podul Iloaiei, mitten auf dem rumänischen Land, wird er Zeuge, wie ein Zug mit jüdischen Gefange­nen geöffnet wird, ein Zug, der nach den Pogromen von Jassy mehrere Tage lang durch die Sommerhitze gefahren worden war – und die Leichen stürzen über die Unglück­lichen, denen es gelungen war, die Schiebetüren zu öffnen, und beginnen einen ebenso schrecklichen wie absurden Kampf gegen die Lebenden. Das Kapitel mit dem Titel «Die Ratten von Jassy» gehört zu den frühesten Darstellungen des Holocaust.


Ein dreißigjähriger Krieg

Curzio Malaparte ist ein Schriftsteller, und zwar einer, der sein Handwerk versteht, ein schneller, kraftvoller und origineller Erzähler. In sein Werk, vor allem in die bekanntesten Bücher – eben die Romane «Kaputt» und «Die Haut» (1949) –, hat sich der Journalismus gemischt, und nicht nur dieser, sondern auch eine ebenso heroische wie auf höchst subtile Weise schematisierende Weltanschauung. Das Werk besteht aus einer zuweilen bizarren Mischung aus Reportage, Legende und Dichtung, und doch gehören «Kaputt» und «Die Haut» zu den erstaunlich wenigen großen Kriegsromanen des 20. Jahrhunderts.

Sie gehören in denselben Kreis wie die «Reise ans Ende der Nacht» (1932) von Louis-Ferdinand Céline oder «Die Straße von Flandern» von Claude Simon (1960). Mit diesen beiden Büchern haben sie gemein, dass sie viel mehr von der ästhetischen Avantgarde geprägt sind, die dem Schrecken des Ersten Weltkriegs Ausdruck verliehen hat, als mit dem realistischen, sozialkritischen Stil der Reportage, der, angefangen bei Norman Mailers «Die Nackten und die Toten» (1949), bis auf den heutigen Tag das Grundmuster für Schilderungen des Zweiten Weltkriegs bildet. Tatsächlich hatte der Erste Weltkrieg für Curzio Malaparte nie aufgehört – oder genauer: Wie für viele andere Intellektuelle seiner Generation, wie für Louis-Ferdinand Céline oder Ernst Jünger, verschmolzen beide Kriege zu einem, der mehr als dreißig Jahre währte.

«Kaputt» und «Die Haut» – eine Art Fortsetzung von «Kaputt», in der Curzio Malaparte als Verbindungsoffizier die durch Italien vorrückenden amerikanischen Truppen begleitet – erreichen nicht die literarische Bedeu­tung jener anderen Bücher, weil ihr Autor sich innerhalb der Erzählung selbst eine beherrschende Rolle zuweist. Er ist allzu mondän, allzu welterfahren und der klügste, mutigste, barmherzigste Mensch, an welcher Front auch immer. Er ist ein Mann mit allen Fähigkeiten, nie in Verlegen­heit zu bringen, ein Meister der Kriegführung, des Golfspiels, des Lachsfischens – und ein Verführer aller Frauen.

So klingt das also, denkt sich der heutige Leser, wenn jemand vor sechzig Jahren Bücher für die richtig großen Kerle schreiben wollte. Aber so kann es auch sein, überlegt der Leser weiter, wenn ein hoch talentierter Schriftsteller von Grund auf überzeugt ist, in der falschen Gesellschaft, in der falschen Welt gelandet zu sein: Die theatralischen Übertreibungen, die ganze ausschweifende Rhetorik dieser Bücher sind auch Trotz. Und Ausdruck einer starrsinnigen Treue gegenüber einer verlorenen Tradition, einem Aristokratismus, der, weil nichts anderes mehr möglich sein soll und nichts anderes mehr kommen wird, dem Gemeinen huldigt.


Vom Weltruhm ist wenig geblieben

«Kaputt» und «Die Haut» zählen zu den wichtigsten Büchern über den Krieg des 20. Jahrhunderts, jedoch unter besonderen Voraussetzungen. Hier gehören, als handle es sich um Werke der populären Kultur, der Künstler und das Werk zusammen, aufs Engste miteinander verbunden durch das unglückliche Bewusstsein, in gründlich verkehrte Verhältnisse geraten zu sein, wie auch durch den hohen Anspruch an Person und literarische Bedeutung: Wenn «Kaputt» mit einer Verbeugung vor Proust beginnt, dann definiert hier der Autor seinen Maßstab.

