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Wahl in Bayern - Zurück zur absoluten Mehrheit

Nach dem historischen Absturz vor fünf Jahren hat die CSU wieder die absolute Mehrheit erreicht. Wie gehen die Parteien in Bayern damit um?

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Guyton, Patrick

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Die erste Hochrechnung steht noch aus – doch mit der Raumaufteilung im bayerischen Landtag scheinen die Ergebnisse schon vorweggenommen. Die CSU residiert an diesem Wahlabend im großen Konferenzsaal – ganz dominant. Der Raum ist gefüllt mit Parteianhängern, übermütige Dirndl-Trägerinnen lassen sich ausgelassen fotografieren. Beste Laune schon vor den ersten Zahlen. Die FDP ist ganz weit hinten, nur durch einen langen, schmalen Gang zu erreichen – wie ein Anhängsel, womöglich ein unnötiges. „Hoffen wir mal“, sagt eine FDP-Ministeriumssprecherin. Das klingt gar nicht gut. Die SPD feiert im Saal Drei, auf der anderen Seite. Bisher sind dort gerade mal ein Dutzend Genossen erschienen, Schweigen im Saale.

Und den Rest, Grüne und Freie Wähler, hat man irgendwie dazwischen gequetscht.

Schlag 18 Uhr tönt dröhnender Jubel aus dem großen Saal. In den TV-Prognosen ist der schwarze Balken gerade auf 49 Prozent hochgeschnellt. Und es wirkt, als hätte die dazugehörige Partei damit von einer Sekunde auf die andere ein Trauma ausgestanden, das die vergangenen fünf Jahre schwer auf ihr gelastet hat – das Trauma des Verlustes der absoluten Mehrheit, die für die CSU doch bis 2008 immer eine Selbstverständlichkeit war. Wie in Granit gemeißelt, 42 Jahre lang. Der große Wahlsieger wird es wenig später, mit geballten Fäusten, nochmals wegwischen. Mit den 49 Prozent sei das Wahlergebnis von 2008 endgültig Geschichte, ruft Horst Seehofer in den Saal. „Liebe Freunde, wir sind wieder da.“ Der Kampf habe sich gelohnt, murmelt ein junges Parteimitglied. Und Innenminister Joachim Herrmann gibt sich ganz demütig: „Wir werden alles dafür tun, um dieses neu erhaltene Vertrauen zu rechtfertigen“, verspricht er.

Die Worte des fränkischen Kabinettsmitglieds werden die Grundmelodie dieses Abends, dieses CSU-Wahlsiegs, der Rückeroberung der absoluten Mehrheit sein: Jetzt bloß nicht übermütig werden, nicht kraftmeierisch auftreten, sondern die Partei weiterhin als ersten Diener des Volkes darstellen. Wie es Seehofer so erfolgreich bei seinen Wahlveranstaltungen gemacht hat. Generalsekretär Alexander Dobrindt, der die Strategie dieses CSU-Wahlkampfs ersonnen und dafür von Seehofer bereits ausgiebig gelobt wurde, erweist sich in diesem Sinne auch wieder als Diener seines Vorsitzenden. Er spricht von einem großen Vertrauensbeweis, mit dem man nun verantwortungsvoll umgehen müsse. Und Sozialministerin Christine Haderthauer, die im Gedränge vor dem Saal fast steckengeblieben ist, schmeißt sich noch mehr ins Zeug für den großen Wahlsieger. „Horst Seehofer ist der Architekt des Sieges“, jubelt sie. Der Ingolstädter müsse nun nicht nur eine volle Legislaturperiode weiterregieren, sondern „fünf Jahre plus x“. Und die von Berlin nach Bayern zurückgekehrte Noch-Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die beste Aussichten hat, Seehofer einmal zu beerben, lobt „das tolle Team“ und hütet sich davor, über eigene Zukunftspläne zu sprechen. Nur einer, der sonst immer was zu sagen hat, ist im Maximilianeum nicht zu sehen: Markus Söder, der von Seehofer öffentlich als Ehrgeizling abgewatschte Finanzminister.

