- Die naive Kanzlerin
Die NSA überwacht das Handy von Angela Merkel. Auf einmal gibt sich die Kanzlerin böse auf Obama, ein US-Botschafter wird einbestellt. Ein Beleg ihrer erstaunlichen Naivität in der Prism-Affäre
Nun also doch: Der US-amerikanische Geheimdienst NSA hat offenbar direkt das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausspioniert. Die Bundesregierung habe entsprechende Informationen erhalten, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag mit.
Die Kanzlerin griff noch am selben Tag zum Hörer und verlangte Aufklärung von US-Präsident Barack Obama. Sie habe ihm gegenüber deutlich gemacht, dass sie solche Praktiken, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, „unmissverständlich missbilligt“ und „als völlig inakzeptabel“ ansieht. Merkel sprach von einem „gravierenden Vertrauensbruch“.
Das Außenministium reagierte umgehend: Für Donnerstag sei US-Botschafter John B. Emerson einbestellt, wie Spiegel Online berichtete. Guido Westerwelle werde ihn persönlich treffen, um die Ausspähung von Merkels Handy aufzuklären.
Es ist eingetreten, was die Kanzlerin bislang nicht geglaubt hat. Ihre erstaunliche Naivität zeigte sie noch im Juli in einem Interview der Wochenzeitung Die Zeit. Auf die Frage, wohin sie gehe, wenn sie ungestört telefonieren wolle, antwortete Angela Merkel: „Ich vertraue darauf, dass unsere Fachleute in der Lage sind, die Sicherheit dieser Räume zu gewährleisten.“ Die Journalisten hakten nach: Ob sie sich sicher sei, dass sie nicht abgehört werde? „Ich habe, wie gesagt, Vertrauen in die Fähigkeiten unserer Behörden.“ Dass Nachrichtendienste unter bestimmten, eng gefassten rechtlichen Voraussetzungen zusammenarbeiteten, entspreche ihren Aufgaben seit Jahrzehnten und diene der Sicherheit, betonte Merkel. „Von Programmen wie Prism habe ich durch die aktuelle Berichterstattung Kenntnis genommen. Inwieweit die Berichte zutreffend sind, wird geprüft.“
Angela Merkel hatte da bereits einen früheren Zeitpunkt verstreichen lassen, um Barack Obama um Aufklärung zu bitten. Als der US-Präsident zu Besuch in Deutschland war, lobte die Kanzlerin die Beziehungen beider Länder. Die Überwachung deutscher Bürger durch amerikanische Geheimdienste war da nur ein Randthema. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Obama sagte Angela Merkel den legendären Satz: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“
Rösler ahnte, dass er belauscht werden könne
Andere Kabinettsmitglieder waren da längst realitätsbewusster.
Wirtschaftsminister Philipp Rösler räumte ein, dass sowohl seine Telefonate als auch seine E-Mails durchaus abgefischt werden könnten. „Wenn Sie Regierungsmitglied sind, müssen Sie fast davon ausgehen, dass das passiert – und zwar von unterschiedlichster Seite“, sagte er dem Magazin Cicero. In Deutschland gebe es weder eine eigene Infrastruktur für das Internet noch einen Zentralserver, betonte Rösler. „Wenn ich hier in Berlin meinem Kollegen im Nebenraum via Handy eine Mail schicke, dann laufen die Daten vielleicht über Server-Punkte in den Vereinigten Staaten.“
Seine Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verlangte von den USA unnachgiebig Aufklärung, schrieb Briefe, forderte stärkere parlamentarische Kontrolle ein. Die Justizministerin rief sogar nach Sanktionen: US-Firmen, die den Datenschutz unterliefen, solle künftig der Zugang zum europäischen Markt verwehrt werden. Und beim transatlantischen Freihandelsabkommen müsse die Regierung „hart verhandeln, um den Datenschutz zu stärken“, forderte sie.
Auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) war nicht untätig. Sie forderte von den größten Internet-Konzernen Amerikas Aufklärung, ob und inwieweit sie an der Datensammlung durch den NSA beteiligt waren. In einem Schreiben an Google, Facebook, Apple und Microsoft warnte Aigner vor einem „massiven Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer“, der Anlass zu „größter Sorge“ gebe.
Angela Merkel aber zeigte sich von all dem unbeeindruckt. Sie ließ ihren Kanzleramtschef Ronald Pofalla die NSA-Affäre im August für beendet erklären.
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