Auf eine pathetische, zuweilen befremdliche Weise inszeniert sich hier einer selber, aber der Leser vergibt ihm immer wieder. Denn hinter der martialischen Pose ist die pure Verzweiflung zu erkennen, und nicht nur diese: Die Werke Curzio Malapartes, und insbesondere die beiden Romane aus dem Zweiten Weltkrieg, basieren unmit­telbar auf der Historie selbst, sie ruhen, so übertrieben, so parabolisch in die Höhe getrieben manche Episoden auch sein mögen, auf dem Felsgrund des Faktischen, wie das zwischen den Jahren 1938 und 1942 errichtete Haus in Capri auf dem Capo Massulo.

Vom Weltruhm dieses Autors ist nicht viel übriggeblieben. Jedenfalls wenn es um seine Bücher geht, die sich bis in die sechziger Jahre hinein in Millionenauf­lagen verkauften und in den meisten Ländern heute nur noch antiquarisch zu haben sind. Lediglich durch die Süditalien-Reiseführer spukt Curzio Malaparte noch, als Erbauer jenes Hauses, als zwielichtige Figur, womöglich als Faschist. Sein literarischer Ruhm war nach den Skandal-Erfolgen der fünfziger Jahre rasch verschwunden, und schon in den siebziger Jahren war nichts mehr von ihm übrig geblieben, vielleicht, weil Curzio Malaparte und die liberale Demokratie nicht zusammenpassen, vielleicht, weil sein Schreiben zu eng an den Krieg gebunden war, vor allem aber, weil sich das Skandalöse an seinen Büchern abschliff. Sie verloren ihre Schärfe und behielten das Theatralische. Und es folgten andere, die schwerer zu ertragen waren als dieser Schriftsteller: Es kamen Jean Genet, Pier Paolo Pasolini, Yukio Mishima.


Auf der Klippe ein blutrotes Haus

Nur das Haus, in dem – und vor allem: auf dem – Jean-Luc Godard sechs Jahre nach dem Tod des Schriftstellers im Juli 1957 den Film «Die Verachtung» mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli drehte, steht noch für Curzio Malaparte, das blutrote Haus, das jeder gesehen hat, der nur hin und wieder in einer Zeitschrift für Architektur und behagliches Leben blättert, das einsame Haus auf seiner Klippe im Tyrrhenischen Meer. «Das schönste Haus der Welt», wie immer wieder Leute behaupten, die nie im Winter dort gewesen sein können, wenn die Gischt über das Dach schlägt und der Sturm durch die zentimeterbreiten Spalten in den Fenstern pfeift.

«La casa Malaparte» ist alles andere als ein Ferienhaus, sondern eine Zitadelle, eine Bühne und ein Gefäng­nis, eine Festung, ein Tempel und ein Asyl – und ein Symbol für jenen Aristokratismus des Gemeinen, für die Weltanschauung des Mannes, der dort wohnte, wenigstens für ein paar Wochen im Jahr, für die Zeit, in der er nicht auf Reisen war oder sich in Paris, Rom oder Forte dei Marmi (wo er ein weiteres Haus besaß) aufhielt. An den Fels, das Herbe, Burgartige dieses Hauses lagert sich das Selbstbild des Autors Malaparte an: Es ist eine Kommandozentrale des Schreibens, von der aus man keine Menschen sieht, son­dern nur Felsen – und das Meer in seiner kolossalen Weite.

Curzio Malaparte war fast fünfzig Jahre alt, als «Kaputt» veröffentlicht wurde. Im Jahr 1898 in Prato bei Florenz, einem Zentrum der Textilindustrie, geboren, wuchs er als Kurt Erich Suckert auf, als Sohn einer italienischen Mutter und eines eingewanderten deutschen Stoffhändlers. Und während die eher wohlhabenden Eltern umzogen, von einer norditalienischen Stadt in die nächste, blieb das Kind in der Obhut einer toskanischen Arbeiter­familie. Ihr blieb er sein Leben lang verpflichtet, während er das Deutsche seiner Abstammung mit Entschiedenheit abzulegen versuchte, als Schüler schon, der sich zuerst in den Straßen von Prato als Anhänger toskanischer Syndikalisten Kämpfe mit der Polizei lieferte und sich dann, als Sechzehnjähriger, kurz nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, aus der Schule und dem noch neutralen Italien davonmachte, um unter italienischen Legionären auf französischer Seite gegen Deutschland zu ziehen.

