- Organversagen im medizinischen Dienst
Wieder ist es zu Manipulationen bei Transplantationen gekommen. In Leipzig wurden offenbar Daten von 38 Patienten gefälscht. Warum ist die Trickserei vorher nicht aufgefallen? Und wie anfällig ist das System noch?
Eigentlich wollte die Politik mithilfe der Krankenkassen und von persönlichen Anschreiben in den kommenden Monaten die geringe Organspendebereitschaft der Deutschen befördern. Doch nach den Skandalen in Göttingen, Regensburg und München beginnt das neue Jahr schon wieder mit einer Transplantationsaffäre. Mediziner in Leipzig sollen die Daten von 38 Patienten gefälscht haben, um sie auf der Warteliste für Lebertransplantationen nach oben zu rücken.
Was ist passiert?
Am Dienstagabend gab die Leipziger Uniklinik
bekannt, dass bei 37 der 182 Patienten, die dort in den Jahren 2010
und 2011 eine Spenderleber transplantiert bekamen, Daten
manipuliert worden waren. Um den Kranken schneller ein Organ
zukommen zu lassen, wurde fälschlicherweise angegeben, dass sie
sich bereits einer Blutwäsche unterziehen mussten. Dies sei als
Hinweis auf zusätzliches Nierenversagen und die deutlich höhere
Dringlichkeit einer Lebertransplantation zu verstehen gewesen,
sagte der Medizinische Vorstand der Uniklinik, Wolfgang Fleig.
Dadurch dürfte sich deren Wartezeit auf die Zuteilung einer
Spenderleber im Schnitt um rund eine Woche verkürzt haben. Bei 37
der 54 angeblich auch nierenkranken Organempfänger habe eine
Dialyse jedoch nie stattgefunden. Aus dem Jahr 2012 wurde nur noch
ein weiterer entsprechender Fall bekannt.
Wieso ist die Trickserei nicht aufgefallen?
Weil den Transplanteuren weder hausintern noch seitens ihrer
Standesorganisation jemand auf die Finger sah. Ans Licht kamen die
Betrügereien erst durch die routinemäßige Kontrolle einer von
Bundesärztekammer, Krankenhausgesellschaft und
Krankenkassen-Spitzenverband betriebenen Prüfungs- und
Überwachungskommission. Diese nimmt nach den Organspendeskandalen
des Vorjahres nun sämtliche Transplantationszentren in Deutschland
unter die Lupe. Die Leipziger hätten die angeblichen Dialysen im
Dezember nicht belegen können, sagte Hans Lilie, Vorsitzender der
Ständigen Kommission Organtransplantation bei der
Bundesärztekammer, dem Tagesspiegel. Nach Androhung einer weiteren
Kontrollvisite im Januar sei die Uniklinik dann selbst aktiv
geworden und auf die Unregelmäßigkeiten gestoßen.
Wurden aus den Spendenskandalen der Vergangenheit nicht
die richtigen Konsequenzen gezogen?
Die Akteure behaupten das Gegenteil. Das Bekanntwerden der
Manipulationen in Leipzig sei gerade der Beleg dafür, dass das neue
verschärfte Kontrollsystem funktioniere, sagte der Präsident der
Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, dieser Zeitung. „Die
Transplantationsmedizin in Deutschland war wahrscheinlich noch nie
so sicher und vor Schummeleien geschützt wie derzeit.“ Die
Vorkommnisse in Sachsen seien „Fälle aus der Vergangenheit“, und es
sei bezeichnend, dass sie 2012, als man Konsequenzen aus den
Skandalen gezogen habe, „schlagartig“ aufgehört hätten. Zu den
Konsequenzen gehören nicht nur flächendeckende und unangemeldete
Stichproben, sondern auch ein sogenanntes Mehr-Augen-Prinzip.
