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Kollateralschaden der Griechenlandkrise - Naive Verklärung der Demokratie

Kolumne: Grauzone. Man müsste Alexis Tsipras dankbar sein. Denn das griechische Referendum zeigt, dass transnationale Demokratien Gefahr laufen, Bevölkerungen gegeneinander auszuspielen 

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Was ein Affentheater! Erst führt Alexis Tsipras wochenlang Verhandlungen, die eigentlich gar keine Verhandlungen sind, sondern taktische Spielchen. Dann, als ein sehr weitreichendes Angebot der EU vorliegt, wird aus heiterem Himmel ein Referendum abgehalten, gegen den „Terrorismus“ (Y. Varoufakis) der Gläubiger. Und nachdem die Griechen mit Zweidrittelmehrheit den Einflüsterungen ihrer Links-rechts-Regierung gefolgt sind, legt Griechenland innerhalb weniger Tage ein Reformpaket vor, das in etwa dem entspricht, was im Referendum abgelehnt wurde: Mehrwertsteuererhöhung, Hochsetzung des Renteneintrittsalters, Wegfall von Sozialleistungen, Reform des öffentlichen Sektors.

Wenn nicht alles täuscht, werden also wieder die Milliarden fließen, via Hilfspakten und Rettungsschirm, Griechenland wird in der Euro-Zone verbleiben, und in wenigen Monaten beginnt alles von Neuem.

Also alles beim Alten? Bei weitem nicht. Denn der Kollateralschaden ist erheblich. Nicht nur, dass alle Beteiligten, die deutsche Kanzlerin eingeschlossen, als unglaubwürdige Papiertiger aus der Sache hervorgehen werden, nachhaltig beschädigt ist vor allem die Demokratie.

Naive Verklärung der Demokratie
 

Schuld daran sind zunächst die vollkommen überspannten Erwartungen, die die griechische Regierung fahrlässig mit dem Referendum geweckt hat, die naive Verklärung der Demokratie und des Volkswillens.

Doch leider: Es gibt Dinge auf der Welt, über die kann man nicht demokratisch abstimmen. Über das Wetter etwa oder darüber, dass die Erde um die Sonne kreist. Und auch Verträge oder Kredite kann man nicht einfach demokratisch für null und nichtig erklären.

Doch die insbesondere bei der politischen Linken (aber nicht nur dort) kultivierte Sakralisierung des sich demokratisch äußernden Volkswillens schürt insbesondere in politischen Krisensituationen die Erwartung, mittels demokratischer Prozesse ließen sich Berge versetzen. Schlimmer noch: Die quasireligiöse Verherrlichung der Demokratie im öffentlichen Diskurs und durch politische Funktionsträger erweckt die Illusion, „Demokratie“ oder „demokratische Werte“ stünden über allen anderen Normen. Das ist aber eindeutig nicht der Fall. Gerade die Demokratien leben von normativen Voraussetzungen, die sie selbst nicht begründen und über die sie nicht verfügen kann: etwa Rechtssicherheit, Vertragstreue und Eigentumsschutz.

Wer daher meint, mittels demokratischer Abstimmungen geltendes Recht nach belieben verändern und Verträge verletzten zu können, schadet der Demokratie, da diese, wie keine andere Staatsform, auf die Anerkennung von Verträgen, von Recht und Gesetzt angewiesen ist. Nur Tyrannen können Verträge nach Gutdünken manipulieren oder für ungültig erklären.

Eben weil Demokratie jedoch auf einer ganzen Palette von Werten und Normen beruht, über die sie nicht verfügen kann, setzt sie einen minimalen Grundkonsens innerhalb einer Gemeinschaft voraus. Dieser Grundkonsens kann sich zwischen demokratischen Gesellschaften erheblich unterscheiden. Innerhalb einer Demokratie jedoch ist ein Mindestmaß an kultureller und normativer Homogenität erforderlich.

Hauptquelle dieses normativen Grundkonsenses in Gesellschaften sind deren Traditionen und kulturelle Mentalitäten, die auch Produkte ihrer wirtschaftlichen und sozialen Realitäten sind. Transnationale Organisationen wie die EU stellen jedoch höchst unterschiedliche soziale Realitäten und kulturelle Mentalitäten neben- und – wie wir in den letzten Wochen gelernt haben – im schlimmsten Fall auch gegeneinander.

Nation und Demokratie
 

Um sich klar zu machen, was das bedeutet, braucht man sich nur vorzustellen, Deutschland hätte auf das griechische Referendum seinerseits mit einem Referendum reagiert (wie die AfD bezeichnenderweise fordert). Das Ergebnis wäre das Gegenteil dessen gewesen, was gebetsmühlenartig als Daseinszweck der EU apostrophiert wird, nämlich Unfriede oder sogar Feindseligkeit – nicht zwischen Repräsentanten, sondern dann sogar zwischen Völkern. Das gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

Wir sollten Alexis Tsipras daher dankbar sein. Sein Referendum hat uns daran erinnert, dass transnationale Organisationen wie die EU Vertragsbündnisse zwischen Demokratien sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass sie nicht selbst demokratisch sind, ist – anders als häufig beklagt – kein Fluch, sondern ein Segen.

Wenn nicht alles täuscht, bleiben Demokratie und Nation auf absehbare Zeit untrennbar miteinander verbunden. Das mag für viele postnational gestimmte Deutsche befremdlich klingen. Doch für eine wahrhaft demokratische EU sind die sozialen und kulturellen Differenzen innerhalb Europas nach wie vor zu groß.

Doch das ist gar nicht so schlimm. Denn der Charme Europas liegt gerade in diesen Differenzen. Sie zu nivellieren wäre ein trauriger Verlust. Und eine funktionierende Währungsunion und ein prosperierender Wirtschaftsraum sind ohnehin von Bedingungen abhängig, die sich jeder demokratischen Verfügbarkeit entziehen. Hier regieren die nüchternen Gesetze der Ökonomie.

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