Inspiriert hatten ihn die Florentiner Futuristen, die er durch einen seiner Lehrer am Liceo Cigognini, einer der Eliteschulen Italiens, kennen gelernt hatte – und mit ihnen die Verachtung für die bürgerliche, museale Kultur des 19. Jahrhunderts ebenso wie die Bewunderung für den Condottiere, den souveränen, sich allein auf seinen Verstand und seine Kraft verlassenden Kriegsherrn der frühen Renaissance. Als Italien im Mai 1915, auf der Seite der Entente, tatsächlich in den Krieg zog, war Curzio
Malaparte wieder dabei, als Leutnant der Alpini, der Bergjäger. Er kämpfte zuerst im Nordosten Italiens, im Friaul und in Slowenien, an der Grenze zu Österreich-Ungarn, und dann im französischen Norden, bei Reims, wo seine Truppe Heldentaten vollbracht haben muss.


Kurt Erich Suckert will kein Deutscher sein

Als der Krieg formell zu Ende ging, war Kurt Erich Suckert zwar immer noch Leutnant, aber hochdekoriert, und das Giftgas der Deutschen hatte ihm die Lungen zerfressen. Aber für ihn war der Krieg ja gar nicht zu Ende – der Schützen­graben und der politische Extremismus, die Allgegenwart des Todes und die weltanschauliche Radikalität waren zu ein und derselben Angelegenheit geworden. Und er war Futurist geblieben: Im Jahr 1924 gründete er, zusammen mit Massimo Bontempelli, die literarische Vierteljahresschrift «’900» und propagierte den Fortschritt, die Technik und die Urbanität.

Nach dem Waffenstillstand, noch immer in den Ardennen, begann Kurt Erich Suckert die Arbeit an seinem ersten Buch – weniger ein Roman als vielmehr ein Pamphlet von der Umwertung aller Werte. «Viva Caporetto!» erzählt ein damals allen Italienern vertrautes Ereignis vom Oktober 1917: Während einer der mehr als zwanzig Schlachten am Fluss Isonzo, wo die italienische Armee den Durchbruch nach Triest versuchte, wandten sich die einfachen Soldaten in großer Zahl, müde und demoralisiert, gegen die eigenen Offiziere, verließen die Front und versuchten, sich nach Hause durchzuschlagen. Die Massenflucht brachte Italien an den Rand einer Niederlage, aber schlimmer noch müssen Scham und Strafe gewesen sein – Ernest Hemingway schildert in seinem Roman «A Farewell to Arms» aus dem Jahr 1929, wie furchtbar dieser Zusammenbruch war, und auf wie schreckliche Weise die Disziplin wiederhergestellt wurde.

Ein Pseudonym als Lebensprogramm

Kurt Erich Suckert gab sich zwar erst Mitte der zwanziger Jahre, im Zuge seiner weiteren Radikalisierung als Aristo­krat des Gemeinen, das Pseudonym Curzio Malaparte – den Namen eines Mannes, der im Gegensatz zu Napoleon stets den «schlechten Teil» wählt; aber schon 1918 verbot es der aristokratische Gestus dem jungen Mann, nur von Furcht und Niederlage der italienischen Infanterie zu erzählen. Stattdessen dreht er die Angelegenheit um, verwandelt sie in ein Manifest des Syndikalismus und huldigt dem Deserteur, dem einfachen, schmutzigen, demoralisierten Soldaten.

An Grausamkeit steht die Beschreibung des Lebens und Sterbens im mechanisierten Krieg jenen Schilderungen in nichts nach, die Erich Maria Remarques «Im Westen nichts Neues» oder «Das Feuer» von Henri Barbusse aufbieten. Aber «Viva Caporetto!» ist darüber hinaus eine höhnische Attacke auf den feigen Heroismus der Offiziere und auf den falschen Frieden an der italienischen Heimat­front. Nicht die Angst vor dem Tod, nicht das Elend im Schützengraben trieben, so will es Kurt Erich Suckert, die Soldaten aus den Stellungen in Richtung Heimat, sondern der Abscheu vor der eigenen Nation. Aus ihnen aber, aus den Arbeitern und Bauern im Kriegsdienst, aus den «neuen Barbaren», sollten der neue Italiener und das zukünftige, revolutionäre Italien hervorgehen. Und diesem Glauben bleibt Malaparte treu, bis hin zu «Kaputt» und «Die Haut».

