- Große Koalition, winzige Ziele
Mit der SPD bekommt Angela Merkel ihren Wunschpartner. Was kommt nun auf Deutschland zu?
Angela Merkel ist kurz vor dem Ziel: Nächste Woche beginnen die Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Dann kommt ihre Große Koalition Nummer 2. Regieren mit der SPD heißt: Große Mehrheit im Bundestag, viel Verständnis im Bundesrat, kein Zittern bei Euro-Abstimmungen wegen einiger Abweichler, keine quengelnde FDP, die der Union ihre Sozialdemokratisierung vorwirft. Happy days are here again.
Eine Neuauflage des Bündnisses von CDU/CSU und SPD entspricht dem Wunsch der geradezu harmoniesüchtigen Deutschen. In dieser Konstellation lassen sich auch einige Themen abräumen, die bei den Wählern gut ankommen, den CDU-Prinzipien aber eigentlich widersprechen: Mindestlohn, Mietpreisbremse, Transaktionssteuer. Da werden zwar die letzten verbliebenen Ordnungspolitiker vom Wirtschaftsflügel laut aufstöhnen. Doch Merkel wird sie mit dem Totschlag-Argument ruhig stellen, eine Koalition mit der SPD sei nun mal nicht zum Nulltarif zu haben. Wo sie recht hat, hat sie eben recht.
Morgengabe der Union
Die Sozialdemokraten haben die Wahl krachend verloren. Die Koalitionsverhandlungen werden sie aber gewinnen. Denn im Bundestag gibt es eine rechnerische Mehrheit von Rot-Rot-Grün. Daraus kann SPD-Chef Sigmar Gabriel im Moment zwar keine Koalition schmieden, weil er nicht den Wortbruch-Vorwurf riskieren will. Aber er kann die Union im Laufe der Legislaturperiode jederzeit mit dieser Mehrheit „jenseits der Union“ erpressen. Wenn „Tricky Siggi“ eines beherrscht, dann solche Machtspiele.
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Die Morgengabe der Union für die Neuauflage von Schwarz-Rot heißt gesetzlicher Mindestlohn. Mit dieser Vorleistung kann die SPD-Spitze dem Parteikonvent am Sonntag relativ gelassen entgegensehen. Selbst die notorisch griesgrämige nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wird sich nicht länger querlegen. Der Bund wird ihrem nach jahrzehntelanger SPD-Misswirtschaft samt verfassungswidrigen Haushalten finanziell ausgebluteten Land beistehen. Das kann man dann den Wählern an Rhein und Ruhr als von der SPD durchgesetzten Politikwechsel verkaufen.
Vielleicht gelingt es ja der Union, der SPD noch abzuringen, in den neuen Ländern mit einem Mindestlohn von weniger als 8,50 Euro zu starten. Damit dort aus den Aufstockern von heute nicht die Arbeitslosen von morgen werden. Dass ein gesetzlicher Mindestlohn nicht dazu führen wird, dass jeder Vollzeitbeschäftigte von seiner Arbeit leben kann, wie die Mindestlohn-Befürworter behaupten, liegt auf der Hand. 8,50 Euro in der Stunde bedeuten bei einer 39-Stunden-Woche ein Monatseinkommen von 1437 Euro brutto bzw. 1048 Euro netto. Das hilft den etwa 70.000 Alleinstehenden unter den 1,3 Millionen Aufstockern. Ein Familienvater kann die Seinen mit 8,50 Euro jedoch nicht ernähren. Da muss der schwarz-rote Staat weiterhin einspringen.
Ebenso reine Symbolpolitik ist auch die Mietpreisbremse, auf die sich die Großkoalitionäre schnell einigen werden. Dadurch, dass Mietpreisanhebungen noch stärker gedeckelt und die Rechte der Wohnungseigentümer noch stärker begrenzt werden, wird keine einzige zusätzliche Wohnung neu gebaut. Darauf wird der Wirtschaftsflügel der Union vergeblich hinweisen. Aber er wird sich auch hier nicht durchsetzen.
Eines wird sich selbst die flexible Machtpolitikern Angela Merkel nicht abhandeln lassen: Betreuungsgeld und Ehegattensplitting dürften unangetastet bleiben. Aber nicht, weil Merkel hier aus Überzeugung hart bleiben wird. Sondern weil der demokratisch legitimierte bayerische König Horst I. weiß, was seine Untertanen wünschen. Und die Mindestrente von 850 Euro wird ebenso kommen wie höhere Renten für Mütter. Bei der Frage, „wer ist der Sozialste im ganzen Land“, rufen Christdemokraten und Sozialdemokraten wie aus einem Munde „Wir“.
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Eine Frage freilich bleibt offen: Wer soll das bezahlen? Die CDU/CSU ist an ihr zentrales Wahlversprechen gebunden: Keine Steuererhöhungen. Aber darauf sollte niemand bauen. Die Regierung Merkel/Müntefering setzte 2007 das größte Steuererhöhungsprogramm aller Zeiten durch, den „Reichensteuer“ genannten Neid-Zuschlag inklusive. Und das nach einem Wahlkampf, den die CDU/CSU mit den radikalen Steuerkonzepten eines Paul Kirchhofs bestritten hatte. Die Wiederholung einer solchen Politik wäre freilich ein Stimmenbeschaffungsprogramm für die außerparlamentarische FDP und Wasser auf die Mühlen der „Alternative für Deutschland“. Das würde der SPD weitaus weniger schaden als der Union.
Eine Große Koalition bietet auch eine große Chance: Union und SPD könnten eine gemeinsame Energiepolitik konzipieren, die nicht nur die Kosten der Energiewende anders verteilt (Stichwort: Strompreisbremse), sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ins Kalkül zieht. Denn was nützt der sauberste Strom, wenn keine Industrie mehr da ist, die ihn bezieht?
Parteitaktisches Klein-Klein
Angela Merkel wird das Land mit der Großen Koalition solide regieren. Aber nichts deutet darauf hin, dass die beteiligten Parteien ihre große Mehrheit auch als große Chance für grundlegende Veränderungen nutzen wollen. Von einer umfassenden Reform der Einkommen- und Umsatzsteuer spricht niemand, ebenso wenig von den drängenden Problemen in der Pflegeversicherung. Die potentiellen Regierungsparteien sind überdies mit ihrem parteitaktischen Klein-Klein so beschäftigt, dass von dem drängendsten aller Probleme – der ungelösten Euro-Krise – niemand spricht.
Vier Wochen nach der Wahl haben wir Gewissheit: Die Kanzlerin bekommt ihren Wunschpartner und die Wähler bekommen ihre Wunschkoalition. Ansonsten stehen ins Haus: Viel Symbolpolitik, notwendige Reparaturen, kaum umfassende Reformen. Willkommen in der BRD – der Besitzstandswahrungs-Republik Deutschland.
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