Künftig müssen immer mindestens drei Ärzte an der Meldung von
Patienten für die Wartelisten beteiligt sein – darunter einer, der
mit den Transplantationen nichts zu tun hat. Bei Verstößen wurden
schärfere Sanktionen angekündigt. Und Ärzte in
Transplantationszentren erhalten keine Bonuszahlungen mehr für
besonders hohe Leistungsmengen.
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Was weiß man über die Motive der Ärzte?
Bisher so gut wie gar nichts. In Leipzig hat die Staatsanwaltschaft
am Mittwoch erst ein Prüfverfahren eingeleitet, der Direktor des
Transplantationszentrums und zwei Oberärzte wurden beurlaubt. Und
in Göttingen wird zwar seit Juni gegen den früheren Leiter der
Transplantationschirurgie wegen des Verdachts der Bestechlichkeit
ermittelt. Doch ob tatsächlich Geld geflossen ist, ist nicht
sicher. Es ist gut denkbar, dass hinter den Manipulationen, so sie
bewiesen werden, auch andere Motive stecken: beruflicher Ehrgeiz,
Druck des Arbeitgebers, Empathie und persönliches Mitgefühl mit
eigenen Patienten. Man dürfe nicht verkennen, dass auch die
tricksenden Mediziner Leben retteten, betont Montgomery. Allerdings
nähmen sie in Kauf, dass deshalb anderen die womöglich noch
dringendere Hilfe versagt wird – und dass auch „Menschen sterben
müssen, weil jede dieser Affären die Organspendebereitschaft weiter
sinken lässt“. Die Wartelisten mit ihren Kriterien seien ein
„Ausdruck von Gerechtigkeit in einer Rationierungssituation“.
Haben die Betrügereien System?
Im Gesundheitsministerium spricht man weiterhin von Einzelfällen.
Allerdings ähneln sich die Vorkommnisse in den Unikliniken von
München, Regensburg, Göttingen und Leipzig in sehr auffälliger
Weise. Stets ging es um Spenderlebern und Tricksereien mit
Labordaten. Um Patienten auf der Warteliste nach oben zu bugsieren,
wurden sie kränker dargestellt, als sie waren. Auffällig sei, dass
die Manipulationen in Leipzig 2010 „ganz plötzlich begannen,
nachdem vorher gar nichts war“, sagt Montgomery. Das wirke, als
habe „jemand einen Schalter umgelegt, weil er eine Schwachstelle im
System erkannt hat“. Er rechne damit, dass weitere
Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht kämen. Die Prüfkommission habe
insgesamt etwa 140 Transplantations-Programme zu untersuchen, das
könne drei Jahre dauern.
Bisher widmete sich die Kommission nur der Lebertransplantation – und die Leipziger Uniklinik war erst das zehnte von 47 Häusern, in denen sich die Kontrolleure intensiver umgesehen haben. Anders als in Regensburg und Göttingen, wo offenbar ein und derselbe Mediziner beteiligt war, sieht die Staatsanwaltschaft Braunschweig aber „keine konkreten Verbindungen“ mit den Vorkommnissen in Leipzig. Zudem sei in Göttingen weit „variantenreicher“ betrogen worden, heißt es aus der Prüfkommission der Ärztekammer.
Sind vergleichbare Manipulationen künftig
ausgeschlossen?
Sie wurden erschwert, doch bei genügend krimineller Energie sind
wohl auch weiterhin Betrügereien möglich. Kritiker wie die Deutsche
Stiftung Patientenschutz bemängeln, dass das Transplantationssystem
hierzulande nicht in staatlichen Händen liegt, sondern dass private
Akteure damit Geld verdienen. Es sei fahrlässig, diesen Akteuren
auch noch die Kontrolle und die Sanktionen bei Verstößen zu
überlassen. Der Staat müsse bei den Organspenden gesetzlich stärker
Einfluss nehmen, fordert auch Unionsfraktionsvize Johannes
Singhammer (CSU). Und die Krankenkassen sehen das Problem darin,
dass es in Deutschland zu viele Transplantationszentren gibt, die
sich gegenseitig Konkurrenz machen.
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