Curzio Malaparte machte nach dem Ersten Weltkrieg Karriere, als Journalist, als Buchautor, als Dramatiker, und sein Aufstieg verlief parallel zum Erfolg der italienischen Faschisten, deren Mitglied er wurde, schon bevor er mit den anderen Schwarzhemden im Oktober 1922 nach Rom marschierte. Er arbeitete für «Il Tempo» in Turin, schrieb für «La Nazione» und «Il Mattino» und war Ende der zwanziger Jahre für kurze Zeit Chefredakteur von «La Stampa», angestellt, um dieses Blatt enger an die Linie der faschistischen Partei zu binden.

Und doch war sein Faschismus wohl eigentlich ästhetischer Art, hinzugekommen um anderer Ideale willen, und er selbst war in seinen politischen Anschauungen alles andere als konsequent. Zur Hälfte deutschen Ursprungs, wie er war, zumindest beeinflusst vom nordeuropäischen Protestantismus, bekennt er sich zu einem ganz und gar südlichen, ländlichen, von der Gegenreformation geprägten Italien. Er begriff sich selbst als Revolutionär und huldigte der Tradition und den ältesten Werten. Er gab den Kosmopoliten und verehrte die Provinz – wie sehr, ist nachzulesen in seinen «Maledetti Toscani» aus dem Jahr 1956, einer Apologie des alten, regionalen Italien, die nicht zuletzt in Deutschland beliebt wurde. Er lag vor den «neuen Barbaren» auf den Knien und war doch ein Dandy, ein Abkömmling der Décadence des ausgehenden 19. Jahrhunderts.


Hitler – ein Zerrbild Mussolinis

Auf dieselbe widersprüchliche Art war er wohl auch Faschist. Im Essay «Die Technik des Staatsstreichs», der 1931 in Paris und zunächst nur auf Französisch erschien, entwirft er eine eigene Lehre der Macht, zentriert auf den Staatsstreich als den Moment, in dem sich Politik in reinster Form zeigt. Das Buch ist ein Versuch, für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die Bedingungen der Herrschaft zu definieren, aufzuzeigen, wie man sie erreicht, verteidigt und verliert. Berühmt geworden ist dieser Essay auch, weil Adolf Hitler darin als schlechte Kopie Be­nito Mussolinis bezeichnet wird: «Dieses Zerrbild Musso­linis, das sich als Befreier des deutschen Vaterlands aufspielt, ist kein Sulla, kein Cäsar, kein Cromwell, kein Bonaparte oder Lenin. Es ist ein Verteidiger des Gesetzes, ein Wiedereinrichter der nationalen Tradition, ein Diener des Staates.»

Der eigentliche Held dieses Buches ist Leo Trotzkij: «Trotzki flößt allen Mißtrauen ein. Seine Beredsamkeit ist verdächtig. Er hat die gefährliche Macht, die Massen aufzuwühlen, Meutereien zu entfesseln. Er ist ein Schöpfer der Spaltungen, ein Erfinder von Ketzereien, ein fürchterlicher und unentbehrlicher Mensch» – kurz: ein ins Diabolische überhöhter Curzio Malaparte. In Frankreich wurde das kleine Werk zu einem großen Erfolg. In Italien und in Deutschland wurde es verboten. Man kann es immer noch auf zweierlei Weise lesen: als Aufklärungsschrift wider alle Formen der totalitären Machtübernahme und als Handbuch für Putschisten.

Die Jahre 1930 und 1931 verbrachte Curzio Malaparte in Paris. Auf der Heimreise wurde er verhaftet und in Rom ins Gefängnis Regina Cœli geworfen. Zwei Jahre danach wurde er für fünf Jahre auf die Insel Lipari verbannt. An dieser Strafe, meinte er später immer wieder, könne man erkennen, dass er schon damals ein Gegner des Faschismus gewesen sei. Tatsächlich hatte er immer wieder, unter anderem in der «Theorie des Staatsstreichs», erklärt, Benito Mussolinis Regierung gleiche immer mehr einem «reaktionären Polizeiregime». Verurteilt aber wurde er, weil er einen hohen Funktionär der Faschisten persönlich beleidigt hatte.