Um kurz nach halb sieben steht die Spitzentruppe geeint auf der Bühne. Wahlsieger Seehofer entnimmt dem Ergebnis, dass die CSU als Volkspartei lebt, eine große Zukunft hat und „tief in Bayern verankert ist“. Jeder zweite Bayer und jede zweite Bayerin habe CSU gewählt. Der Saal tobt, minutenlang. So sehen Sieger aus im Freistaat.

Und die Verlierer? 20,5 Prozent für die SPD – ein kleiner Zuwachs, ein sehr kleiner. Spitzenkandidat Christian Ude, der große Hoffnungsträger, Münchner Oberbürgermeister und fähigste Sozialdemokrat Bayerns, hat kaum gezogen. Doch wer das so sieht, kennt Ude nicht. Als er zu den eintrudelnden Anhängern spricht, wähnt man sich noch im Wahlkampf. „Die CSU hat ihre Posten verteidigt, nicht aber ihre Positionen“, wettert er mit Blick auf die zahlreichen Kursänderungen der Christsozialen. Von der SPD hätten sie „ein ums andere Mal abgeschrieben“. Das Wahlergebnis sei zwar unter den Erwartungen geblieben – aber die Trendwende sei dennoch geschafft. Schließlich habe man „erstmals seit längerer Zeit Stimmen“ dazugewonnen. Dies, so Ude, sei keine Selbstverständlichkeit. „Es geht wieder aufwärts mit der SPD in Bayern.“ Dass die SPD auch mit ihm das drittschlechteste SPD-Ergebnis der Nachkriegszeit einfuhr (nur 2003 und 2008 lag sie mit 19,6 und 18,6 Prozent noch darunter), ließ er lieber unerwähnt.

 

„Ude, Ude!“, rufen die Anhänger. Das klingt trotzig und auch ein bisschen wehmütig nach dem zweijährigen Wahlmarathon des allseits respektierten Kandidaten. Dieser hatte vorher schon angekündigt, mit seinen 65 Jahren nicht mehr als Oppositionsführer in den Landtag einziehen zu wollen, sondern im Frühjahr 2014, wenn seine Zeit als Oberbürgermeister endet, in Pension zu gehen. Der Traum, als zweiter Sozialdemokrat nach dem legendären und immer wieder beschworenen Wilhelm Hoegner in den Geschichtsbüchern zu landen, ist zerschellt. Schon am Vormittag, bei der Stimmabgabe im Schwabinger Wahllokal, hatte sich Ude ja ein wenig verplappert. Auf die Frage, was für die nächsten Tage bei ihm anstehe, sagte er: „Ich muss morgen in aller Herrgottsfrühe raus und nach Berlin zu Parteisitzungen fliegen. Danach freue ich mich auf ganz normale Rathausarbeit.“ Seine Äußerung, die Opposition und eine „alleingelassene CSU“ könnten sich am Ende doch noch „auf Augenhöhe“ begegnen, war nur noch Mutmacher-Parole. Kleiner Trost: In München, in der Residenz am Marienplatz, bleibt der Gescheiterte bis zu seinem Abschied nach vier Amtsperioden allemal der „Bürger-King“. Und das weiß er auch.

Die Grünen haben ihm dort seit jeher die Treue gehalten. Doch im Landtagswahlkampf sind sie schwer eingebrochen. „Ihr habt gekämpft“, ruft Spitzenkandidatin Margarete Bause ihren Anhängern zu. Und versichert ihnen, dass solcher Einsatz „ein besseres Ergebnis verdient“ hätte. Das Ergebnis ist enttäuschend für die Frau mit dem grellroten Haar, die schon so lange in der Landespolitik und bei den bayerischen Grünen mitmacht. Die Höhenflüge von 15 Prozent und mehr in früheren Umfragen, der geheime Traum, wie in Baden-Württemberg die SPD gar zu überholen – die Partei liegt weit davon entfernt. Und viele Grüne in Bayern geben dafür der Bundespartei und deren Wahlkampfstrategie die Mitschuld. Es sei zu wenig über Umwelt und Bildung geredet worden, heißt es. Und dass im wohlhabenden Bayern wohl zu viele gefürchtet hätten, von den Grünen über höhere Steuern zur Kasse gebeten zu werden. Bundesvorsitzende Claudia Roth will dennoch nicht klein beigeben. „Jetzt heißt es kämpfen“, ruft sie in den Saal. Und verheißt fürs Jahr 2018 den „Rollback in Bayern“.