Kaltblütiger Chronist der Grausamkeit

Er musste die Strafe nicht völlig absitzen. Im Frühjahr 1935 war er wieder frei. Kurz danach entstand die Zeitschrift «Prospettive», ein international orientiertes, der ästhetischen Avantgarde verpflichtetes Organ, dem man nicht ansieht, dass es mitten im Faschismus gegründet wurde. Zu den Mitarbeitern gehörten James Joyce, Anto­nin Artaud, Alberto Moravia und, erstaunlich genug, García Lorca. Gleichzeitig wurde Curzio Malaparte zu dem Kriegsreporter, den man auch in Deutschland nach dem Krieg kennen lernte – zu einem zumindest scheinbar kaltblütigen Chronisten der Grausamkeit, zum schreibenden Passagier auf den schlimmsten Gespensterzügen, zum Literaten des maschinell und massenhaft betriebenen Sterbens.

Seinen ersten derartigen Einsatz hatte er 1938, als Italien Krieg in Äthiopien führte. Ganz zu sich selbst kam er, als sein Land im Juni 1940 auf deutscher Seite in den Zweiten Weltkrieg zog. Zuerst berichtete er aus Frankreich – aus den Reportagen wurde 1947 das kleine Buch «Il sole è cieco». Doch nicht die Westfront, die Reste einer traditionellen Kriegsführung, waren Curzio Malapartes Sache, sondern der Osten, der Krieg der proletarischen Massen. Aus den Reportagen entstand 1943 das Buch «Die Wolga entspringt in Europa», der Vorläufer von «Kaputt». Mit Erstaunen liest man heute, wie offen Curzio Malaparte nicht nur über die Schrecken des Krieges schreibt, sondern auch über Technik und Moral der sowjetischen Soldaten. Er lässt wenig Zweifel daran, wen er für den zukünftigen Sieger hält.

«Die Haut» wurde international Malapartes erfolgreichstes Werk. Aber innerhalb der italienischen Literatur war er schon bei dessen Erscheinen im Jahr 1949 zu einem Einzelgänger geworden. Zwei biografische Theaterstücke, das eine über Marcel Proust («Du Côté de chez Proust»), das andere über Karl Marx («Das Kapital») misslangen. Der Versuch, mit «Cristo Proibito» (Verbotener Christus, 1951), der Geschichte eines heimkehrenden Soldaten, einen neorealistischen Film zu machen, war zwar kommerziell einigermaßen erfolgreich, ästhetisch aber nicht überzeugend: Curzio Malaparte blieb ein Mann der ästhetischen Avantgarde. Auch seine politische Heimat – oder was man, bei so widersprüchlichen Ansichten, dafür hätte halten können –, hatte er verloren. Er schrieb zwar, unter dem Pseudonym Gianni Strozzi, für «L’Unità»; als er jedoch Mitglied der kommunistischen Partei werden wollte, wurde er abgewiesen.

Stattdessen wurde er beharrlich an seine Vergangenheit als Faschist erinnert. Es half ihm nichts, wenn er – zum Beispiel im Vorwort zur deutschen Ausgabe von «Kaputt» (April 1951) – immer wieder erklärte, während der Regierung Benito Mussolinis bedeutend mehr Repressalien ausgesetzt gewesen zu sein als mancher, der im demokratischen Italien längst wieder in einem hohen Amt saß.

Die Bitterkeit, ja Besessenheit, mit der Curzio Malaparte während seiner letzten Lebensjahre versuchte, Ehre und Ruf zu behaupten, zeigen, wie tief ihn diese Angriffe trafen. Als er starb, im Juli 1957, vermachte er das berühmte Haus der Volksrepublik China – vielleicht, weil er nun nicht mehr wollte, dass es in italienischem Besitz blieb, gewiss aber auch, weil seine Hoffnung, irgendwann werde der neue Mensch doch noch hervortreten, nicht erloschen war.

 

Thomas Steinfeld, Jahrgang 1954, ist leitender Literaturredakteur der «Süddeutschen Zeitung» und lebt in Bad Homburg. Zuletzt veröffentlichte er das Buch «Der leidenschaftliche Buchhalter. Philologie als Lebensform» (2004).

 

Curzio Malaparte
Kaputt. Roman
Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Mit einem Nachwort von Lothar Müller und einer Zeittafel von Ralph Jentsch.
Zsolnay, Wien 2005. 590 S., 25,90 €

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