Hubert Aiwanger, Parteivorsitzender der Freien Wähler (FW) und omnipotenter Inhaber aller weiteren wichtigsten Posten innerhalb der Gruppierung, gibt sich wiederum ungewohnt bescheiden. „Hubert, Hubert!“, rufen die Anhänger der recht bunt zusammengewürfelten Truppe, die sich irgendwie als bürgerlich jenseits der CSU definiert. Und Aiwanger lobt seine Kämpen. „Wacker geschlagen“ hätten sie sich, sagt er. Immerhin seien die Freien Wähler jetzt „so stark wie die Grünen, und dreimal so stark wie die FDP“. Allerdings: Die Gruppierung musste ebenfalls Einbußen hinnehmen. Und vor allem konnte sie nicht, wie erhofft, den Königsmacher spielen und darüber entscheiden, ob sie lieber Seehofer oder Ude zum Ministerpräsidenten wählt. Der Parteichef versichert aber, weiter hart zu arbeiten: „Wir lassen die Ärmel hochgekrempelt.“

Bleibt der größte Wahlverlierer des Abends, die FDP. Unter ihren Anhängern herrscht an diesem Wahlabend Niedergeschlagenheit, Trauer, Sarkasmus. Ist sie doch von acht auf 3,2 Prozent eingebrochen und damit nach nur fünfjähriger Unterbrechung wieder aus dem Landtag geflogen. Als Seehofer im Fernsehen gerade über seine Leistungen spricht, meint eine erboste FDP-Frau laut: „Das ging nur mit uns zusammen, Monsieur!“ Anders als in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hatten die Liberalen in Bayern aber keine überzeugenden und querschädeligen Köpfe wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki. Stattdessen als Spitzenkandidaten den behäbigen Juristen Martin Zeil und als Wissenschaftsminister den Zahnarzt Wolfgang Heubisch. Dieser wirkte geradezu beleidigt, dass die „Erfolge allein der CSU zugerechnet“ worden seien. Zudem, so sagte er, sei es „wirklich verwunderlich“, dass die CSU „nach ihrer Verwandten-Affäre und allem Drum und Dran“ ein solches Ergebnis eingefahren habe. „Ich kann’s nicht nachvollziehen.“ So erbärmlich stehen die Liberalen an diesem Abend da, dass ihnen sogar der Sieger Seehofer glaubt, Mut zusprechen zu müssen. „Wir müssen miteinander kämpfen um das Vertrauen der Bevölkerung – und nicht gegeneinander“, sagt er. „Das war vielleicht ein bisschen in Bayern ein Problem.“ Im Bund aber hätten die Liberalen ein Potenzial von mehr als fünf Prozent.

Auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger redet sich als FDP-Landeschefin den Mund fusselig, dass dieses Ergebnis für die Bundestagswahl nichts zu bedeuten habe. Im Gegenteil, gerade jetzt würden Unionswähler den Liberalen ihre Stimme geben. Und viele Fraktionsmitarbeiter laufen mit hängenden Köpfen herum. Bei ihnen geht es nicht nur um eine Wahlniederlage, sondern um den Job. Fliegt eine Fraktion aus dem Landtag, verlieren die Leute ihre Posten. Generalsekretärin Miriam Gruß kämpft mit den Tränen, als ein Parteifreund sie umarmt. „Wir waren eine geschlossene FDP“, sagt sie.

Aus der Opposition gibt es an diesem Abend keine Häme über die gescheiterte FDP. Vom bisherigen Koalitionspartner CSU, mit dem man so vertrauensvoll zusammengearbeitet haben will, durchaus. „Am besten finde ich, dass die FDP draußen ist“, frohlockt der frühere Wissenschaftsminister Thomas Goppel unverhohlen. Und Ex-Parteichef Erwin Huber meint schadenfroh: „Nur Beifahrer zu sein, reicht nicht. Braucht man diese Partei überhaupt?“ So sind sie, die Freunde aus der Koalition. Zumindest die älteren, für die eine absolute Mehrheit nichts Besonderes ist. Sondern business as usual.

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